Wer ist Kamala Harris? - Anklägerin ohne Gnade

Kamala Harris wird als Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin zusammen mit Joe Biden gegen Donald Trump antreten. Die Personalie wirkt folgerichtig und wird den Wahlkampf beleben. Aber kann die Senatorin aus Kalifornien den Unterschied ausmachen?

Angriffslustig und angstlos: Kamala Harris / dpa
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Autoreninfo

Daniel C. Schmidt ist freier Reporter. Er studierte in Manchester und London (BA Politics & Economics, MSc Asian Politics) und lebt zur Zeit in Washington, D.C.. Schmidt schreibt über Pop, Kultur und Politik.

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Die Luft im Raum war bereits abgestanden, als nach langen, zähen Stunden Kamala Harris in der Fragerunde an die Reihe kam. Nach einem kurzen Hin und Her ging es um eine Anwaltskanzlei, die in der Vergangenheit auch in einem Fall Donald Trump verteidigt hatte, und um ein Gespräch zwischen zwei Männern, die nicht hätten miteinander sprechen dürfen. Ob er dazu etwas sagen könne, wollte Harris von ihrem Gegenüber wissen. 

„Seien Sie ganz sicher, was Sie jetzt gleich antworten, Sir“, schob die Senatorin aus Kalifornien in der Sitzung des Justizausschusses hinterher. Es klang wie eine Drohung für einen Schuljungen, der offensichtlich Mist gebaut und soeben die Chance bekommen hatte, seine Missetaten zu beichten. Der Mann, der in der Mitte des Saals hinter dem massiven Holztisch saß, suchte nach den passenden Worten, er stammelte, fing den Satz neu an, bis er sagte: „Denken Sie an eine bestimmte Person?“

Angriffslustig und angstlos

„Ich habe Ihnen eine ganz konkrete Frage gestellt”, sagte Harris in einem scharfen Ton. „Ja oder nein?”

Den Mann, den sie dort zusammenfaltete, hieß Brett Kavanaugh. Heute ist er einer der mächtigsten Männer der USA. Er sitzt am Supreme Court, Amerikas obersten Gericht. Sein Wort hat Gewicht, seine juristischen Interpretationen und Entscheidungen können die Politik des Landes auf Jahrzehnte beeinflussen. Damals, im September 2018, saß er im Justizausschuss des Senats und musste seine von Präsident Trump vorgeschlagene Nominierung als Richter am Supreme Court vor laufenden Kameras verteidigen. 

Kamala Harris zeigte an jenem späten Nachmittag noch einmal ihre Qualitäten als Anklägerin: ohne Gnaden, angriffslustig, bestimmend, angstlos gegenüber Autoritäten. Die 55-Jährige war von 2004 bis 2011 Bezirksstaatsanwältin in San Francisco, danach bis zu ihrer Wahl als Senatorin im Jahr 2016 Justizministerin von Kalifornien. 

Eine historische Wahl 

Als nächstes könnte eine der größten Aufgaben der amerikanischen Politik auf sie warten: Sie kann im November Vizepräsidentin der USA werden, Joe Biden hat sie soeben als Demokratische Kandidatin für das Amt ausgesucht. In Washington wird diese Entscheidung, wer den Anwärter im Rennen um den Einzug ins Weiße Haus begleitet, immer mit vielen Fanfaren begleitet. Geschichtlich hat die Auswahl des Vizepräsident-Kandidaten jedoch scheinbar wenig mit dem späteren Wahlausgang zu tun.

Historisch ist ihre Wahl allemal. 2019 hatte Harris noch selbst für das höchste politische Amt der Vereinigten Staaten kandidiert, als dritte farbige Bewerberin einer der zwei großen Parteien. Durch Bidens Entscheidung für sie könnte Harris jetzt als erste Frau und als erste Woman of Colour das Land mit ihm führen.

Der Kompromiss-Bonus 

Für die Republikaner eröffnet ihre Wahl hingegen einen schmalen Weg, den dahinplätschernden Wahlkampf noch einmal anzufachen. Bislang liefen die meisten Angriffe auf Joe Biden ins Leere. Egal was Trump in seine Richtung schleuderte, nichts ist hängengeblieben. Mit Harris hat Biden seiner Kampagne noch einmal eine genauere politische Ausrichtung gegeben. Er hätte sich für eine linkere, progressivere Kandidatin entscheiden können, um Anhänger von Bernie Sanders und Elizabeth Warren zu befrieden, hat aber die eher zentristische Pragmatikerin aus Kalifornien ausgesucht.

Sie hat zwar nur vier Jahre im Senat hinter sich, könnte aber als Vizepräsidentin dort später helfen, Bidens Agenda post-Trump durchzusetzen. Mit ihrer ideologischen Grundhaltung wären notwendige Kompromisslösungen zwischen Demokraten und Republikanern womöglich denkbarer als mit einer linkeren Kandidatin. Ein großer Bonus, falls die Demokraten die Mehrheit im Senat nicht zurückerobern sollten.

Wo Harris angreifbar ist 

Wobei wir gleichzeitig bei möglichen Angriffsflächen wären: Ihre eigene Präsidentschaftskandidatur hatte sie bereits im Dezember 2019, also noch vor Beginn der Vorwahlen, zurückgezogen. Trotz allem rhetorischen Geschick ist sie nicht immer die effektivste Wahlkämpferin gewesen, was im Covid-Amerika 2020 allerdings nicht so wichtig sein könnte. Biden hat selbst seit Wochen kaum Termine außerhalb seines Kellerstudios in Delaware wahrgenommen und führt trotzdem oder gerade deshalb in den Umfragen. 

Dennoch gibt es in ihrer Vergangenheit als Staatsanwältin ein paar Ereignisse, die sie angreifbar machen. Im Senat hat sie sich als eine der größten Befürworterinnen einer umfangreichen Justizreform hervorgetan, um vor allem Mitglieder der Black Community zu entlasten. Als Anklägerin warb sie 2008 für ein Programm, das unter anderem Schulschwänzern mit teils harten Strafen drohte, was disproportional schwarze Kinder betraf. 

Das Bild der elitären Westküsten-Liberalen  

Von diversen Aktionen innerhalb ihres Ministeriums musste sie sich dann als Justizministerin distanzieren, oft mit dem Hinweis versehen, dass sie von den Unternehmungen angeblich nichts gewusst habe. All das ist bekannt und bereits thematisiert worden nach Ankündigung ihrer Präsidentschaftskandidatur 2019. Die Republikaner werden sich dennoch weiter damit beschäftigen. 

Wahrscheinlich wird sie, da Biden schon angekündigt hat, bei einem Wahlsieg ohnehin nur eine Amtszeit anzustreben, auch als das Gesicht der Partei 2024 gelten, was für Trump und seine Partei die Möglichkeit offen lässt, sie als elitäre Westküsten-Liberale darzustellen, die keinen Bezug zum wahren Inlandsamerika hat. Außerdem könnte es so aussehen, als ob sie sich von Tag eins an auf Bidens Abdanken vorbereitet: Vorsicht, könnte das Narrativ der Republikaner lauten, wer für vier Jahre Biden stimmt, könnte acht Jahre Harris obendrauf bekommen! 

Die Hautfarbe bringt keine Punkte  

Ob ihre Herkunft – Harris’ Mutter stammt aus Indien, ihr Vater aus Jamaika – Biden helfen kann, noch mehr schwarze Wähler zu mobilisieren, ist schwer vorherzusagen. Aufgrund seiner hohen Zuspruchswerte in der Black Community mag ihre Wahl ohnehin keinen großen Ausschlag haben, zumal für viele Aktivisten konkrete Maßnahmen wie eine Reform der Polizeiarbeit viel ausschlaggebender sind, als eine Woman of Colour im Weißen Haus zu sehen. 

Ihr Heimatbundesstaat Kalifornien ist in Bidens Wahlstrategie ohnehin fest eingeplant, da ist sie ihm keine große Hilfe. Jemand wie Amy Klobuchar, die Senatorin aus Minnesota, hätte ihn im Mittleren Westen beim Stimmenfang eher unterstützen können, ebenso wie Stacy Abrams aus Georgia bei den Südstaaten. Am Ende ist das vielleicht alles nichtig, am Ende wird es für die meisten Amerikaner, die sich nur alle vier Jahre für Politik interessieren und dadurch aus der Wahl eine Art Popularitätswettbewerb zwischen zwei Kandidaten machen, womöglich wie bei Kavanaughs Austausch mit Harris sein: eine ganz konkrete Frage, wenig Spielraum. 

Noch einmal vier Jahre Trump, ja oder nein? 

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