Umgang mit der AfD - „Journalisten sollten keine Partei platt machen wollen“

Weil Thüringens Vize-Fraktionschef Michael Heym (CDU) eine Koalition mit der AfD ins Spiel brachte, war sein Parteiausschluss gefordert worden. Mit Rechten zu reden, gilt für viele als Tabu. Zu Unrecht, sagt der Autor Per Leo. Für den Umgang mit der AfD aber müssten Regeln gelten

„Ein Ministerpräsident Höcke wäre vollkommen undenkbar” / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Per Leo ist Schriftsteller und Historiker. Mit Maximilian Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn hat er einen Leitfaden für den Umgang mit der AfD veröffentlicht: „Mit Rechten reden.” Klett-Cotta, 183 Seiten, 14 Euro. 

Herr Leo, Thüringens stellvertretender CDU-Fraktionschef Michael Heym hat nach der Landtagswahl angeregt, Gespräche mit der AfD über eine mögliche Regierungskoalition zu führen. Ist es das, was Sie sich versprochen hatten, als Sie 2017 zusammen mit anderen das Buch veröffentlicht haben: „Mit Rechten reden“? 
Nein, ganz und gar nicht. Wir haben ja auch nicht gefordert, mit Rechten zu reden. Wir haben nur das ungeschriebene Gebot in Frage gestellt, nicht mit „Nazis“ zu reden. Daraus folgt aber nicht, es immer und unter allen Umständen zu tun. Vielmehr gebietet es die Klugheit, sich zu fragen, wann es nötig ist und wie man es richtig macht. 

Heyms Vorstoß stieß bei der Bundes-CDU auf fast einhellige Ablehnung. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak bezeichnete ihn sogar als „irre“. Ist ein sachlicher Diskurs unter solchen Bedingungen überhaupt noch möglich? 
Hier geht es nicht mehr um den Diskurs, sondern um Machtpolitik. Es gibt sehr gute Gründe, derzeit keinerlei Zusammenarbeit mit der AfD zu erwägen. Das gilt insbesondere für die östlichen Landesverbände der CDU, aber den Imageschaden hätte die ganze Partei zu tragen. Auch darum kommt so starker Gegenwind aus Berlin. 

Hört miteinander reden dort auf, wo die Option einer Regierung in den Bereich des Möglichen rückt?
Vom simplen Streitgespräch auf Facebook bis zur Regierungspolitik gilt: Kein Gespräch ist bedingungslos. Es gelten immer bestimmte Regeln, meist fällt es nur nicht auf, weil man sich unbewusst an sie hält. 

Sie sprechen der AfD die Fähigkeit zum Diskurs ab?
Nein, aber die Partei stellt die Gültigkeit dieser Regeln permanent in Frage. Wenn man sich mit ihnen auf einen Dialog einlässt, muss man sicherstellen, dass bestimmte Minimalbedingungen erfüllt sind – zum Beispiel, dass Beleidigungen ausbleiben, man seine Meinung begründet und das Gespräch nicht instrumentalisiert wird. 

Aber es ist doch nur eine Minderheit, die ausfällig wird. 
Aber diese Minderheit, die im Übrigen nicht nur pöbelt, sondern auch extreme Inhalte vertritt, zwingt der gesamten Partei gerade ihr Machtspiel auf. Solange die AfD die rechtsextremen Tendenzen des Flügels nicht zur Räson bringt, sollte man mir ihr nicht zusammenarbeiten. Es wäre ein hochriskantes Experiment.

Auch dann nicht, wenn diese Partei wie in Thüringen beinahe von jedem vierten Bürger gewählt wurde? 
Es ist ja keine Missachtung des Wählerwillens, wenn man nicht mit der AfD koaliert. Sollte die AfD aber weiter hinzugewinnen, liegt es in der Logik des Parlamentarismus, dass es irgendwann zu Regierungsbeteiligungen kommen wird. Das zu verhindern, ist jetzt die Aufgabe der anderen Parteien. 

In Thüringen ist die Lage besonders heikel, weil der dortige Spitzenkandidat der AfD zugleich der Chef des vom Verfassungsschutz als Prüffall eingestuften völkischen Flügels ist: Björn Höcke. Im Falle einer Regierung von CDU, FDP und AfD könnte er für sich beanspruchen, neuer Ministerpräsident zu werden. Ist das die Brandmauer der Demokratie? 
Nein, diese Mauer muss schon früher stehen. Ein Ministerpräsident Höcke ist vollkommen undenkbar, das weiß er auch selbst. Aber schon eine Tolerierung wäre ein Triumph für ihn. Die CDU wäre dann machtpolitisch abhängig von der AfD, ohne dass diese das Regierungshandeln zu verantworten hätte, während Mitte-Links einen gnadenlosen Lagerwahlkampf führen könnte. Das würde die CDU zerreißen.

Und wo muss die Brandmauer dann stehen?
Eine Demokratie sollte nicht zulassen, dass eine fundamentaloppositionelle Partei de facto entscheidet, wo es langgeht. In vielen ostdeutschen Kommunen geschieht das aber längst. Nehmen Sie das sächsischen Meißen. Dort hat der Amtsinhaber der CDU den ersten Wahlgang klar gegen den Mehrparteienkandidaten Frank Richter verloren, ließ sich dann aber in der Stichwahl von der AfD unterstützen und gewann.

In Ihrem Buch schreiben Sie: „Unser Problem mit Euch liegt nicht darin, was Ihr sagt, sondern wie Ihr es sagt.“ Was meinen Sie damit?  
Natürlich gibt es Inhalte, beispielsweise die völkische Begründung des Staates oder die Hetze gegen Zugewanderte, die es nicht verdienen, diskutiert zu werden. Andere Fragen, wie etwa das Verhältnis von Migration und Wohlfahrtsstaat, sind dagegen legitim. Sie müssen gestellt werden, und man kann sehr wohl darüber reden – nur nicht im feindseligen Geist des Bürgerkriegs. 

Was meinen Sie damit?
Die AfD benutzt rhetorische Muster, die komplizierte Sachfragen herunterbrechen auf ein simples Entweder-Oder Freund oder Feind, Täter oder Opfer, Volk oder Eliten, wir oder ihr. Es ist die Logik einer kriegerischen Auseinandersetzung. 

Ist das nicht ein bisschen übertrieben?
Nein, die Partei will vermutlich keinen echten Bürgerkrieg. Sie agiert aber in der Logik eines Kriegs. Sie sagt nicht: Wir sind eine Partei mit einem alternativen Programm. Sie empfiehlt sich als einzige Alternative zu allen anderen Parteien. Es ist sehr leicht, mit dieser Logik Anhänger zu mobilisieren.     

Man sollte meinen, miteinander zu reden, sei eine Grundvoraussetzung für Demokratie. Warum ist das heutzutage in der Politik nicht mehr selbstverständlich? 
Das hat viele Gründe. Und die Verantwortung für diese Lage liegt auch auch nicht nur auf einer Seite. Es ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass die AfD durch bewusst anstößige Rhetorik und Tabubrüche mobilisiert. Wenn diese Grenzverletzungen von rechts kommen, reagiert man darauf in Deutschland aus nachvollziehbaren Gründen allergisch. Es gibt eine kategorische Abwehr gegen alles, was sich rechts von der Union bewegt. 

Ist es vor diesem Hintergrund besonders hilfreich, AfD-Anhänger als Nazis zu verunglimpfen? 
Nein, im Gegenteil. Weil sie so erwartbar ist, lässt sich diese Haltung wunderbar ausnutzen. Man gibt sich nicht offen rechtsextrem, will es im Zweifelsfall nicht so gemeint haben und geriert sich dann als Opfer einer Verleumdung. Dieser Mechanismus trägt sich selbst. Je stärker ausgegrenzt wird, desto leichter fällt die Provokation. Am Ende wird das Ganze zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung. 

Per Leo / privat

Aber sechs Millionen Holocaust-Opfer sind eben nun mal „kein Vogelschiss der Geschichte“, wie AfD-Chef Alexander Gauland mal gesagt hat. 
Die Empörung ist nachvollziehbar, und trotzdem sollte man sie dosieren, weil die Erwartung der „Nazi-Keule“ zur Mobilisierungsstrategie der AfD gehört. 

Wie schafft man den Balanceakt, nicht die Nazi-Keule zu schwingen, ohne in einen AfD-Versteher-Modus zu verfallen?
Indem man sich klar macht, dass es für die AfD zwei Wege zur Macht gibt: Entweder sie polarisiert, mobilisiert so ihre Wähler und wird irgendwann mehrheitsfähig. Oder sie diktiert den anderen Parteien Themen und Programme, ohne selbst dafür Verantwortung zu übernehmen. 

Aber in der Migrationspolitik lässt sich die Groko doch jetzt schon von der AfD vor sich hertreiben.
Es gilt generell, dass sich in der Stärke rechter Sammlungsbewegungen immer die Schwäche der anderen zeigt. Die etablierten Parteien müssen dringend an ihrem eigenen Profil arbeiten. Sie müssen sich fragen, wofür sie stehen und wie sie sich voneinander unterscheiden wollen. Unklug wäre es, wenn sie alle gemeinsam die AfD bekämpften. Denn das ist genau das Narrativ, von dem die Partei zehrt.  

Kritiker Ihres Buches sagen, die AfD sei auch deswegen so stark geworden, weil wohlmeinende Gespräche eben nichts genützt haben.
Ich lasse mich nicht in Haftung nehmen für jedes schlecht geführte Gespräch, das mit Rechtsintellektuellen oder AfD-Politikern geführt wird. Ich habe klare Richtlinien, unter welchen Umständen ich wie und mit wem rede. Bei vielen Journalisten bin ich mir da nicht so sicher. Wer zum Beispiel als Journalist versucht, eine politische Partei plattzumachen, überfordert sich nicht nur maßlos. Er macht auch seinen Job nicht. 

Sie spielen auf das jüngste ZDF-Interview mit Björn Höcke an?
Das ist nur das eklatanteste Beispiel für die weit verbreitete Ambition, mit journalistischen Mitteln Politik zu machen. Der Zweck dieses Interviews war es offensichtlich, Höcke öffentlich zur Kapitulation zu zwingen. Das musste schief gehen. Der ZDF-Mann wurde dafür zwar bejubelt. Aber zum Gesamtbild gehört eben auch der Jubel auf der anderen Seite. Seine Anhänger haben sich mit Höcke solidarisiert, weil sie den Umgang mit ihm unfair fanden. Und nicht nur sie. 

Aber hilft es der Partei nicht noch mehr, wenn man ihre Vertreter unwidersprochen reden lässt?
Diese Willfährigkeit ist genauso gefährlich. Der Mittelweg bestünde darin, einfach seine Arbeit als Journalist zu machen. Das ist im Umgang mit AfD-Politikern aber besonders schwer. Einerseits muss man sich den Vorwurf gefallen lassen, als „Lügenpresse“ Teil des Systems zu sein, andererseits gibt es einen zynischen Willen, dieses System für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Wer da nicht mitspielen will, wird sich gut vorbereiten müssen. Zum Beispiel, indem man den Spieß umdreht und nicht die immer gleichen erwartbaren Fragen stellt. Aber das erfordert einen Lernprozess, den man allein kaum schaffen kann. Das sollte als gesamtredaktionelle Aufgabe betrachtet werden, genauso wie der Umgang mit dem Rechtspopulismus eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt. 

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