Europas Krisen - Durchwurschteln durchs Kuddelmuddel

Die Eurokrise scheint überstanden. Doch Experten warnen vor neuen Risiken - und streiten über das weitere Vorgehen: Mehr Integration oder mehr Nationalstaat? Nach der Europawahl schlägt die Stunde der Wahrheit

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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Es ist ruhig geworden an der Euro-Front, verdächtig ruhig. Nichts scheint die früher so nervösen Märkte aus der Ruhe zu bringen, scheinbar hat sich die Krise sang- und klanglos in die Schwellenländer verzogen. Nicht einmal die überraschende Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts, das umstrittene Anleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank sei nicht vom EZB-Mandat gedeckt, sorgte für Turbulenzen. Vor einem Jahr hätte diese Aussage wohl noch Schockwellen ausgelöst. Jetzt passierte erstmal gar nichts.

Doch Vorsicht, warnen Experten wie Marcel Fratzscher, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW in Berlin, die Ruhe ist trügerisch. Die Karlsruher Richter hätten der EU und Deutschland einen Bärendienst erwiesen, denn sie hätten der EZB Ketten angelegt - zumindest bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs könne die Zentralbank sich nun nicht mehr schützend vor Krisenländer werfen. Portugal könne die negativen Folgen als erstes zu spüren bekommen, warnt Fratzscher.

Andere Fachleute sorgen sich eher um Griechenland, Frankreich oder die Niederlande. Sie betonen das „politische Risiko“, das mit der Europawahl im Mai und dem erwarteten Vormarsch der Populisten und Euro-Gegner verbunden ist. Sollte der griechische Linken-Führer Tsipras, die französische Nationalistin Le Pen oder der niederländische Populist Wilders die Wahlen gewinnen, so die Sorge, könnte dies das mühsam wiedergewonnene Vertrauen der Märkte erschüttern. Auch auf diesen Fall sind die Euro-Retter schlecht vorbereitet.

Verschiedene Konzepte für Europa


Mit Rücksicht auf die Europawahl haben sie alle Reformen auf die lange Bank geschoben. Ein drittes Hilfsprogramm für Griechenland? Kommt erst im zweiten Halbjahr. Wie geht es weiter mit Portugal? Auch dazu mehr nach der Sommerpause. Reformverträge für die gesamte Eurozone? Darüber spricht die EU erst im Herbst wieder. Die Pläne für eine Generalüberholung der Eurozone zwecks Schaffung einer „vollständigen“ Währungsunion wurden sogar ganz von der Agenda gestrichen. Denn dazu müsste der EU-Vertrag geändert werden, und das könnte Wähler verschrecken.

Doch der Status Quo ist keine Option, warnen EU-Experten in zwei aktuellen Positionspapieren, die der Brüsseler Thinktank „Bruegel“ veröffentlicht hat und die in EU-Kreisen für neue leidenschaftliche Debatten sorgen. In der Diagnose sind sich beide weitgehend einig. So heißt es im Papier der „Glienicker Gruppe”, der deutsche Ökonomen, Juristen und Politikwissenschaftler angehören:

„Keine der Krisen, aus denen sich die Euro-Krise zusammensetzt, ist auch nur annähernd gelöst – weder die Banken- noch die Staatsschulden-, noch die Wettbewerbsfähigkeitskrise. Das Staatsschuldenproblem eskaliert weiter. Die mit faulen Krediten vollgesogenen Banken lähmen die Privatwirtschaft. In den Krisenländern wird eine ganze Generation ihrer Lebenschancen beraubt. Die Ränder des politischen Spektrums dieser Staaten radikalisieren sich. Die Bereitschaft, in der Euro-Zone gemeinsame Lösungen zu finden, sinkt rapide.“

Ähnlich argumentiert Askoda Mody, der Autor des zweiten Essays, das unter dem Titel “Schuman Compact” veröffentlicht wurde. Auch für ihn bleibt der Euro eine „unvollständige”, jederzeit rückfallgefährdete Währungsunion. Die Trennlinie zwischen erfolgreichem „Durchwurschteln“ und einem heillosen Kuddelmuddel sei gefährlich dünn, warnt der Princeton-Professor.

Doch bei der Therapie für die immer noch kränkelnde Währungsunion gehen beide Papiere weit auseinander. Die Glienicker (denen auch DIW-Chef Fratzscher angehört) fordern einen eigenen Euro-Vertrag, eine Euro-Regierung mit eigenem Budget und ein Euro-Parlament. Die Integration mit dem Ziel einer Euro-Union müsse weitergehen, sonst sei das Projekt langfristig gefährdet. 

Unmöglich, erwidert Mody, das machen die Mitgliedsländer nicht mit. Sie wollen nämlich nicht noch mehr Souveränität abgeben. „Die Eurozone ist gegen eine fundamentale Barriere gelaufen“, konstatiert er. Deshalb müssten die Nationalstaaten nun wieder mehr Verantwortung übernehmen. Als Modell dienen ihm ausgerechnet die USA VOR der Großen Depression – dabei steckt Europa mitten in einer neuen großen Wirtschaftskrise. Zudem lobt er die zwischenstaatlichen Verträge à la Fiskalpakt, die Kanzlerin Merkel aus der Taufe gehoben hat.

Vor den Europawahlen wird nichts passieren

Auf den „Fiscal Compact“ soll nach Modys Ansicht nun ein „Schuman Compact“ folgen - also eine dezentrale Politik der kleinen Schritte. Das ist derzeit wohl tatsächlich realistischer als die Vorschläge der Glienicker. Denn nicht nur Deutschland lehnt eine „vollständige“, politisch integrierte Währungsunion ab. Auch Frankreich hat sich gegen die dafür nötigen umfangreichen Vertragsänderungen ausgesprochen.

Statt auf mehr Integration läuft es also auf mehr Nation hinaus. Allerdings zeigt schon die Bankenunion die Grenzen dieses zwischenstaatlichen Verfahrens auf: sie ist eine leere Hülle ohne unmittelbare Wirkung. Der aktuelle Machtkampf mit dem Europaparlament um die Bankenabwicklung zeigt zudem, dass sich die Brüsseler EU-Institutionen nicht kampflos ergeben werden: Sie sträuben sich gegen ihre schleichende Entmachtung.

„Ich glaube nicht, dass seine Lösung tragfähig ist“, sagt denn auch Bruegel-Direktor Guntram Wolff, der Modys Essay veröffentlicht hat, obwohl er selbst in der Glienicker Gruppe mitarbeitet. Demgegenüber warnt der Chef des Münchener Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, vor dem Konzept der Glienicker Gruppe. Es laufe auf eine Transferunion mit hohen Kosten vor allem für Deutschland hinaus, so Sinn. Weitere Integrationsschritte könne es nur geben, wenn Frankreich seinen Widerstand gegen eine echte politische Union aufgibt. Dann könne man auch „den großen Schritt zu einem dollarähnlichen System gehen.“

Es ist wie so oft mit den Strategie-Debatten in der EU: Der Ball wurde in Deutschland angestoßen - und liegt nun wieder bei Frankreich. Mit Entscheidungen wird aber erst nach der Europawahl gerechnet. Schließlich möchte man die Wähler ja nicht mit schwierigen Fragen belästigen. Bis Mai soll nichts die Ruhe an der Euro-Front stören.

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