Wahl in Brasilien - Lulas schwieriges Comeback

Mit äußerst knappem Vorsprung hat der ehemalige Präsident Luis Inácio da Silva sich in den brasilianischen Wahlen gegen den Amtsinhaber Jair Bolsonaro durchgesetzt. Er wird es schwer haben, sein linkes Programm durchzusetzen - denn viele Brasilianer haben ihn nur als kleineres Übel gewählt. Und woher soll in Zeiten der Wirtschaftskrise das Geld für seine Sozialprogramme kommen?

Lula da Silva feiert seinen Wahlsieg / dpa
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Autoreninfo

Andrzej Rybak, geboren 1958 in Warschau, ist Journalist und lebt in Hamburg. Er arbeitete mehrere Jahre als Redakteur und Reporter für Die Woche, den Spiegel und die Financial Times Deutschland, berichtete als Korrespondent aus Moskau und Warschau. Heute schreibt er als Autor vor allem über Lateinamerika und Afrika u.a. für Die Zeit, Focus und Capital.

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Es war die knappste Entscheidung bei einer Präsidentschaftswahl in der Geschichte Brasiliens. Am Ende setzte sich Luis Inácio da Silva, von allen nur Lula genannt, mit nur 2,1 Millionen Stimmen Vorsprung gegen den amtierenden Präsidenten Jair Bolsonaro durch – eine Differenz von gerade einmal 1,8 Prozent der Stimmen.

Lula, der das größte Land Lateinamerikas bereits acht Jahre lang, von 2003 bis 2011, regiert hat, übernimmt ein gespaltenes Land. Nach vier Jahren der rechten Politik von Bolsonaro, der mit der Bagatellisierung der Corona-Pandemie („ein kleines Grippchen“) für Schlagzeilen sorgte, ist Brasilien faktisch zweigeteilt, die Rechte und die Linke stehen sich unversöhnlich gegenüber. Sie wieder zu versöhnen, wird Lulas größte Aufgabe sein – das weiß er auch. „Ich werde für alle 215 Millionen Brasilianer regieren“, sagte er in seiner Siegesansprache. „Es gibt keine zwei Brasilien. Es gibt ein Land, ein Volk – eine großartige Nation.“ 

Als Lula vor zwölf Jahren aus dem Amt schied, war er das beliebteste Staatsoberhaupt der Welt, seine Popularitätswerte lagen bei fast 85 Prozent. Er hat damals mit seinen Sozialprogrammen, allen voran bolsa familia, rund 30 Millionen Brasilianern zum Aufstieg aus der Armut verholfen. Heute ist die Lage noch schlechter als damals. Nach zweieinhalb Jahren der Pandemie stagniert die Wirtschaft, die Lebenshaltungskosten steigen. 33 Millionen Brasilianer leiden wieder unter akutem Hunger, und 100 Millionen leben in Armut. Bolsonaros Politik, insbesondere im Amazonas, hat dazu geführt, dass Brasilien zu einem internationalen Paria geworden ist.

In seiner Siegesrede machte Lula deutlich, dass seine erste Priorität die Verbesserung der Lage der Armen Brasiliens sein wird. „Wir können es nicht als normal hinnehmen, dass in diesem Land Millionen von Männern, Frauen und Kindern nicht genug zu essen haben“, sagte er einer begeisterten Menge. „Wenn wir der drittgrößte Lebensmittelproduzent der Welt und der größte Produzent von tierischem Eiweiß sind … haben wir die Pflicht, zu garantieren, dass jeder Brasilianer jeden Tag frühstücken, zu Mittag und zu Abend essen kann.“ 

Die Staatkasse ist weitgehend leer

Doch die Herausforderungen sind immens. Vor 20 Jahren hat Brasilien von der Weltkonjunktur profitiert, die Rohstoffpreise gingen durch die Decke. Der Staat nahm Milliarden aus den Exporten ein und konnte damit Sozialprogramme finanzieren. Heute verspricht er wieder, erschwinglichere Wohnungen zu bauen und Strom in weit entfernte Dörfer zu bringen. Er will große Infrastrukturprojekte umsetzen, hat eine Steuerreform und eine Anhebung des Mindestlohns versprochen. Doch kann er das alles finanzieren? Die Staatkasse ist weitgehend leer. 

Lula hat bis heute kein schlüssiges Wirtschaftsprogramm vorgelegt. Vielmehr hat er auf seine Erfolge als Präsident verwiesen und um Vertrauen geworben. Doch die Regierungsarbeit wird diesmal viel schwieriger als vor 20 Jahren – als Lulas Arbeiterpartei auf dem Höhepunkt der Popularität stand. Diesmal wird es Lula mit einem mehrheitlich oppositionellen Kongress zu tun haben, in dem viele Anhänger Bolsonaros sitzen werden. Auch in vielen wichtigen Bundesstaaten, darunter Sao Paulo und Minas Gerais, stellen Bolsonaros Verbündete künftig die Gouverneure – sie werden schon wissen, unbequeme Vorhaben des linken Präsidenten zu blockieren. 

 

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Dennoch ist Lulas Sieg für Brasilien eine Chance. Er will sich verstärkt für den Schutz der Amazonas-Urwälder einsetzen, die für das Weltklima von fundamentaler Bedeutung sind. Während der Amtszeit von Lula und seiner Nachfolgerin Dilma Rouseff hat Brasilien tatsächlich die Zerstörung der Wälder um 83 Prozent reduzieren können. Unter Bolsonaro hat sich das Tempo der Abholzung und Brandrodung fast verdoppelt. 

Lula ist auch eine Chance für die indigenen Völker, deren Territorien Bolsonaro für Bergbaukonzerne, Goldsucher und Holzfäller öffnen wollte. Er muss so schnell wie möglich die von Bolsonaro ausgehöhlten Indigenen- und Umweltorganisationen wieder aufbauen. Er könnte allerdings viel Gegenwind von der mächtigen Agrarlobby erfahren – die mehrere Abgeordnete im Kongress finanziert. Hier ist Lula aber gut gerüstet: Zu seinem Team gehören die bekannte Umweltaktivistin Marina Silva sowie die junge indigene Abgeordnete Celia Xakriaba. „Anstatt weltweit führend bei der Entwaldung zu sein, wollen wir Weltmeister in der Bewältigung der Klimakrise und in der sozio-ökologischen Entwicklung sein“, verspricht Lula. 

Lulas letzte Regierung wurde von Korruptionsaffären überschattet

Lula steht mehr für gesellschaftliche Toleranz als der streng religiöse Bolsonaro, der immer wieder gegen Homosexuelle und andere Minderheiten wetterte. Während dessen Amtszeit ist die Zahl homophober Überfälle um 50 Prozent gestiegen, auch die Diskriminierung von Schwarzen nahm zu. 

Für viele Brasilianer ist Lula dennoch kein Wunschpräsident – auch wenn sie ihm ihre Stimme gaben. Er wird vor allem als das kleinere Übel gegenüber Bolsonaro angesehen. Das liegt an den vielen Korruptionsaffären in Lulas letzter Regierung und in der Arbeiterpartei, die unter Lulas Nachfolgerin aufgedeckt wurden. Lula selbst konnten die Ermittler zwar keine illegale Bereicherung nachweisen, doch es ist unwahrscheinlich, dass er von den Korruptionsfällen im staatlichen Ölkonzern Petrobras nichts gewusst hat. Nun muss er beweisen, dass er seine Leute in Griff hat – und jeden Korruptionsversuch sofort ahnden. 

Lula soll das Amt am 1. Januar 2023 übernehmen. Ein Hauch Unsicherheit bleibt dennoch. Bolsonaro, der ein glühender Anhänger des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump ist und die Rhetorik des Amerikaners übernahm, hat die Niederlage noch nicht zugegeben. Noch im Wahlkampf betonte er stets, nur durch einen Wahlbetrug verlieren zu können. Wird er das Ergebnis – wie Trump vor zwei Jahren – anfechten? Oder vielleicht seine Anhänger – auch in der Armee – zu einem Putsch anstacheln? Während seiner Amtszeit ließ Bolsonaro die Waffengesetze lockern – vier Millionen Brasilianer kauften sich eine Waffe, die meisten davon sind seine Anhänger. 

Das Szenario ist eher unwahrscheinlich; mehrere politische Unterstützer Bolsonaros haben die Niederlage eingestanden. Damit darf Luiz Inácio da Silva ein erstaunliches Comeback feiern.

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