Facebook & Co. - Wankende Giganten

Der weltweite Erfolg von Facebook, Google, Amazon und Apple wirkt unaufhaltsam. Ihre unbändige Marktmacht gründet auf Datenwissen und Netzwerkeffekten. Doch ihre Stärke wird immer mehr zum Problem der großen US-Tech-Unternehmen.

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Die Macht der Regulierung trifft Facebook, Google, Amazon und Apple immer häufiger
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Für die dänische EU-Kommissarin Margrethe Vestager war der 27. Juni 2017 wohl so ein Tag, an dem sie sich nicht fragen musste: Wofür mache ich diesen Job hier eigentlich? Bestens gelaunt betritt sie das Brüsseler Pressezentrum, scherzt mit den Fotografen. Als die Auslöser der Kameras klicken, zückt Vestager kurzerhand ihr Smartphone und schießt ihrerseits Bilder von den  sie umringenden Fotografen. Den Spieß einmal umzudrehen – danach scheint Vestager an diesem Tag zu sein: „Heute hat die Kommission beschlossen“, setzt sie an, „eine Geldbuße gegen Google in Höhe von 2,42 Milliarden Euro zu verhängen.“ Der US-Konzern habe „seine marktbeherrschende Stellung als Suchmaschine missbraucht“, sagt sie. Google hatte nachweislich dem eigenen Preisvergleichsdienst Google Shopping „illegale Vorteile“ gewährt, indem es die Suchergebnisse zum eigenen Vorteil manipulierte. Konkurrenten wie etwa Idealo und somit auch die Nutzer hatten das Nachsehen.

Die Brüsseler Szene zur Milliardenstrafe für Google von 2017 hat Margrethe Vestager endgültig zur globalen Vorkämpferin für Wettbewerb auch in Zeiten digitaler Marktkonzentrationen gemacht. Öffentlich  bemüht sie sich, Google zu loben. Sie sagt dann Sätze wie „das ist immer noch ein wunderbares Unternehmen“ oder „Google hat uns Innovationen gebracht, die unser Leben verändert haben“.

Sind die Tech-Giganten zu schnell gewachsen?

Doch es besteht kein Zweifel: Die EU hat den großen US-Tech-Unternehmen den Kampf angesagt. Ob Google, Amazon, Facebook oder Apple – mal sind es Wettbewerbsverletzungen, mal Steuernachzahlungen, mal geht es um Hass oder Fake News im Netz, mal um angemessenen Datenschutz. Und nicht nur in Europa, auch in den USA versuchen immer mehr Politiker, Wettbewerber und die Zivilgesellschaft, den Tech-Giganten mit Regulierungen, Gesetzen oder Protest beizukommen. Es gibt inzwischen sogar Stimmen, die fordern, man müsse die Giganten zerschlagen, weil sie zu mächtig seien. Der Hauptgrund, gegen die digitalen Monopolisten vorzugehen, lautet immer wieder: Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung. Hinzu kommen Steuervermeidung und Datenschutzprobleme. Mit ihrer Macht und Intransparenz würden die Hüter der Algorithmen schließlich sogar die westlichen Demokratien gefährden, weil Menschen das Vertrauen ins System verlören.

Sind die digitalen Disruptoren der herkömmlichen Wirtschaft tatsächlich zu schnell, zu mächtig geworden? Geraten die bislang oft unantastbar wirkenden Tech-Giganten trotz beeindruckender Innovationen und Milliarden begeisterten Kunden ins Wanken? Tatsächlich spricht einiges dafür, dass gerade ihr unbändiger Erfolg zu ihrem größten Problem wird.

Wer die Geschäftszahlen von Google, Amazon oder Facebook betrachtet, kann auf den ersten Blick keine Zeichen von Schwäche ausmachen. 2017 war ein Jahr der Rekorde: Facebook, zu dem auch Instagram und der Messengerdienst Whatsapp gehören, konnte seinen Gewinn im Vergleich zum Vorjahr um 56 Prozent auf rund 13 Milliarden Euro steigern. Amazon wächst auch nach dem Kauf der US-Biosupermarktkette Whole Foods nach wie vor schneller als der Markt und lieferte 2017 allein mit seinem Prime-Dienst insgesamt fünf Milliarden Produkte aus. Apple meldete für das letzte Quartal 2017 einen Rekordgewinn von 20 Milliarden Dollar. Und auch die Google- und Youtube-Konzernmutter Alphabet erwirtschaftete 2017 einen Gewinn von mehr als zehn Milliarden Euro.

Dominanz dank Datenwissen und Netzwerkeffekten

Inzwischen gehören Alphabet, Apple, Amazon und Facebook zu den fünf größten US-Unternehmen und machen zunehmend ihre Konkurrenten platt. Besonders Amazon durchdringt gleich mehrere Märkte wie kein anderes Unternehmen. Das Imperium von Jeff Bezos umfasst neben dem Marktplatz für Produkte die Streamingdienste Amazon Prime Video und Amazon Music sowie den Essenslieferdienst Amazon Fresh. Amazon Go eröffnet eigene Supermärkte, und eine Art Girokonto für junge Kunden soll es auch bald geben. Eine Bank of Amazon scheint nicht mehr unwahrscheinlich. Mit Microsoft Azure und Google Cloud kämpft Amazon Web Services zudem um die Vorherrschaft als Cloudanbieter. Auch die Grundstrukturen des Internets liegen in der Hand weniger ganz Großer. In Deutschland laufen mehr als 90 Prozent der deutschen Suchanfragen über die Google-Suchmaschine. In den USA verwenden drei Viertel aller Nutzer die Dienste von Facebook, mehr als zwei Milliarden Menschen weltweit haben ein Facebook-Profil.

Facebook, Google, Amazon und Apple schaffen Produkte und Dienstleistungen, die einer immer weiter wachsenden Anzahl von Kunden schlicht gefallen. Doch so beliebt die Produkte und Dienste von Jeff Bezos, Mark Zuckerberg oder Larry Page, Sergey Brin oder Tim Cook auch sein mögen – die Tech-Giganten haben ein Problem: Denn ihre Dominanz verdanken sie keineswegs allein ihren überzeugenden Ideen.

Vor allem die sogenannten Netzwerkeffekte und das enorme Datenwissen um jeden einzelnen Nutzer lassen die Tech-Giganten in vielen Bereichen inzwischen nahezu konkurrenzlos weiterwachsen. Die entstandenen Quasimonopole entspringen keiner boshaften DNA der Konzerne, aber eben auch keiner Mission zur Weltverbesserung, wie es der Facebook-Chef Mark Zuckerberg gerne propagiert. Vielmehr lädt die so gewonnene Marktmacht strukturell dazu ein, die beherrschende Stellung auch mithilfe von Algorithmen zum eigenen Nutzen immer wieder aufs Neue zu manipulieren.

Der Kampf gegen die digitale Alternativlosigkeit

Und so mahlen die bürokratischen Mühlen zwar langsam, aber immer konsequenter. Ähnlich wie im Google-Fall, der insgesamt sieben Jahre dauerte, hatte die EU-Kommission 2017 auch Facebook wegen Missbrauchs seiner marktbeherrschenden Stellung mit einer Strafzahlung von immerhin mehr als 100 Millionen Euro belegt. Grund waren falsche Angaben des US-Konzerns zur Übernahme des Messengerdiensts Whatsapp. Facebook hatte behauptet, es sei technisch nicht möglich, einen automatischen Datenabgleich zwischen Benutzerkonten beider Unternehmen einzurichten. Das war schlicht gelogen – zum Nachteil des Datenschutzes und konkurrierender Messengerdienste.

Nicht nur in Brüssel, auch am Rheinufer in Bonn arbeitet man hartnäckig daran, die entstandenen digitalen Alternativlosigkeiten zu bekämpfen. Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, hatte Amazon schon 2013 dazu gebracht, seine „Preisparitätsklausel“ aufzugeben. Der Konzern hatte Händlern, die bei Amazon Ware verkaufen wollten, vorgeschrieben, diese auf keiner anderen Plattform, wie etwa Ebay, günstiger verkaufen zu dürfen. „Wir haben mit Amazon darüber gesprochen. Daraufhin wurde diese Klausel fallen gelassen – für ganz Europa“, sagt Mundt.

Es müssen offenbar nicht immer Strafen sein, um etwas zu bewegen. Da Deutschland kein zu unterschätzender Markt ist, haben solche Maßnahmen oft eine gewisse Strahlkraft; Entscheidungen in der EU können letztlich globale Standards setzen. Die Konzerne müssen reagieren. Mundt sagt, man sei längst nicht mehr allein: „Die Wettbewerbsbehörden weltweit ziehen derzeit mit ihren Verfahren Leitplanken für die Unternehmen der Internetwirtschaft ein.“ Aber wie sehr lassen sich die Tech-Giganten auf diese Weise zähmen? „In zwei, drei Jahren bereits“, ist sich Mundt sicher, „werden wir für den digitalen Bereich der Wirtschaft viel mehr Klarheit haben, als es bislang der Fall war.“

Ein schiefer Kneipenvergleich

Tatsächlich profitierten Tech-Firmen wie Amazon oder Facebook bislang von fehlenden Definitionen und konnten auf diese Weise Verantwortung vermeiden. Die Sätze „Wir sind nur die Plattform“ und „Wir sind nur ein Marktplatz“ gehören zum Standardrepertoire der Tech-Lobbyisten. Ohne milliardenfach etwa Haftungsfragen den Nutzern zu überlassen, wäre ein so schnelles Wachstum gar nicht möglich. „In der digitalen Wirtschaft brauchen Sie neue Kriterien, wenn Sie die tatsächliche Marktmacht eines Unternehmens beurteilen wollen“, sagt Mundt. Mit Marktanteilen oder Finanzkraft kommt man anders als bei klassischen Märkten nicht mehr weit, zumal die Dienste ja oft kostenlos sind. „Es geht um direkte und indirekte Netzwerkeffekte, und es geht um den Zugang zu Daten“, sagt Mundt. Er und seine Behörde haben im Rahmen der jüngsten Kartellrechtsnovelle 2017 darauf hingewirkt, solche Faktoren mit in das Gesetz aufzunehmen.

Die Netzwerkeffekte lassen das Tech-­Giganten-Prinzip „The winner takes it all“ und damit das Monopol überhaupt erst entstehen. Bei sozialen Netzwerken wie Facebook oder seinem Messengerdienst Whatsapp wollen Nutzer da sein, wo viele Nutzer sind. Neue Nutzer locken wiederum neue an. Vergleichbar sei das mit einer angesagten Kneipe, sagt Mundt. „Sie mögen viele tolle Kneipen in Ihrer Umgebung haben, aber Sie gehen natürlich in die, in der Ihre Freunde sind.“ Eine neue In-Kneipe aufzubauen beziehungsweise ein zweites Facebook, ist deshalb äußerst schwierig.

Der Kneipenvergleich ist aber schief. Denn die angesagteste Kneipe ist irgendwann schlicht überfüllt, man sucht zähneknirschend eine andere. Die Kneipe Facebook oder Whatsapp hingegen ist unendlich groß, wird immer voller und das Bier geht nie aus. Der Wettbewerb lahmt, der Datenvorsprung gegenüber anderen Konkurrenten wächst ins Unermessliche. Der New Yorker Marketing-Professor Scott Galloway etwa will deshalb die Tech-Giganten zerschlagen. Sicher möchte er auch sein Buch „The Four: Die geheime DNA von Amazon, Apple, Facebook und Google“ verkaufen. Aber seine Forderung trifft den Nerv vieler Branchen und Kunden, die unter der Marktmacht leiden.

Auch Steven Strauss, Gastprofessor der Woodrow Wilson School für öffentliche und internationale Angelegenheiten an der Universität in Princeton, sagt, die Tech-Konzerne seien die neuen Räuberbarone und vergleicht sie mit dem Öl-Magnaten Rockefeller, dessen Standard-Oil-Company 1910 zerschlagen wurde. „Wenn wir nicht handeln, riskieren wir, dass Innovationen künftig erstickt und von den Tech-Giganten niedergeschlagen werden.“ Die Debatte darum, inwieweit solche Plattform-Unternehmen bereits öffentlichen Infrastrukturcharakter haben, ähnlich einer öffentlichen Wasserversorgung, läuft.

Eine Datenweitergabepflicht als Revolution

Von Zerschlagung aber hält der deutsche Kartellamts­chef Andreas Mundt nichts. Das sei nach deutschem Recht so gut wie nicht möglich. Und auch für die USA hält er die europäische Strategie der Verfolgung von Marktmissbrauch für sinnvoller. Was aber denkbar wäre, sagt Mundt, seien Regelungen des Zugangs zu Daten. „Unter Wettbewerbsrechtlern wird derzeit intensiv diskutiert, ob Kartellbehörden künftig in ihren Verfahren auch Unternehmen zur Auflage machen sollten, dass sie ihre Daten mit Wettbewerbern teilen.“ Natürlich müsse man dann aber den Datenschutz beachten.

Eine derartige Datenweitergabepflicht könnte den Markt massiv verändern. Durch sogenannte Interoperabilität und Interkonnektivität könnten geschlossene Systeme aufgebrochen werden. Es sind gefährliche Schlagworte für die Tech-Giganten. Denn bislang wirkt es normal, dass nur über Facebook kommunizieren kann, wer dort und nicht etwa bei Linkedin oder Xing angemeldet ist. Nur wer Whatsapp nutzt, kann zu Whatsapp kommunizieren – und nicht mit Alternativen wie Telegram oder Threema. Dabei wäre es technisch möglich. Ähnlich wie eine SMS vom D-1-Netz ins Vodafone-Netz gesendet werden kann, könnten dann auch andere soziale Netzwerke an Facebook andocken und Nutzer vom eigenen Service überzeugen. Der eigentlich dezentrale Charakter des Internets könnte dann wieder hervortreten.

Das käme einer Revolution gleich. In Deutschland aber scheuen diese aber viele Politiker. Digitale Regulierung, meinen sie, könnte Deutschland noch weiter abhängen. Jan Philipp Albrecht will dennoch dafür kämpfen. Noch sitzt der 35-jährige Digitalexperte für Bündnis90/Die Grünen im Europaparlament. Bald soll er Robert Habeck in Schleswig-Holstein beerben, das Umwelt- und Digitalministerium übernehmen. „Interkonnektivität ist ein zentraler Angriffspunkt zum Aufbrechen von Monopolen“, sagt er. Wenn Nutzer endlich bei Internetdiensten über die eigenen Daten bestimmen könnten und Plattformen damit verpflichtet wären, sich anderen Wettbewerbern zu öffnen, gäbe es eine ganz neue Dynamik. „Dann gäbe es Gleichbehandlung auf den Plattformen. Apple könnte Apple Music nicht mehr besser behandeln als etwa Spotify.“ Bis vor kurzem waren auch Banken geschlossene Systeme und profitierten exklusiv von den Daten ihrer Kunden. Die neue EU-Bankenrichtlinie PSD2 hat das verändert. Banken müssen jetzt auf Wunsch ihrer Kunden auch Daten an Drittanbieter, etwa Fin-Techs, weitergeben.

Immer weniger Freiheiten für rechtliche Grauzonen

Die Marktmacht geschlossener digitaler Systeme bekamen zuletzt wieder Zeitungsverleger weltweit zu spüren. Facebook hatte sich ihnen seit Jahren als Partner angedient, sein Netzwerk als Verbreitungskanal schmackhaft gemacht, dann aber am Algorithmus gespielt. Anfang 2018 kündigte Facebook an, weniger News und verstärkt „bedeutungsvolle“ Inhalte von Freunden und Familien algorithmisch zu fördern. Die Reichweiten vieler News-Seiten brachen daraufhin laut Branchenberichten um bis zu 6 Prozent ein. Brasiliens zweitgrößte Zeitung, Folha de S. Paulo, kündigte daraufhin an, Facebook den Rücken zu kehren, und hat seit dem 8. Februar dieses Jahres keinen Post mehr abgesetzt.

Die Verlage setzen ohnehin mehr Hoffnung in Leser, die über Google oder Apple News kommen, wollen aber auch am Werbemarkt beteiligt sein. Unter anderem mit der Ansage „Schützt die Nachrichten vor Google und Facebook“ kämpft in den USA derzeit die News Media Alliance dafür, dass die Zeitungsverleger ausnahmsweise gemeinsam mit den größten Technologieplattformen auf Augenhöhe verhandeln dürfen, ohne dabei selbst einen Kartellverstoß zu begehen. Eine Gesetzesvorlage des demokratischen Kongressabgeordneten ­David ­Cicilline, der „Journalism Competition and Preservation Act“, soll das ermöglichen.

Auch in Europa muss sich Google weiter mit Zeitungsverlagen auseinandersetzen. Die deutsche Verwertungsgesellschaft VG Media, zu der auch Axel Springer, Funke und Dumont gehören, verlangt von Google Schadenersatz, da der Konzern sich weigert, für dargestellte Textausrisse und Bilder in der ­Google-Suche zu zahlen. Die Entscheidungen vor dem Europäischen Gerichtshof und dem Landgericht Berlin stehen aus. Sie könnten ein Präzedenzfall für andere europäische Verlage werden.

Die Freiheit, ihr Wachstum auf rechtlichen Grauzonen oder fehlender Rechtsprechung aufzubauen, wird den Tech-Giganten zunehmend beschnitten. Vom 25. Mai an müssen sie die neue Europäische Datenschutzgrundverordnung einhalten, ein kleiner Meilenstein. Und Apple hat noch eine von der EU erzwungene Steuerrechnung an Irland zu zahlen: 13 Milliarden Euro. CEO Tim Cook nennt sie „totalen politischen Mist“.

Illustrationen: Karsten Petrat

Dieser Text stammt aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.










 

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