AfD als Merkels Erbe - Die CDU muss sich von Merkels Zuwanderungspolitik lösen

Die AfD profitiert vor allem davon, dass sie als einzige Partei eindeutig weitere Einwanderung ablehnt. Die CDU könnte ihr wohl einen großen Teil ihrer Wähler nehmen, wenn sie sich endlich von Merkels Politik frei machte.

Angela Merkel (CDU), ehemalige Bundeskanzlerin, und Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender, begrüßen sich bei der Eröffnungsveranstaltung der Bundeskanzler-Helmut-Kohl-Stiftung in der Friedrichstadtkirche am Gendarmenmarkt, 27.09.2022 / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

So erreichen Sie Hugo Müller-Vogg:

Anzeige

„Einwanderung stärkt die AfD“ lautet die Überschrift eines Beitrags des Meinungsforschers Thomas Petersen in der F.A.Z. Diese Feststellung ist wahrlich keine Überraschung. Was ohnehin viele vermuten, untermauert Petersen, Projektleiter beim Institut für Demoskopie Allenbach, mit Zahlen aus einer aktuellen Umfrage.

Dass Rechtsextreme und Menschen mit „ausgeprägt rechten, teils autoritären politischen Ansichten“ 56 Prozent der AfD-Wähler ausmachen, liegt nahe. Petersen: „Damit bleiben immerhin 44 Prozent übrig, die keine ausgeprägt rechte politische Position einnehmen.“ Gleichwohl wählen sie die Rechtsaußenpartei oder wollen sie dies künftig tun.
Diese Gruppe unterscheidet sich der Umfrage zufolge von ihren Mitbürgern unter anderem, dass sie zu 87 Prozent über den Zustrom an Flüchtlingen besorgt ist. In der Gesamtbevölkerung sind das ebenfalls 56 Prozent, aber doch deutlich weniger als bei den AfD-Anhängern. Letztere sind zudem überzeugt, die AfD habe ein „vernünftiges Einwanderungskonzept“.

Wenn mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten (56 Prozent) sich wegen der ungeregelten Zuwanderung „große Sorgen“ macht, müsste sich das zugunsten der Oppositionsparteien auswirken. Das ist auch der Fall, wenngleich nur eine der oppositionellen Parteien im Bundestag davon profitiert – nämlich die AfD. Den Gegnern offener Grenzen hat die Europawahlversammlung der AfD geliefert, was bei ihnen offenbar gut ankommt. Da wurden rechtsextremistische Verschwörungstheorien wie beispielsweise die vom sogenannten Großen Austausch vertreten, die Migration als „Angriff auf alles, was uns lieb ist, unsere Kultur, unsere Religion, ja, unsere Heimat," beklagt, der „menschgemachte Bevölkerungswandel“ verurteilt oder eine „millionenfache Remigration“ gefordert.

 

Mehr zum Thema:

 

Selbst Anklänge an das Nazi-Vokabular oder die Übernahme von Parolen der rechtsextremistischen „Identitären Bewegung“ scheint Wähler „ohne ausgeprägte rechte Positionen“ nicht zu schrecken. Schließlich ist die AfD die einzige Oppositionspartei, die rigoros gegen die Aufnahme von Flüchtlingen Front macht und eine ebenso rigorose Ausweisung von bereits hier lebenden Zuwanderern propagiert, unabhängig davon, dass das leichter zu fordern als umzusetzen ist.

Die AfD hat bei diesem Thema einen strategischen Vorteil: Sie bezieht hier als einzige Partei eine eindeutige Position: Sie will keine weitere Zuwanderung, weder aus humanitären noch aus arbeitsmarktpolitischen Gründen. Die Linke hingegen, einst gerade im Osten bevorzugte Wahl aller Unzufriedenen, ist beim Thema Zuwanderung nicht weniger grün als die Grünen. Genau das wirft die auf dem Absprung befindliche Sahra Wagenknecht den „Lifestyle-Linken“ in ihrer Noch-Partei vor.

Aufstand der Merkelianer

Bliebe die CDU/CSU als mit Abstand größte Oppositionspartei. Die kritisiert die Zuwanderungspolitik der Ampel-Koalition durchaus, lehnt beispielsweise den sogenannten Spurwechsel von geduldeten Asylbewerbern in die Kategorie „Fachkräftezuwanderung“ strikt ab. Aber innerhalb der Fraktion denken nicht alle so, wie Fraktionschef Friedrich Merz spricht. So konnte Merz bei der 1. Lesung des Gesetzesentwurfs der Ampel zum „Chance-Aufenthaltsrecht“ Ende letzten Jahres seine Fraktion nicht geschlossen zu einem Nein bewegen. 19 Abgeordnete enthielten sich, lobten die vorgeschlagenen Änderungen sogar als „sinnvoll und pragmatisch“. Das war freilich kein Aufstand von Hinterbänklern, sondern von „Merkelianern“, die Merz als Parteivorsitzenden am liebsten verhindert hätten.

Unter der Abweichlern waren viele bekannte Namen wie Ex-Kanzlerkandidat Armin Laschet sowie Hermann Gröhe, Anja Karliczeck, Monika Grütters und Annette Widmann-Mauz, allesamt die Ex-Minister oder Ex-Staatssekretäre aus dem Kabinett von Angela Merkel. Ihre Enthaltung war ein Warnschuss in Richtung Merz, sich nicht allzu weit von Zuwanderungspolitik der Ära Merkel zu entfernen. Genau diese Politik Merkels hat der AfD den Auftrieb gegeben, der sie damals in den Bundestag und alle Landtage getragen hat.

Merkels Politik, die Grenzen so weit offen zu lassen, dass Zuwanderungswillige in aller Herren Länder sich eingeladen fühlten, belastet die Union bis heute. Nun hat die Kanzlerin damals ihre Politik des „wir schaffen das“ samt der indirekten Drohung „nicht mein Land“ nicht diktatorisch umgesetzt. Auf dem Karlsruher Bundesparteitag spendeten die Delegierten nicht enden wollenden Beifall. Ihren Kritikern in der CDU fehlte der Mut, sich offen gegen die von den meisten Medien bejubelte, weil grün imprägnierte Politik der Kanzlerin zu stellen. Und CSU-Chef Horst Seehofer zog ständig neue rote Linien, die sich aber irgendwie als Spuren im Sand erwiesen.

Das Leiden am „Modernisierungsprozess“

Zum Erbe Merkels zählt die Etablierung der AfD. Der Hausdemoskop der Kanzlerin, Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen, hatte diese AfD nach ihren ersten Landtagswahlerfolgen 2014 sogar als „Chance für die CDU“ bezeichnet. Seine Begründung: Die Konkurrenz von ganz rechts sorge für eine „größere Glaubwürdigkeit“ des Merkelschen „Modernisierungsprozesses und des Kurses der Mitte“. Unter den Folgen dieses „Modernisierungsprozesses“ leidet die CDU noch heute.

Merz könnte am glaubwürdigsten die Fehler der CDU in der Einwanderungspolitik einräumen. Schließlich war er nur während Merkels ersten vier Kanzlerjahren (2005 bis 2009) noch im Bundestag, lange vor der Flüchtlingskrise. Doch will er keinen offenen Bruch mit den Merkelianern in Partei und Fraktion riskieren. Schließlich ist er angetreten, die nach der Bundestagswahl-Katastrophe von 2021 am Boden liegende Partei wieder aufzurichten.

Wie sehr die Union in der Zuwanderungspolitik mit sich selbst ringt, zeigte sich jüngst, als ihr Parlamentarischer Geschäftsführer im Bundestag, Thorsten Frei, dafür plädierte, das Individualrecht auf Asyl in der Europäischen Union abzuschaffen. Stattdessen solle es eine „Institutsgarantie“ geben, in deren Rahmen die EU jährlich ein Kontingent von 300.000 bis 400.000 Schutzbedürftigen direkt aus dem Ausland aufnehmen und auf die Mitgliedstaaten verteile. Merz nannte das „einen wichtigen Beitrag, um ein Problem zu lösen, das wir seit Jahren sehen“. Sehr begeistert klang das nicht.

Abnabung von Merkel ist angesagt

Die Tatsache, dass sich die AfD im Parteiensystem etabliert hat, und dass ihre rechtsextremen Töne viele Wähler nicht stören, macht allen demokratischen Parteien zu schaffen, nicht allein CDU und CSU. Da aber ihr Aufstieg untrennbar mit der Merkelschen Flüchtlingspolitik verbunden ist und das Thema Zuwanderung wie ein für die AfD maßgeschneidertes Konjunkturprogramm wirkt, werden sich CDU und CSU entscheiden müssen, ob sie – ungeachtet von Merkels Gesamtbilanz im Kanzleramt – mehr oder weniger unbeirrt an ihrer Flüchtlingspolitik festhalten.

Laut der jüngsten Allensbach-Umfrage rührt die Stärke der AfD „überwiegend aus dem Bedürfnis nach Protest gegen die von vielen – weit über den Sympathisantenkreis der AfD hinaus – als katastrophal empfundene Einwanderungspolitik“ her. Da schon die Grünen verhindern würden, dass an der gegenwärtigen Praxis substantielle Änderungen vorgenommen werden, kann nur die Union versuchen, jenen großen Teil der AfD-Sympathisanten (44 Prozent!) zurückzugewinnen, die keinerlei ideologische Bindung an die völkische Höcke-Partei haben.

Mit anderen Worten: Die CDU muss das tun, was Merkel 1999 auf recht robuste Weise gegenüber Helmut Kohl gefordert und umgesetzt hat – sich von der Ex-Kanzlerin und ihrer Flüchtlingspolitik abnabeln.

Anzeige