Klimawandel - Die letzte große Erzählung des Westens

Ernteausfälle, Stürme und Sahara-Sommer: Erklärt werden die Extreme alle mit dem Klimawandel. Doch dieser wird allzu oft instrumentalisiert, um irrationale politische Entscheidungen durchzusetzen. Eine Partei profitiert davon ganz besonders

Kohlekraft: Sinnbild einer verfehlten Klimapolitik / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Sonja Margolina, Jahrgang 1951, ist 1986 aus der Sowjetunion in die Bundesrepublik emigriert. Sie arbeitet als Journalistin und Buchautorin.

So erreichen Sie Sonja Margolina:

Anzeige

Wenn es diesen Ausnahmesommer nicht gegeben hätte, müsste er erfunden werden. Dauerhitze und Trockenheit in Mittel- und Nordeuropa, die von Meteorologen als extremes Wetterereignis eingestuft werden, mögen ihre positive Seiten haben, zum Beispiel für Feriengäste an der sonst kühlen und verregneten atlantischen Küste. Doch viele Wirtschaftsbranchen erleiden bei dem Wetter große Verluste. Atomkraftwerke müssen die Stromproduktion runterfahren, weil es ihnen an Kühlwasser fehlt. Selbst Photovoltaik erzeugt bei der Hitze weniger Strom. Großflächige Waldbrände wie neulich in Schweden bedrohen Siedlungen und hinterlassen Verwüstungsspuren für Jahrzehnte. Die Landwirtschaft im Norden und Osten Deutschlands verzeichnet hohe Ernteausfälle.

Gefangen in der Wohlfühlblase

Viele Bauern, die ihre EU-Zulagen aufgebraucht haben, mögen nun nach Entschädigung schreien. Doch die Vorfahren dieser Bauern würden wohl sagen: Eure Sorgen müsste man haben. Dürrezeiten hatten noch bis in das 20. Jahrhundert in Europa einen dramatischen Anstieg der Lebensmittelpreise zur Folge, Hungersnöte, Epidemien und eine Abwanderung der ländlichen Bevölkerung. Das Gleiche geschah infolge von zu kalten und verregneten Sommern während der Kleinen Eiszeit, die vom Ende des Mittelalters bis in die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts das Klima weltweit in ihrem Griff hielt. Ungeachtet der Durchschnittstemperaturen um bis zu -2 Grad Celsius im Vergleich zum 20. Jahrhundert fanden jedoch auch in der Kleinen Eiszeit außerordentliche Hitzeausbrüche statt – zum Beispiel im Jahr 1540.

Dass die Wetter bedingten Ernteausfälle die soziale Unzufriedenheit verstärkten und zu Bauernaufständen, Kriegen und politischen Umwälzungen beitrugen, belegten Historikern ausreichend in Studien. Allerdings führen solche extremen Wetterereignisse wie die diesjährige Hitze ein Paradox vor Augen: der anspruchsvolle Zeitgenosse mit all seinen Kühlschränken, Klimaanlagen und Pools scheint von den Launen der Natur viel abhängiger zu sein als in der weniger komfortablen Vormoderne. Doch ist ihm seine Überempfindlichkeit und Überreaktion selten bewusst. Gerade weil er sich dank dem technischen Fortschritt von der Natur weitgehend hat emanzipieren können und in einer nie da gewesenen Stabilität seiner Umwelt lebt, bringen schon relativ kurzfristige Phänomene wie die gegenwärtige Hitze die Gemüter in Wallung. Je weniger Risiken man im Alltag ausgesetzt ist, desto mehr verunsichern offenbar gefühlte Abweichungen, Extreme und Warnungen.

Indizien für das kommende Unheil?

Dieses Paradoxon und dessen Folgen führt die Reportage von Peter Burghardt unter dem Titel „Land unter“ in der Süddeutschen Zeitung  exemplarisch vor Augen. Auf der Insel Langeoog in Ostfriesland sprach der Journalist mit dem  Ehepaar Recktenwald, das eine Gastwirtschaft betreibt. Den Insulanern geht es beim mediterranen Wetter blendend, der Andrang der Touristen ist hoch. Dennoch sehen sie für die Zukunft schwarz. Vieles erscheint ihnen heute anders, als es früher war. Früher zogen Wildgänse im Sommer weiter. Nun bleiben sie auf der Insel und fressen den Kälbern das Grass weg. Im Winter hat ein asiatisches Containerschiff im Sturm einen Container mit Überraschungseiern verloren, deren gelbe Plastikkugeln an den Strand angeschwemmt wurden. Während des Sturms „Herwart“ lief der Riesenfrachter Glory Amsterdam vor der Insel auf Grund. Früher geschah so etwas in Sichtweite der Insel nicht. Außerdem trägt das Meer den Sand ab und beim Norddamm rutschte die Abbruchkante ab. Diese Ereignisse werden von Familie Recktenwald als ungewöhnlich und beunruhigend gedeutet. Ihnen geht es aber nicht nur um die Zukunft ihrer  Heimatinsel, die nur ein paar Meter über dem Meeresspiegel liegt. Sie wissen vom Korallensterben und der Gletscher-Schmelze. Sie sehen Indizien für das kommende Unheil in der ganzen Welt.

Vor einer nicht allzu langen Zeit brauchte man Jahre, um den Zusammenhang zwischen der Hungersnot im Mitteleuropa und der Eruption eines Supervulkans in der südlichen Hemisphäre feststellen zu können. Heute erfährt man alles zeitgleich. Ob die Erklärungen stimmen oder bloß moralisch gerechtfertigt und ideologisch gewollt sind, weil sie zum Narrativ der Schuld und Sühne des westlichen Wohlstandsmenschen passen, kann man als Nachrichtenkonsument schlecht beurteilen. Sie müssen geglaubt werden. Zumindest verunsichern sie viele und insbesondere jene, die auf der flachen Insel und von der Insel leben.

Der heiße Kampf um die Deutungshoheit  

Inzwischen arbeiten ganze Branchen daran, Verunsicherungen und Zukunftsängste in der Gesellschaft aufrechtzuerhalten und diese auszubeuten. Die einen, wie Versicherungsgesellschaften, wollen damit ihre Prämien steigern. Die anderen wollen von hohen Subventionen für alternative Energien profitieren. Teile der Zivilgesellschaft indessen – also politisierte Wissenschaftler, Umweltaktivisten, Kämpfer gegen Raubtierkapitalismus und Wirtschaftswachstum – stellen mit Hilfe der Medien die Legitimation für die Massnahmen gegen den klimatischen Weltuntergang sicher.  

So wurde auch Familie Recktenwald bei ihrer Verunsicherung vom Juraprofessor und Umweltaktivisten aus Bremen Gerd Winter abgeholt. Er hat sie überredet, sich an einer Sammelklage gegen die Klimaziele der EU zu beteiligen. Die Reduktion der Emissionen auf 40 Prozent im Vergleich zu 1990 findet er viel zu gering. Mit Sammelklagen im sogenannten People's Climate Case, an dem zehn besorgte Familien aus der ganzen Welt mit selbstloser Hilfe der kundigen Aktivisten teilnehmen, möchte der rebellische Professor beim Europäischen Gerichtshof in Strassburg die Reduktion auf 50 bis 60 Prozent bis 2030 erreichen.

Klima im Tunnelblick

Da lachen sich die Chinesen ins Fäustchen. 2017 betrug ihr Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen 26 Prozent. Die EU stoß 9,1 Prozent und die USA 14 Prozent aus – Tendenz sinkend. Im Unterschied zur EU braucht China als der größte CO2-Emittent der Welt keine Verfahren wegen verfehlter Klimaziele zu befürchten. Für mutige Umweltaktivisten sind demokratische Staaten eine viel leichtere Beute als selbstbewusste Autokratien. Für sein ungebremstes Wirtschaftswachstum braucht China immer mehr Energie und baut deshalb hunderte von Kohlekraftwerken, die die geplante Verringerung der EU-Emissionen schnell und schmerzlos kompensieren werden. Zur Zeit werden in China 368 neue Kraftwerke errichtet und 803 weitere befinden sich in Planung. Es wäre nicht schwer, sich auszurechnen, wie viele Tage die chinesische Wirtschaft brauchen würde, um den Anteil  Deutschlands an den globalen CO2- Emissionen in Höhe von 2,1 Prozent in die Luft zu pusten. Dafür liefert sie gerne an Europa preiswerte Solarzellen, die vom europäischen Steuerzahler subventioniert werden.

Doch Widersprüche und Absurditäten haben die Weltretter noch nie gestört. Der 75-jährige Jura-Professor Winter beteiligte sich schon an Prozessen gegen Atomkraftwerke und Debatten um Gentechnologie. Wer weniger Emissionen will, welche die Klimaerwärmung in die Höhe treiben, sollte eigentlich die Atomkraft befürworten. Denn sie ist CO2-frei und produziert „sauberen Strom“. Vor 30 Jahren warnte die Deutsche Physikalische Gesellschaft vor der Klimakatastrophe und setzte sich mit diesem Argument gegen die Anti-Atom-Bewegung für den Ausbau der Kernkraftwerke ein. Atomwissenschaftler glaubten wohl, dass die Angst vor der Erderwärmung die Befürwortung der Kernenergie zur Folge haben würde. Diese Logik ging jedoch nicht auf. Der Ausbau der Kernkraftwerke wurde gestoppt. Nach dieser Logik sollte auch die beschleunigte Züchtung der trockenheitsresistenten Getreidesorten befürwortet werden. Weit gefehlt. Der Angst vor „genmanipulierten“ Lebensmitteln wird inzwischen weitgehend unhinterfragt gefrönt.

Die Klimakatastrophe ist eine politische Dystopie

Auch der Jura-Professor aus Bremen, der die Insulaner für das Verfahren gegen die EU engagiert hat, weiß, dass wissenschaftlich keine Zunahme der Stürme nachgewiesen ist. Doch seine Argumente haben mit wissenschaftlicher Logik wenig zu tun: „Wir arbeiten mit dem Vorsorgeprinzip. Wir können nicht warten bis Schäden eingetreten sind.“ Nach diesem Prinzip können nicht nur jeder eingetretene Schaden, sondern auch natürliche, aber ungewöhnliche oder unangenehme Veränderungen auf eine herbei fantasierte Ursache zurückgeführt werden. So werden Millionen von Migranten aus ärmeren Staaten, die Afrika oder Südasien verlassen wollen, als Klimaflüchtlinge umdefiniert. Damit werden sie zu Opfern des westlichen Raubtierkapitalismus erklärt, um einen Anspruch auf Asyl zu erhalten.

In diesem Sommer ist zu beobachten, wie Medien, Klimaaktivisten, Politiker und Subventions-Lobbyisten die andauernde Hitze ausschlachten, um die womöglich etwas eingeschlafenen Ängste vor einer Klimakatastrophe zu schüren. Während die Temperaturen 38 Grad Celsius erreichen, bedient man sich schwerer Geschosse. Die Maßnahmen des Pariser Klimaabkommens werden nicht ausreichen, um die drohende Apokalypse zu stoppen. Man könnte also meinen, dass die beschlossene Reduktion der Emissionen sinnlos wäre, weil das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Doch die mediale Panik will das Gegenteil erreichen: eine Mobilmachung der Gesellschaft für den unbedingten Feldzug gegen die Emissionen. Zumindest kurzfristig hat sie ihre Ziel bereits erreicht: Die Umfragewerte der Grünen steigen.

Der Klimawandel scheint die letzte große Erzählung des Westens zu sein. Frühere Glaubenssysteme versprachen eine Erlösung im Jenseits oder eine paradiesische Zukunft auf Erden. Die Klima-Apokalypse ist eine Dystopie und der Ausdruck einer tiefen Wertekrise des linksliberalen Zeitgeistes. Die Familie Recktenwald hofft, dass ihre Sammelklage hilft, den Klimawandel abzuwehren, damit ihr 16-jähriger Sohn auf Langedoog unverändert weiterleben wird. Er soll kein Klimaflüchtling werden.

 

Anzeige