Amy Gutmann - Politologin wird neue US-Botschafterin in Berlin

Ihr Vater war 1934 vor den Nazis aus Deutschland geflohen, jetzt wird die Uni-Präsidentin Amy Gutmann US-Botschafterin in Berlin – als erste Frau auf diesem Posten. Am Dienstag gab der US-Senat in Washington seine Zustimmung. Im vergangenen August hat Stephan Bierling Gutmann für Cicero porträtiert.

Amy Gutmann beerbt Richard Grenell als US-Botschafterin in Deutschland / Trustees of the University of Pennsylvania
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Autoreninfo

Stephan Bierling lehrt Internationale Politik an der Universität Regensburg. Soeben erschien von ihm „America First – Donald Trump im Weißen Haus“ (C. H. Beck).

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Keine Nation umgarnt der neue amerikanische Präsident so sehr wie Deutschland. Vorgänger Donald Trump hatte die Bundesrepublik noch wegen enormer Handelsüberschüsse, niedriger Verteidigungsausgaben und Nord Stream 2 gedisst. Joe Biden dagegen überhäuft Berlin mit Komplimenten. Sanktionen und Truppenabzug sind vom Tisch, Angela Merkel darf ihn als erste europäische Regierungschefin im Weißen Haus besuchen. Und Biden setzt noch einen drauf: Er schickt einen Superstar als Botschafterin in die deutsche Hauptstadt.

Amy Gutmann bringt alles mit, was man für diesen Job braucht: eine bewegende Familiengeschichte, eine Bilderbuchkarriere, intellektuellen Tiefgang, beste Verbindungen zu Wirtschaft und Politik. Was sie anpackt, scheint buchstäblich zu Gold zu werden. In ihrem derzeitigen Job als Universitätspräsidentin warb sie fast zehn Milliarden Dollar ein. Das Wirtschaftsmagazin Fortune kürte sie 2018 zu den „fünfzig großartigsten Führungspersönlichkeiten der Welt“. Verbindungen zu Deutschland, obwohl bittere, hat Gutmann außerdem.

Bilderbuch-Karriere

Ihr Vater Kurt entstammte einer jüdischen Kaufmannsfamilie im fränkischen Feuchtwangen. Nach Hitlers Machtergreifung floh er 1934, noch Student, aus Deutschland, ging nach Indien, baute eine Metallwarenfabrik auf und holte seine Familie nach. Im Urlaub in New York 1948 verliebte er sich, heiratete und siedelte in die USA über. Ein Jahr später kam Tochter Amy zur Welt. Ihr Vater habe sie enorm beeinflusst, sagte diese 2011 der New York Times, ohne seinen Mut und Weitblick würde es sie gar nicht geben.

Amy Gutmann wird zu einer personifizierten amerikanischen Einwanderer-­Erfolgsstory. Als Erste in ihrer Familie geht sie aufs College. Sie studiert Politikwissenschaft, macht ihren Master als Fulbright-Stipendiatin an der London School of Economics, ihren Doktor 1976 in Harvard. Fast 30 Jahre arbeitet sie an der Elite-Uni Princeton vor allem zu Menschenrechten und zur Stärkung der Demokratie. Sie gewinnt Preise über Preise für Lehre und Forschung und bringt es bis zur Vizepräsidentin.

2004 dann der Sprung in die Champions League: Gutmann wird Präsidentin der Universität von Pennsylvania, eine der Spitzenhochschulen weltweit und zweitgrößter Arbeitgeber im Bundesstaat mit 30.000 Angestellten. Gutmann hat eine klare Vision, öffnet die Universität für Minderheiten und Kinder aus bildungsfernen Schichten. Und sie lebt ihre Prinzipien: Mit ihrem Mann Michael Doyle, einem renommierten Politikprofessor der Columbia-Universität, spendet sie mehr als drei Millionen Dollar für bedürftige Studenten. Der Hochschulrat ist hingerissen, verlängert ihren Vertrag zwei Mal und macht sie damit zur am längsten amtierenden Präsidentin in der Geschichte von „Penn“. 

Auch Wirtschaft und Politik erkennen das Potenzial der heute 71 Jahre alten Überfliegerin. 2006 holt sie die Vanguard Group in den Vorstand, eine Investitionsgesellschaft, die sieben Billionen Dollar an Anlagen verwaltet. 2009 beruft sie Barack Obama in die Präsidialkommission für Fragen der Bioethik. 

Gute Bekannte

Joe Biden lernt Gutmann nach Ende seiner US-Vizepräsidentschaft kennen und schätzen. 2017 heuert ihn ihre Universität als „Professor für Praxis“ an, um sich mit dem großen Namen zu schmücken und für ihre internationalen Programme zu werben. Unterrichten muss Biden zwar nicht, aber immerhin tritt er ein Dutzend Mal auf dem Campus auf, darunter bei drei Diskussionen mit Gutmann. Dafür erhält er in zwei Jahren 900.000 Dollar – ein im privaten Hochschulsystem der USA nicht außergewöhnlicher Betrag. Zum Vergleich: Die Universität von Alabama zahlt ihrem Football-Coach 9,3 Millionen Dollar im Jahr.

Dass Biden Gutmann überhaupt benennen kann, liegt an einer Besonderheit der amerikanischen Politik. Nur 70 Prozent der US-Botschafter sind Karrierebeamte aus dem Außenministerium, die restlichen Posten – darunter jene in Peking, Moskau, London, Paris und in Berlin – vergibt der Präsident: an Weggefährten, Großspender oder an Parteiveteranen. 

Herzlich empfangen

Wird Gutmann vom Senat bestätigt, wird sie als erste Frau die Vereinigten Staaten in Deutschland vertreten. Berlin ist von ihrer Nominierung entzückt. Amerikanische Professoren-Diplomaten haben dort Tradition. Zwischen 1893 und 1957 waren sechs der 13 Botschafter Hochschullehrer, vier sogar Uni-Präsidenten. 

Die Freude über Gutmann hat aber auch mit ihrem Vorgänger zu tun. Sie folgt Richard Grenell nach, der als Trumps Bulldozer durch die deutsche Politik pflügte und wohl der unbeliebteste US-Botschafter in der bundesrepublikanischen Geschichte war.

 

Dieser Text stammt aus der August-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

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