Weltwirtschaftsforum - Der Geist von Davos verflüchtigt sich

Die Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums waren geprägt von Illusionen, für die kein Politiker so sehr stand wie Angela Merkel. Die raue Wirklichkeit hat den Zauber weggefegt und das öffentliche Interesse am WEF ebenfalls. Das schadet überhaupt nicht.

Logo-Pflege in Davos vor dem WEF-Treffen / picture alliance
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Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Kaum noch zu glauben, dass viele Menschen einmal das Weltwirtschaftsforum WEF für ein Machtzentrum der Gegenwart hielten. Vom diesjährigen Treffen in Davos hört und liest man so wenig, zumindest jenseits der Wirtschaftsressorts, dass die stolze Teilnehmer-Rekordmeldung von WEF-Chef Börge Brende – 2800 Spitzenpolitiker und Top-Manager – gerade nicht als Ausweis des von ihm behaupteten wiederaufgelebten Interesses erscheint. Nur die Anwesenheit des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und einer ukrainischen Delegation, die in Davos um Unterstützung für ihren Verteidigungskampf und für ihre „10 Prinzipien eines  dauerhaften Friedens“ werben, sorgte bisher für einige Schlagzeilen.

Davos als Forum für die Unterstützung der Ukraine – das ist eigentlich anachronistisch. Denn der Krieg selbst und all die anderen Kriege und multiplen Krisen, die die Menschen in Deutschland, Europa und im Rest der Welt derzeit so sehr umtreiben, sind ja gerade Indizien für das Scheitern dessen, was in ungezählten Texten der vergangenen Jahre als „Geist von Davos“ behauptet wurde: In ungezwungener Atmosphäre kommen die Mächtigen aus Wirtschaft und Politik aus der ganzen Welt zusammen, überwinden als wohlwollende Weltelite in Vorwegnahme einer strahlenden Zukunft der Menschheit alle nationalen, kulturellen und sonstigen Grenzen. Beflügelt schienen sie allein von der Idee, dass eine globalisierte Wirtschaft ein immer engeres Netz der Zusammenarbeit zwischen sich allmählich in einer Weltgesellschaft auflösenden Staaten schafft, das Kriege endgültig als unsinnige Relikte einer unseligen Vergangenheit erweist und immer unwahrscheinlicher macht, damit sich die Großen dieser Welt und die von ihnen herangezogenen „Young Leaders“ zum Wohle der Menschheit globalen Herausforderungen, vor allem der „Klimakatastrophe“, widmen können. Und natürlich sollten alle dadurch auch noch immer wohlhabender werden.

Inbegriff einer post-politischen Fortschrittsvorstellung

Davos ist immer noch der Inbegriff dieser post-politischen Fortschrittsvorstellung, die fast überall im Westen gesellschaftlich und politisch dominiert, aber nirgendwo so innig geglaubt und politisch praktiziert wurde wie im Deutschland der Ära Angela Merkel. Die Auftritte der von WEF-Gründer Klaus Schwab sichtlich verehrten Ex-Kanzlerin waren seinerzeit die höchsten Weihestunden dieses Geistes von Davos. Hört man sich heute etwa die Rede Merkels von 2019 wieder an, wird deutlich, wie weit ihr Wunschdenken von der seither eingetretenen Wirklichkeit entfernt war: „Ich glaube, wir sollten unsere nationalen Interessen jeweils so verstehen, dass wir die Interessen anderer mitdenken und daraus Win-Win-Situationen machen, die die Voraussetzung für multilaterales Handeln sind.“

 

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Nicht nur der nun bald in sein drittes Jahr gehende Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat diese Merkel-Davos-These widerlegt. Auch die innere ökonomische Krise und die sich immer weiter zuspitzende politische Konfrontation in Deutschland und anderen westlichen Ländern haben die universalistische Fortschrittsvorstellung des WEF innerhalb kürzester Zeit extrem altern lassen. Davos-Treffen der ersten beiden Jahrzehnte dieses Jahrhunderts haben mit unserer heutigen Welt nicht mehr viel zu tun.

Die versammelten politisch-ökonomischen Eliten haben in großem Maße Vertrauen verloren

Darum ist es überhaupt nur allzu verständlich, dass dieser Merkel’sche Geist von Davos bei einem wachsenden Teil der Bevölkerungen im Westen extrem an Glaubwürdigkeit und Begeisterungsfähigkeit eingebüßt hat – und selbst unter Journalisten nur noch ein vergleichsweise bescheidenes Interesse auslöst. Das Motto des aktuellen WEF-Willkommensfilmchens „Rebuilding Trust“ („Vertrauen wiederherstellen“) bestätigt das sogar. Die versammelten politisch-ökonomischen Eliten haben offenbar in großem Maße Vertrauen verloren. Ob die nicht-westlichen Gesellschaften des sogenannten globalen Südens, um dessen Wohl es ja in Davos angeblich auch stets geht, tatsächlich ihre Hoffnungen auf WEF-Eliten und globale Agenden wie die „Sustainable Development Goals“ setzen, bleibt ohnehin offen. Gerade in den ärmsten, am wenigsten entwickelten Gesellschaften zwischen Afrika und Afghanistan dürften die Ideale von Davos eher geringe Strahlkraft besitzen.

Wenn sich das WEF und sein jahrestreffen in Davos wieder zu dem zurückentwickelten, was es einmal war, nämlich ein „Management-Forum“, wäre das nur für die Mitarbeiter des von Schwab geschaffenen Aufmerksamkeitserzeugungsunternehmens und die Gastronomen von Davos ein großer Verlust. Und für die Verschwörungstheoretiker natürlich, die wirklich zu glauben schienen, dass Schwab ein Mann sei, der die Welt bewegte.

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