Opposition in der Krise - Die Große Koalition und das Versagen der Linken

Die Wahl im Saarland zeigt: Die Opposition aus Grünen und Linken ist ein Trauerspiel. Dabei müsste sie nach den Gesetzen der Demokratie von einer Großen Koalition auf Landes- und Bundesebene profitieren. Warum das Versagen schlecht für das ganze Land ist

Grüne und Linke wie Cem Özdemir und Dietmar Bartsch geben derzeit ein jämmerliches Bild ab / picture alliance
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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Zu den bemerkenswerten Ergebnissen der Landtagswahl im Saarland gehört das Versagen der Opposition, der linken Opposition muss man konkreter sagen. Drei Parteien bildeten in den vergangenen fünf Jahren die politischen Widersacher der Großen Koalition im Landtag von Saarbrücken. Grüne, Linke und Piraten. Und was haben Sie daraus gemacht? Nichts!

Alle drei Oppositionsparteien verloren an Zustimmung. Die Piraten wurden pulverisiert, von 36.000 Wählern 2012 blieben nur noch 4.000. Die Linken verloren 9.000 Stimmen, die Grünen 3.000. Und dies trotz einer um acht Prozentpunkte gestiegenen Wahlbeteiligung, obwohl am Sonntag knapp 60.000 Wähler mehr an die Wahlurne gegangen waren als fünf Jahre zuvor. Die CDU hingegen konnte 48.000 Wähler hinzugewinnen und die SPD 11.000. Zusammen gewannen die beiden Regierungsparteien fast doppelt so viele Stimmen hinzu wie die Protestpartei AfD.

Opposition müsste profitieren

Verkehrte Welt in Saarbrücken. Denn zu den ehernen Gesetzen der Parteiendemokratie gehört es eigentlich, dass sich eine Regierung mit der Zeit abnutzt, im Regierungsalltag aufreibt, die Unzufriedenheit wächst. Dass die Zustimmung zu den Regierungsparteien abnimmt und die Oppositionsparteien davon profitieren. Und auch wenn die Kernwählerschaft stabil bleibt, bröckelt es in der Regel an den Außen, bei den Rand- und Wechselwählern. Und da nicht nur in Saarbrücken, sondern auch in Berlin eine Große Koalition regiert, Landtagswahlen immer auch von bundespolitischen Stimmungen beeinflusst werden, hätte auch die Unzufriedenheit über die Politik der Großen Koalition in Berlin die Opposition im Saarland verstärken müssen. Hat sie aber nicht.

Natürlich kann es daran liegen, dass die Unzufriedenheit der Wähler eine Erfindung der Medien ist, dass die Zufriedenheit mit der Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel insgesamt weiter hoch ist. Ist die Flüchtlingskrise vergessen? Der Stillstand in der Innenpolitik? Die Dauerkrise der Europäischen Union? Kann es sein, dass die Wähler in ihrer großen Mehrzahl Veränderung fürchten? Sind sie im Grunde zufrieden damit, dass eine „schwäbische Hausfrau“ das Kanzleramt regiert und ihr im Kabinett ein Betriebsrat ihr zu Seite steht?

Oppositionsparteien haben ein Personalproblem

Aber vielleicht hängt die stabile Zustimmung der Wähler für die Große Koalition auch mit der Opposition zusammen. Die bietet derzeit ein jämmerliches Bild. Grüne und Linke präsentieren sich derzeit alles andere als attraktiv. Man könnte die Opposition gegen die Große Koalition auch ein Trauerspiel nennen.

Sieht man einmal von einem harten Kern von Protestwählern ab, die derzeit ihr Kreuz vor allem bei der rechtspopulistischen AfD machen, erwarten die Wähler von der Opposition, dass sie sich als Regierung im Wartestand präsentiert. Dass sie bereitsteht, die Macht zu übernehmen, dass sie sich mit alternativen politischen Konzepten präsentiert. Und dass sie dazu politisches Personal aufbietet, dem die Wähler die Regierungsgeschäfte zutrauen. Denn noch eines haben die Wahlen im Saarland einmal mehr gezeigt, Wahlen werden immer zu Personenwahlen, die Kandidaten sind wichtiger als das Programm. Ministerpräsidenten, wie der grüne Winfried Kretschmann oder die Sozialdemokraten Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz und Olaf Scholz in Hamburg verdanken ihre teilweise überraschenden beziehungsweise überraschend deutlichen Wahlsiege vor allem der Beliebtheit über die Parteigrenzen hinaus.

Grüne bieten nur Magerkost

Die Grünen jedoch sind eigentlich zwei Parteien. Der eine Parteiflügel setzt auf eine werteorientierte grüne Politik, die die Ökologie mit der Wirtschaft versöhnt. Er setzt auf bürgerliche Wähler und ein Bündnis mit der CDU. Der andere Flügel diskutiert statt über Umweltschutz lieber über Umverteilung, macht bei Themen wie Gerechtigkeit oder Umverteilung SPD und Linken Konkurrenz. Folgerichtig strebt dieser Parteiflügel ein rot-rot-grünes Bündnis an. Zu sagen haben sich die beiden Parteiflügel nicht mehr viel. Die prominenten Protagonisten heißen Winfried Kretschmann und Jürgen Trittin. Sie reden mehr übereinander als miteinander und machen sich gegenseitig das Leben schwer.

Immerhin sind Kretschmann und Trittin erfahrene und profilierte Machtpolitiker mit viel Regierungserfahrung. Eine selbst- und machtbewusste Partei hätte die beiden vielleicht sogar gemeinsam als Spitzenduo in den Bundestagswahlkampf geschickt, so SPD und CDU gleichermaßen herausgefordert. Aber stattdessen bietet das Spitzenduo Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir nur grüne Magerkost. Die beiden waren in den vergangenen beiden Jahrzehnten irgendwie immer mit dabei und haben seit 1998 schon so viele Positionen vertreten, dass niemand mehr weiß, wofür sie eigentlich stehen, außer dafür, sich irgendwie eine Regierungsbeteiligung zu erschleichen, egal ob an der Seite der CDU oder der SPD.

Die Linken wissen nicht, was sie wollen

Bei der Linkspartei sieht es nicht viel besser aus. Sie weiß noch nicht einmal, ob sie überhaupt regieren will. Oder ob erst Hartz IV abgeschafft und die Nato überwunden werden muss. Tragfähige rot-rot-grüne Kompromisse in der Außen- oder Finanzpolitik, gemeinsame Projekte in der Sozial-, oder Innenpolitik sind nicht in Sicht. Wenn sich Politiker von SPD, Grünen und Linken zu mehr oder weniger geheimen Strategiegesprächen treffen, beschäftigen sie sich seit Jahren vor allem mit Kennlernspielen. Gleichzeitig ist die SPD immer noch der Hauptfeind der Linken, den sie leidenschaftlicher bekämpft als die CDU. Kein Wunder, dass die ganz große Mehrheit der Wähler von rot-rot-grünen Experimenten wenig hält.

Auch das Personalangebot der Linkspartei ist nicht besonders attraktiv. Mit einem Zwei-plus-zwei-Team an der Spitze zieht die Partei in den Bundestagswahlkampf, die beiden Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch sind offiziell die Spitzenkandidaten, aber die beiden Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger gehören auch zum Spitzenteam, in dem sich alle gegenseitig belauern. Kein Wunder, dass sich die Wähler mit Grausen abwenden. 

Kein Widerstand gegen Flüchtlingspolitik

Und noch etwas verhindert, dass Grüne und Linke sich gegen die Bundesregierung profilieren können. In einem der größten politischen und gesellschaftlichen Konflikte der vergangenen Jahre stehen Grüne und Linke ziemlich fest an der Seite der Großen Koalition. In der Flüchtlingspolitik sind sie nicht Opposition, sondern kritischer Wegbegleiter der Großen Koalition. Merkels Grenzöffnung haben beide Parteien bejubelt, Obergrenzen lehnen sie wie die Kanzlerin ab. In der Integrationspolitik unterscheiden sich die Konzepte kaum. An einer kritischen Aufarbeitung des eklatanten Staatsversagens bei der Grenzöffnung im September 2015 und dem Verwaltungschaos im Anschluss haben Grüne und Linke kein Interesse. Im Gegenteil: Allenfalls kritisieren sie Merkel dafür, dass sie Deutschland und Europa wieder abschotten will.

Die Flüchtlingspolitik zeigt genauso wie etwa die Gleichstellungspolitik oder die Energiepolitik: Die CDU ist in ihrer Werteorientierung mittlerweile ziemlich weit nach links gerückt. In dem gesellschaftlichen Großkonflikt zwischen Universalismus und Kommunitarismus, zwischen kultureller Modernisierung und Bewahrung, zwischen Europäisierung und Re-Nationalisierung verbindet sie mit der SPD, aber mit Grünen und selbst mit der Linkspartei, mehr als sie trennt. So tief der Graben beim Thema Umverteilung ist, so fest sind die soziokulturellen Bande. Linke und Grüne können sich aufgrund ihrer festen Verankerung in den modernen und globalisierten politischen Milieus hier gar nicht gegen die CDU stellen. Es bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als die Profilierung und Wählermobilisierung an dieser gesellschaftlichen Konfliktlinie der politischen Rechten vulgo der AfD zu überlassen. So scheint es wie im Saarland auch im Bund nach der Wahl im September keine Alternative zur Großen Koalitionen zu geben. Trotz aller Lockerungsübungen, die derzeit im Verhältnis von SPD, Grünen und Linkspartei zu beobachten sind.

Aus Sicht der Demokratie wäre es besser, Rot-Rot-Grün fände zusammen. Selbst Schwarz-Grün wäre eine wünschenswerte Alternative. Und wenn die FDP wieder in den Bundestag zurückkehrt, ergäben sich weitere Möglichkeiten, denen sich die Parteien dringend öffnen sollten. Die Große Koalition als Dauerzustand tut der Demokratie nicht gut. Sie blockiert den Parteienwettbewerb, sie verhindert einen regelmäßigen Elitenwechsel und erstickt gesellschaftlichen Debatten. Und anders als in der Theorie lösen Große Koalitionen auch keine großen Probleme, sondern verwalten vor allem den Status quo. Dass die Große Koalition beim Wähler so beliebt ist, hat allerdings auch mit dem Versagen von Grünen und Linkspartei zu tun.

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