AfD und öffentlich rechtliche Medien - „Sie haben der Freiheit eine Gasse geschlagen“

In Dresden stellten sich die Chefredakteure von ARD und ZDF den Fragen der AfD – ein erster Schritt in Richtung gleichberechtigtem Diskurs. Doch einig war man sich nur beim Ideal journalistischer Arbeit, nicht bei der Wahrnehmung der Realität. Ein Journalist redete sich um Kopf und Kragen

ZDF-Chefredakteur Peter Frey: „Ein Handwerk ohne Fehler gibt es nicht!“ / picture alliance
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Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Zu den schönsten Romanen Martin Mosebachs gehört sein Werk von 2010, „Was davor geschah“. Es ist die Geschichte einer Liebe, die an der titelgebenden Frage zu zerschellen droht: Kann man jemanden ganz verstehen, über dessen Vorgeschichte man im Unklaren ist?

Der Dresdner Anwalt Maximilian Krah, stellvertretender Landesvorsitzender der sächsischen AfD, sagte am Ende von zwei denkwürdigen Stunden in der Dresdner Messe einen ebenso denkwürdigen Satz, der alles davor Gesagte ins grell programmatische Licht rückte: „Sie haben es – und ich hoffe, auch beabsichtigt – für uns in ganz Deutschland leichter gemacht, miteinander zu diskutieren. Denn wir können jetzt überall von Flensburg bis nach München vorbringen: Wenn die Chefredakteure von ARD und ZDF zu uns, zur AfD kommen, um mit uns zu diskutieren, warum wollt ihr, die ihr keine Chefredakteure seid, nicht mit uns diskutieren? Sie haben der Freiheit eine Gasse geschlagen.“ Die derart Gelobten, Kai Gniffke (ARD) und Peter Frey (ZDF), schauten recht sauertöpfisch drein.

Trennung von Meinung und Bericht?

Auch in anderer Hinsicht war der außergewöhnliche Abend die Folge dessen, was davor geschah: Die AfD und deren besonders im Osten unserer Republik große Anhängerschar sehen in Journalisten, vor allem in jenen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, Agenten einer regierungstreuen „Lückenpresse“. Den Ausdruck prägte der Schriftsteller und langjährige „Focus“-Journalist Michael Klonovsky, nun Referent und Redenschreiber des AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland. Klonovsky saß auf dem Podium und mahnte bei Tagesschau-Chef Gniffke und Frey an, was er bei ARD und ZDF zunehmend vermisse: die Trennung von Meinung und Bericht.

Er setzte hinzu, „Sie leben von Steuergeldern!“ Bei privatwirtschaftlichen Unternehmen täte ihn derlei Genrevermischung zu pädagogischen Zwecken nicht kümmern. Als illustrierendes Beispiel führte Klonovsky eine Aussage des ARD-Journalisten Georg Restle (Monitor) an, der sich gegen einen „Neutralitätswahn“ in den Medien gewandt hatte. 

Klonovsky zur Seite saß Nicolaus Fest, ebenfalls ein ehemaliger Journalist (Bild, Bild am Sonntag) und jetziger AfD-Politiker. Der einladende „AfD Kreisverband Dresden“ hatte zur mit „Medien & Meinung“ betitelten Podiumsdiskussion zwei kluge Köpfe der Partei geladen. Dass diesen mit ZDF-Chefredakteur Peter Frey und Kai Gniffke, dem Leiter von ARD-aktuell, zwei erfahrene Alphamänner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gegenüber traten, gehört ebenfalls zur Geschichte dessen, was davor geschah: ARD und ZDF befleißigten sich in der Vergangenheit eines Tons moralischer Entrüstung gegenüber der AfD und deren Wählern  – oder tun sie es noch?

„Wir dürfen Ihnen keine Meinung unterjubeln“

Gniffke ließ keinen Zweifel an seinem Ethos: „Es ist ein journalistisches Grundprinzip, dass man beide Seiten hört. (…) Wir haben weder positiv noch negativ zu berichten. Es ist nicht unsere Aufgabe, Ihnen vorzuschreiben, was gut und was schlecht ist. (…) Wir haben Ihnen die Fakten zu liefern, und wir haben sie nach fairem journalistischen Handwerk zu liefern.“ Da gab es großes Gelächter im Saal. Ausgangspunkt des Gniffke'schen Plädoyers war Klonovskys Frage, warum die ARD fast nur negativ über Donald Trump berichtet habe.

Womit die Fronten besetzt waren. Die Vertreter von ARD und ZDF behaupteten eine Normalität, die das der AfD wohlgesonnene Publikum ins Reich der Fabel verwies. Klonovsky und Fest wünschten sich ein Fernsehen herbei, das so beschaffen wäre, wie es laut der Fernsehleute bereits sei: „Wir wollen niemanden bevormunden.“ (Frey) „Wir müssen wegkommen von Schwarz oder Weiß. (…) Wir dürfen als Öffentlich-Rechtliche nicht versuchen, Ihnen eine Meinung unterzujubeln. Wir haben die Informationen zu liefern und nicht Meinungen zu vermitteln.“ (Gniffke) „Wir müssen die Fakten beachten. Daran arbeiten wir redaktionell sehr hart.“ (Frey)

Komplette Einigkeit herrschte also bei der Beschreibung der Norm, komplette Differenz bei der Wahrnehmung der Realität. ARD und ZDF, so der im Saal vorherrschende und von Fest und Klonovsky unterstützte Eindruck, wollen die Beitragszahler erziehen und belehren. ARD und ZDF konterten, sie mühten sich nach bestem Wissen und Gewissen, gingen streng mit sich selbst ins Gericht, und „ein Handwerk ohne Fehler gibt es nicht.“ (Frey).

„Ideologische Verdrehung“?

Journalismus als Handwerk. Da trafen sich Gniffke und Frey. Bei Gniffke erschien der Journalist als Architekt, der sein Nachrichtenhaus auch dann wetterfest und lotrecht baue, wenn er sich mit AfD-Material abzumühen habe, bildlich gesprochen. Nicolaus Fest hingegen ortete „ideologische Verdrehung“ bei mehrheitlich links sozialisierten Journalisten, denen der Blick etwa auf die unterschiedlichen Tätergruppen bei Gewaltverbrechen zum Problem werde, sobald es sich um Migranten handelt. Und warum, worauf Moderator Klaus Kelle hinwies, kamen eigentlich in einer Tagesschau fünf O-Töne von Chemnitzer Demonstranten für ein „buntes Deutschland“ vor, aber kein einziger von der zahlenmäßig größeren Demonstration besorgter Bürger? Manche Demonstranten, so Gniffke, wollten nun einmal nicht mit den Medien reden. 

Je länger der Abend dauerte, desto forscher redete sich Gniffke um Kopf und Kragen: Den Rundfunkbeitrag von monatlich 17 Euro 50 zahle auch er „vielleicht nicht besonders gern.“ Es handle sich aber beim öffentlich-rechtlichen System um eine Art „Krankenversicherung, da zahlen alle für ein, egal, ob sie gesund oder krank sind“ – worin bestünde die Kur der ARD? Wie lautet die Krankheit? „Wir müssen Meinung und Bericht trennen. Und wer es nicht beherrscht, der fliegt raus.“ Blies hier wer zurecht die Backen auf oder markierte wer den großen Max? „Wir müssen an die Wurzel gehen. Wir müssen die Dinge erklären.“ Wird solche Radikalität praktisch, wenn die Tagesschau ausweislich ihrer O-Töne Demonstranten je nach Demonstrationsmotto verschieden würdigt?

Zentrale Fragen bleiben unbeantwortet

Als am Ende die Frage nach dem Migrationspakt der Vereinten Nationen aufkam, erweckte Gniffke den Eindruck, davon zum ersten Mal zu hören. Sollte dieser aber am 11. Dezember unterzeichnet werden, „bin ich mir sicher, dass wir dann berichten werden.“ Wütende Proteste im Publikum erntete solche Lässigkeit. „Heute! Heute“ müsse man davon berichten. Die Moderatoren baten um Mäßigung.

Das weich modulierte „ned“ statt dem harten „nicht“ des gebürtigen Frankfurters, aufgewachsen in der Eifel, trug Gniffke mehr Sympathiepunkte ein als Frey, obwohl dieser die Argumente der Gegenseite eher aufnahm, ohne allzu sehr ins Detail zu gehen. Frey stammt aus Bingen. Zwei Rheinland-Pfälzer sprachen zu den Sachsen. Und verteilten bitteres Lob: „Ohne Björn Höckes Auftritt mit Deutschlandfahne bei Günter Jauch und viele, viele andere Auftritte in den Jahren 2013/14/15 wäre aus der AfD nicht die politische Kraft geworden, die sie heute ist. Das gehört zur Wahrheit dazu.“ (Frey)

Zur Wahrheit gehört auch, dass eine zentrale Frage des zweiten Moderators, Andreas Lombards vom Magazin Cato, unbeantwortet blieb: „Bei vielen Themen entsteht der Eindruck, es gäbe nur zwei Optionen. Ich bin für die gleichgeschlechtliche Ehe, oder ich bin homophob. Ich bin für die Euro-Rettung, oder ich bin Nationalist. Ich bin für Multikulti, oder ich bin Faschist. Ich sehe nicht, dass es im öffentlichen Klima und in der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung eine dritte Option gibt. Wo bleibt die Position der bürgerlichen Mitte im Diskurs?“ Da schwieg man aufgeregt durcheinander.

AfD trägt Mitverantwortung

Vor Maximilian Krahs programmatischem Schlusswort geschah noch dies: Nicolaus Fest gestand zu, dass die AfD durch zuweilen grobianische Rede eine Mitverantwortung trage, wenn das Gespräch zwischen AfD und Medien „sich in unerfreulicher Weise verkantet.“ Peter Frey versprach, sich redaktionell um den UN-Migrationspakt zu kümmern. Er nannte die Dresdner Diskussion „einen Anfang, und wir haben uns nicht gekloppt.“ Er verlasse Dresden „mit dem Gefühl, dass wir Grund haben nachzudenken.“ In der Tat profitierten letztlich alle Seiten, die Fernsehprofis und das Publikum und die AfD, von dieser Veranstaltung, eben weil sie stattfand. Klonovsky hatte laut eigenem Bekenntnis „einen ganzen Eimer Kreide“ zur Vorbereitung verspeist, um keinem spontanen Furor zu erliegen. Auch der angriffslustige Frey beließ es bei sporadischer Kanzelrede und staunenden Blicken ins Publikum.

Martin Mosebach schreibt, den „Gegenstand unserer Geschichte“ solle man einfach den „notwendigen Zufall“ nennen. Genau das waren die zwei Dresdner Stunden. Eine zufällig notwendig gewordene Begegnung, die sich runden könnte, sofern ihr weitere folgen. Sie bleibt kompliziert, die Hassliebe von AfD und Medien.


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