Wahl in den Niederlanden - Euphorie ist fehl am Platze

Die Wahl in den Niederlanden zeigt, dass Europa noch nicht verloren ist. Sie zeigt aber auch, dass die EU nicht einfach so weiter machen kann wie bisher. Mark Ruttes offensive und selbstbewusste Haltung gegenüber Ankara sollte Brüssel ein Vorbild sein, auch wenn dafür ein Preis zu zahlen ist

Wenn die Deiche gegen den Rechtspopulismus gehalten haben, dann nicht wegen, sondern trotz der aktuellen EU-Politik / picture alliance
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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Der Nexit ist abgesagt. Die Niederlande werden die Europäische Union nicht verlassen das ist die gute Botschaft der Zitterwahl in Holland. „Ein Votum für Europa, ein Votum gegen Extremisten“, freute sich EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. „Niederlande, du bist ein Champion“, jubelte Kanzleramtschef Peter Altmaier.

Premier Mark Rutte hat zwar deutlich mehr Stimmen geholt als der EU-Gegner und Islam-Feind Geert Wilders. Doch seine rechtsliberale VVD hat im Vergleich zur letzten Wahl 2012 kräftig Federn lassen müssen. Wilders Wahlverein ist dagegen vom bisher dritten auf den zweiten Platz vorgerückt. Und Ruttes Koalitionspartner, die sozialdemokratische PvdA, ist regelrecht abgestürzt.

Kein Sieg für die EU

Die Mitte ist verloren gegangen, die Regierungsbildung wird außergewöhnlich schwierig. Und selbst dieser Kantersieg wurde teuer erkauft. Rutte profitierte von der hohen Wahlbeteiligung und von der Eskalation der Beziehung zur Türkei. Auf die EU konnte und kann er sich dabei nicht verlassen. Sie hat sich spät und auch nur mit Lippenbekenntnissen hinter den Premier gestellt.

Ihren umstrittenen Kurs in der Türkei-Politik hat die EU um keinen Millimeter verändert. Die offensichtlich sinnlosen Beitrittsverhandlungen gehen weiter. Auch die Milliardensubventionen, die zur Vorbereitung auf den EU-Beitritt gedacht sind, werden keineswegs gekürzt. Der Flüchtlingsdeal, den Kanzlerin Angela Merkel ausgehandelt ist, ist offenbar wichtiger als praktische Solidarität.

Die richtigen Lehren ziehen

Die Niederländer haben denn auch nicht für die defensive und devote EU gestimmt, sondern für eine offensive und selbstbewusste Politik, die die Provokationen des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan energisch zurückweist. Sie haben für eine offene Gesellschaft gestimmt aber unter der Maßgabe, dass diese sich zu verteidigen weiß. Ein Freibrief für Europa war es nicht.

Doch genau so wird es in Brüssel verstanden. Nach Österreich hätten nun auch die Niederlande gezeigt, dass eine Mehrheit hinter Europa steht, lautet die gängige Lesart der EU-Politiker. Es wäre jedoch falsch, Europa mit der EU gleichzusetzen. Und es wäre fatal, das feige Appeasement gegenüber der Türkei fortzusetzen. Das wäre genau die falsche Lehre aus der Wahl in den Niederlanden.

Sozialdemokratie geschwächt

Die Holländer wollen eine andere Europapolitik das haben sie schon mehrfach klargemacht. Und zwar nicht erst im Streit um die Wahlkampfauftritte türkischer Politiker. Schon 2005 stimmte eine Mehrheit gegen den europäischen Verfassungsvertrag, 2016 wurde auch eine Abstimmung über das EU-Abkommen mit der Ukraine verloren. Seither gelten die Niederländer als schwierige, skeptische Partner.

Selbst wenn man diese grundsätzlichen Bedenken einmal beiseite lässt, so wirft die Wahl ganz praktische Fragen auf. Kann Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem im Amt bleiben, obwohl seine Partei, die PvdA, die Wahl verloren hat? Welches Gewicht hat künftig noch Juncker-Vize Frans Timmermans, der ebenfalls der PvdA angehört und bisher die Türkeipolitik der EU-Kommission koordinierte?

Schon werden erste Forderungen nach einem Rücktritt Dijsselbloems laut. Und schon fürchten die Sozialdemokraten um ihre Macht in Brüssel. Derzeit werden alle drei großen EU-Institutionen Kommission, Rat und Parlament von Konservativen und Liberalen geführt. Die Wahl in den Niederlanden dürfte die Sozialdemokratie weiter schwächen. Nicht nur Holland, auch die EU rückt nach rechts.

Umdenken ist gefragt

Es wäre daher zu einfach, zur Tagesordnung überzugehen. Die Wahl in den Niederlanden hat Europa durchgeschüttelt von den Fundamenten der gemeinsamen, angeblich wertebasierten Außenpolitik bis hin zu den Hinterzimmern der Macht in Brüssel. Wenn die Deiche gehalten haben, dann nicht wegen, sondern trotz der aktuellen EU-Politik.

Hätte Rutte sich so passiv und devot verhalten wie die Brüsseler EU-Strategen, dann wäre Holland heute in Not. Das sollten all jene bedenken, die sich jetzt bequem zurücklehnen und „Hurra“ schreien. Euphorie ist fehl am Platze. Umdenken ist gefragt, und zwar schnell. Denn die nächste Wahl steht schon bevor Ende April in Frankreich. Wilders war nur das Hors d’Oeuvre.

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