2G-Regeln im Einzelhandel - „Es ist richtig, unsinnige Maßnahmen aufzuheben“

Die meisten Bundesländer schaffen derzeit die 2G-Regeln wieder ab, die nur Geimpften und Genesenen den Zutritt zu Ladengeschäften erlaubten. Der wirtschaftliche Schaden aber ist bereits angerichtet. Björn Fromm, Vizepräsident des Handelsverbands Deutschland, spricht über die Corona-Maßnahmen und deren Auswirkungen auf den Handel.   

Statt 2G oder 3G gilt in vielen Bundesländern nur noch Maskenpflicht im Einzelhandel / dpa
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Autoreninfo

Marie Oster studiert an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn Politik und Gesellschaft sowie Geschichte. Derzeit macht sie ein Praktikum bei Cicero.

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Björn Fromm ist Geschäftsführender Gesellschafter mehrerer Handelsunternehmen und Fachgeschäfte im Lebensmitteleinzelhandel und der Orthopädie- und Gesundheitsbranche, Präsident des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg sowie Vizepräsident des Handelsverbandes Deutschland. 

Herr Fromm, trotz Mahnungen von Gesundheitsminister Lauterbach heben immer mehr Bundesländer die 2G-Regeln im Einzelhandel auf. Wie lässt sich das trotz täglich steigender bundesweiter Inzidenz erklären? Hängt es auch mit Protesten und Klagen von Handelsverbänden zusammen?  

Ich hoffe und glaube, dass es mit Vernunft zusammenhängt. Wir sehen deutlich, dass wir es mit einer milden Variante zu tun haben. Es wurde lange gehadert, das anzuerkennen. Lauterbach malt oft das schlimmste Szenario an die Wand, den worst case. Es ist und bleibt eine Krankheit, jedoch kann man sich auch dagegen schützen. Es ist richtig, dass Maßnahmen die nachgewiesenermaßen unsinnig und unwirksam sind, aufgehoben werden. 

Wie ist die aktuelle Situation des stationären Einzelhandels? Wie hoch sind die Einbüßen, die durch die Corona-Maßnahmen entstanden sind?   

Björn Fromm

Es ist schwer, einzelne Maßnahmen für die Verluste verantwortlich zu machen. Jedoch ist eine Zahl ganz wichtig zu nennen. Der stationäre Einzelhandel im Bereich Bekleidung hat 30% weniger Umsatz als noch 2019. Hinzu kommt, dass die Verbraucherstimmung gedämpft ist und dass der Online-Handel sowieso stärker wird. Die Aussage, dass „der stationäre Handel sowieso kaputt geht“, ist nicht richtig. Es gibt ganz klare Veränderungen in Richtung Online-Handel, jedoch geht der stationäre Handel nicht kaputt. Die 2G-Regel hat mit Sicherheit einen großen Einfluss auf die großen Umsatzverluste. So macht es doch keinen Spaß, einkaufen zu gehen. Von Anfang an hat der Einzelhandel alles getan, um nicht geschlossen zu werden. Es wurden Lüftungsanlagen und Plexiglasscheiben installiert, um die Kunden und Mitarbeiter möglichst gut zu schützen. Die Infektionszahlen im Handel sind gering, die Maßnahmen sind nicht mehr legitim. 

Ist ein solcher Verlust in absehbarer Zeit wieder einzuholen?   

Wir haben einen doppelten Verlust. Auf der einen Seite gibt es entgangene Umsätze, die nicht mehr aufzuholen sind. Andererseits sind die Kosten gleich geblieben, wenn nicht sogar gestiegen. Die Kurzarbeit als Hilfe hat wirklich gut funktioniert. Die Überbrückungshilfen sind Augenwischerei und helfen nur wenigen. In Zeiten, in denen der stationäre Handel sowieso investieren muss, um mit dem Online-Handel mitzuhalten und besondere Einkaufserlebnisse zu bieten, ist ein solcher Verlust trotzdem nicht mehr aufzuholen. 

Für viele große Einzelhandelsketten gibt es weiterhin den Online-Handel. Kleinere Läden besitzen das meistens nicht. Gibt es viele Schließungen von Läden? 

Große Markenhersteller arbeiten online und stationär. Auch sie haben Verluste und finden nicht funktionierende Maßnahmen falsch, jedoch haben sie zumindest die Chance, über den Online-Handel teilweise zu arbeiten. Kleine Geschäfte, der Händler von nebenan, der Schuhladen des Vertrauens, haben diese Möglichkeiten deutlich weniger. Einerseits wäre der Preiskampf kaum zu gewinnen, und andererseits haben die meisten kleineren Läden auch nicht die Kapazitäten, um online stattzufinden. Genau deshalb ist es wichtig, die unsinnigen Maßnahmen wie etwa 2G aufzuheben. In der Politik hatte man Angst vor einer zu niedrigen Impfquote. Das Problem dann auf die Gesellschaft und vor allem den Handel abzuwälzen, ist nicht richtig.   

Die 2G-Regel wurde sicherlich auch eingeführt, um Anreize für eine Impfung zu schaffen und dadurch die Impfquote zu erhöhen. Obwohl im Einzelhandel die Ansteckungsgefahr vermutlich sehr gering ist, wurden harte Maßnahmen verhängt. Wie ist eine solche Situation von der Politik zu rechtfertigen?   

Bis heute hat die Politik es kein einziges Mal ernsthaft gerechtfertigt. Es wurde oft nur das Maximalszenario ausgemalt. Mir ist kein Virologe bekannt, der es für eindeutig bewiesen hält, dass 2G im Einzelhandel Teil einer wissenschaftsbasierten Lösung ist. Es ist richtig zu sagen, dass man Pandemien mit Kontaktreduzierungen bekämpft. Da Menschen vom Einkauf ausgeschlossen werden oder es schlichtweg weniger Spaß macht, in die Stadt zu gehen, bewirken die Maßnahmen schon Kontaktreduzierungen. Dies ist jedoch ein sehr unehrlicher Weg und kann dauerhaft nicht legitimiert werden. In den Anfangszeiten von Unsicherheit und großem Respekt vor dem Virus verstand ich sogar Maßnahmen, die nicht 100% logisch waren. Das Problem ist allerdings, dass man Entscheidungen, etwas zu schließen, immer schnell trifft, aber eine Aufhebung solcher Maßnahmen wesentlich länger dauert.  

Was mich zurzeit am meisten besorgt, ist aber etwas anderes: Die „Spaziergänger“, die wir zurzeit auf den Straßen sehen, hält unser starkes demokratisches Land aus. Man darf seine Meinung sagen, egal wie gedankenlos sie ist. Was unser Land zunehmend nicht aushält, sind Politiker, die in ihrer Blase leben, die das Schlimmste vorhersagen und ständig weiter nicht entscheiden wollen. Es werden Dinge nicht entschieden, die entschieden werden müssen. Gift für unsere Demokratie ist, wenn Politiker sich in parteipolitischen Debatten verfangen, statt nach Faktenlage zu handeln.  

Wie kommt es, dass der Einzelhandel diese strengen Regeln so lange akzeptierte und nicht bereits früher aufgrund von erheblichen ökonomischen Schäden dagegen vorging?   

Auch wir hatten am Anfang von Corona Angst. Man wusste nicht, was passiert, wie brutal das Virus ist, und man versuchte, alles runterzufahren. Wir haben viel Verantwortung übernommen und die Politik breit unterstützt. Niemand freute sich über Schließungen von Geschäften, jedoch war es wichtig, in dieser ungewissen Anfangsphase einen Überblick zu bekommen.  

Nachdem die ersten Studien vorlagen und Erfahrungen mit dem Virus gesammelt wurden, haben wir sofort faktenbasiert die Interessen des Einzelhandels vertreten und auch die Klagen einzelner Händler unterstützt. Das ist nun bald zwei Jahre her, und die Politik findet den Weg aus dem Regelungswahn nicht mehr heraus. Geschlossen wird mit angeblichen Fakten sehr schnell. Wenn es darum geht, bewiesen unnütze Maßnahmen wie 2G zurückzunehmen, versteckt sich die Politik hinter Floskeln und spielt auf Zeit.  

In einigen Bundesländern gilt jedoch weiterhin die 2G-Regel. Sorgt dies nicht für einen unfairen Wettbewerbsvorteil?   

Wenn sich Europa in der Pandemie kaum auf Maßnahmen einigen kann und wieder in Nationalstaaten zerfällt, dann sollte sich wenigstens Deutschland auf bundeseinheitliche Maßnahmen einigen können. Ich kann nicht verstehen, warum wir, wenn es um den Einzelhandel geht, in Berlin andere Regeln als in München haben. Dass das so ist, ist ausschließlich auf Parteipolitik zurückzuführen. Diese widersinnigen Maßnahmen, welche von Bundesland zu Bundesland noch teilweise unterschiedlich sind, führen bei der Bevölkerung zu Verwirrung und Unmut. Das alles ist nur parteipolitisch bedingt.  

Würde der Einzelhandel einen weiteren harten Winter mit Corona-Maßnahmen überstehen?   

Wenn uns im Herbst eine Variante treffen sollte, die wirklich das Potenzial hätte, durch starke Impfdurchbrüche und viele schwere Verläufe besonders gefährlich zu sein, dann würde der Handel natürlich solidarisch alles dafür tun, um geeignete Maßnahmen mitzutragen. Maßnahmen wie Maske, Impfung und Booster müssen weiterhin vorangetrieben werden, aber viele andere Beschränkungen müssen fallen. Es muss im Herbst andere Antworten geben als 2G im Einzelhandel oder der Gastronomie. Und auch nach der Pandemie muss die Politik Verantwortung übernehmen und das Trümmerfeld mit aufräumen. Es wird einen Wiederaufbau brauchen, auch mit Wirtschaftshilfen. Und dann muss der Gesundheitsminister aufhören, immer nur die schlimmsten Folgen an die Wand zu malen. Wir müssen wieder lernen, positiv auf das Leben zu schauen und Krankheiten und Todesfälle auch als Teil unseres Lebens akzeptieren.  

Die Fragen stellte Marie Oster.

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