SPD - Rot-Grün ist mausetot

Der SPD droht ein Desaster bei der Landtagswahl in Bayern und das politische Abseits. Jahrelang hat sie Grüne und Linke imitiert und eigene Kernthemen vernachlässigt. Parteichefin Andrea Nahles bereitet jetzt einen Kurswechsel vor. Doch der könnte zu spät kommen

Mit unangenehmen Wahrheiten im Gepäck: Andrea Nahles auf dem Weg zu einer Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion / picture alliance
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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Andrea Nahles reist in diesen Tagen durch Bayern. Sommerreise im Vorwahlkampf. Am 14. Oktober ist dort Landtagswahl und glaubt man Umfragen, dann könnte diese für die SPD mit einem Desaster enden, trotz der Schwäche der CSU. Doch Schlagzeilen machte die SPD-Vorsitzende in diesen Tagen nicht mit neuen politischen Ideen oder einem strategischen Seitenhieb gegen die CSU, sondern mit einem Frontalangriff auf die Grünen. Und das aus gutem Grund.

Die SPD kommt aus dem Umfragetief nicht heraus, obwohl sie sich in der Großen Koalition angesichts des Schwesternstreits in der Union als zuverlässiger, staatstragender und lösungsorientierter Koalitionspartner präsentiert hat. Die Partei ist tief gespalten, das haben nach der Bundestagswahl im vergangenen Jahr die quälenden innerparteilichen Diskussionen um die Fortsetzung der Großen Koalition gezeigt. Programmatisch und strategisch orientierungslos rutscht die SPD in der Wählergunst immer weiter ab. In Bayern kann die SPD-Vorsitzende nun das ganze Elend der deutschen Sozialdemokratie vor Ort und an der Basis besichtigen.

SPD in der Existenzkrise

Unter Druck gerät die SPD von allen Seiten. Die CDU, allen voran Kanzlerin Merkel, verkauft sozialdemokratische Ideen als ihre, die AfD wildert vor allem bei den traditionellen SPD-Wählern, weil es der Partei nicht gelang, in der Flüchtlingspolitik mit einer Stimme zu sprechen. Die Linkspartei profiliert sich mit populistischer Umverteilungsrhetorik und bietet dabei immer etwas mehr als die Sozialdemokraten.

Und die Grünen? Sie präsentieren sich als neue Partei des aufgeklärten links-liberalen Bürgertums. Vor allem das neue Vorsitzendenduo Annalena Baerbock und Robert Habeck sieht in der Krise der SPD für ihre Partei eine Chance. Sie hoffen, dass die Grünen von einer kleinen zu einer mittelgroßen Partei werden können, bundesweit sogar zur zweitstärksten Partei. Mit proeuropäischem Patriotismus und ökologischer Wertepolitik wollen sie zugleich enttäuschte Wähler von SPD und Union für sich gewinnen. In Bayern ist es den Grünen anders als der SPD in den vergangenen Jahren zudem gelungen, das spezielle weißblaue Lebensgefühl zu adaptieren.

So sind die Grünen dabei, der SPD den Platz als zweitstärkste Partei in Bayern streitig zu machen. Bei 16 Prozent liegt die Öko-Partei in Umfragen, die SPD nur noch bei 13 Prozent. Auch die AfD könnte an der SPD vorbei ziehen. Bayern wäre nach Baden-Württemberg das zweite große westdeutsche Flächenland, in dem die SPD vom Wähler marginalisiert zu werden droht. Auch im Osten ist die SPD nur noch vierstärkste Partei. Die Umfragen aus Bayern sind für die SPD also ein neues dramatisches Alarmsignal dafür, dass die Existenzkrise der Partei gerade erst begonnen hat.

Die Grünen wenden sich ab

Doch während die SPD mit der von ihr als Qual empfundenen Großen Koalition fremdelt, sich an die glorreichen rot-grünen Zeiten zurücksehnt und große Teile der Partei von einem Linksbündnis träumen, sind die Grünen dazu längst auf Distanz gegangen. Sowohl die Realos als auch die Linken haben längst erkannt, dass Rot-Grün angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen mausetot ist. Rot-Rot-Grün gar nur noch ein Hirngespinst von realitätsverleugnenden Funktionären ist. Folglich haben sich die Grünen strategisch darauf eingestellt, dass der Weg an die Macht im Bund in den Ländern derzeit nur über Koalitionen mit CDU und CSU oder über Jamaika führt.

Für die SPD heißt dies andererseits, dass sie nicht nur programmatisch, sondern auch machtstrategisch in Abseits geraten zu droht. In manchen Bundesländern ist sie bereits so schwach, dass es nicht mehr für eine Koalition mit CDU beziehungsweise CSU reicht.

Die politischen Fehler zweier Jahrzehnte

Die Fehler der Vergangenheit holen die Partei gnadenlos ein. Zwei Jahrzehnte lang haben die Sozialdemokraten versucht, ökologischer als die Grünen oder sozialer als die Linkspartei zu sein. So haben sie einen Wettbewerb initiiert, bei dem die SPD nur verlieren konnte und auch die politische Linke insgesamt schrumpfen musste. Nicht unterschiedliche Wählergruppen haben die drei Parteien beackert, sondern dieselben.

Gesellschaftspolitische Themen standen bei den Sozialdemokraten folglich hoch im Kurs. Industrie- und Wirtschaftspolitik sowie Innenpolitik, die unter Gerhard Schröder noch sozialdemokratische Stärken waren, haben sie zugleich völlig vernachlässigt. Praktische Themen wie Wohnungsmangel oder Pflegenotstand, bei denen der Staat handeln kann und handeln muss, wurden verschlafen. In der Flüchtlingspolitik hat die Partei über drei Jahre überhaupt keine Position entwickelt und sich so von der politischen Konkurrenz treiben lassen. Folgerichtig haben sich vor allem viele Industriearbeiter und kleine Angestellte enttäuscht von ihrer Partei abgewandt.

Das Ende der rot-grünen Liebe?

Parteichefin Nahles scheint dies erkannt zu haben, scheut aber noch den großen Konflikt. In kleinen, fast homöopathischen Dosen versucht sie stattdessen, ihren Genossen ein paar unangenehme Wahrheiten beizubringen. In der Flüchtlingspolitik genauso wie im Verhältnis zu den Grünen. Angefangen hat es vor ein paar Wochen mit einer eigentlich banalen Feststellung in der Flüchtlingspolitik. „Wir können nicht alle bei uns aufnehmen“, sagte die SPD-Chefin in einem Zeitungsinterview und erntete dafür viel innerparteilichen Widerspruch. Als Reaktion auf den Streit zwischen CDU und CSU folgte Anfang Juli ein Fünf-Punkte-Plan in der Flüchtlings- und Einwanderungspolitik. Dazu plädierte Nahles für einen „pragmatischen Humanismus“, der die Hilfsbedürftigen genauso im Blick habe wie die eigenen Interessen.

In der vergangenen Woche nun ging Nahles in einem weiteren Zeitungsinterview auf die Grünen los, warnte ihre Partei in der Asylpolitik aber auch darüber hinaus vor einer „Imitation der Grünen“ und warf der politischen Konkurrenz „einfache Positionen“ vor. Es sieht so aus, als bereite die SPD-Vorsitzende ihre Mitglieder und vor allem Funktionäre auf das Ende der rot-grünen Liebe und einen programmatischen Kurswechsel vor. Allerhöchste Zeit wird es. Nur für Bayern käme ein solcher Kurswechsel vermutlich zu spät.

 

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