Unruhen auf Kuba - Es brodelt auf der Insel

Landesweit demonstrieren in Kuba Tausende gegen Mangelwirtschaft und Unterdrückung durch die Regierung. Dass es zu politischen Unruhen kommen würde, hat sich schon lange angekündigt. Wie gefährlich sind die Bürgerproteste für das kubanische Regime?

Die Polizei verhaftet einen regierungskritischen Demonstranten am 11. Juli in Havanna / dpa
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Allison Fedirka arbeitet als Analystin für die Denkfabrik Geopolitical Futures. Sie hat mehrere Jahre in Südamerika gelebt. 

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Tausende Kubaner sind am 11. Juli überall im Land auf die Straßen gegangen, um gegen die schlechte Wirtschaftslage und gegen ihre persönlichen Lebensbedingungen zu protestieren, die sich während der Corona-Pandemie immer weiter verschlechtert haben, weil der Tourismus, die ausländischen Direktinvestitionen und die Überweisungen aus dem Ausland stark zurückgegangen sind. 

Es handelt sich aus mehreren Gründen um ein bedeutsames Ereignis. Erstens waren es die größten Proteste seit der Machtübernahme der kommunistischen Regierung vor mehr als 60 Jahren. Zweitens fanden sie in einer Vielzahl von Städten weitgehend zur gleichen Zeit statt – was darauf schließen lässt, dass sie bis zu einem gewissen Grad koordiniert waren. Und schließlich waren die Proteste monatelang vorbereitet worden, da sie zumindest teilweise aus Oppositionsbewegungen im Jahr 2020 hervorgegangen sind.

Abhängig von ausländischen Mäzenen

Ebenso wichtig ist die Frage, was die Proteste für Kubas Zukunft bedeuten. Da die Wirtschaft des Landes von ausländischen Mäzenen abhängt, stellen Wirtschaftskrisen die gesamte geopolitische Ausrichtung in Frage. Sie ziehen seit langem bestehende politische Rivalitäten sowohl innerhalb der Insel als auch zwischen Weltmächten wie den USA, Russland und China nach sich, sodass das Durchhaltevermögen der Regierung bis zu einem gewissen Grad von der Bereitschaft eines ausländischen Mäzens abhängt, zu intervenieren.

Um die aktuellen Unruhen zu verstehen, ist es hilfreich, einen Blick auf frühere Vorfälle dieser Art zu werfen. In den 1990er Jahren durchlief Kuba die sogenannte Sonderperiode, einen schweren wirtschaftlichen Abschwung, der durch den Zusammenbruch seines Wohltäters, der Sowjetunion, ausgelöst worden war. Von 1989 bis 1993 schrumpfte Kubas Wirtschaft um fast 35 Prozent, und das Haushaltsdefizit des Landes stieg von 7,3 Prozent auf 33,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Erinnerungen an „Maleconazo“-Protest

Die üblichen Spannungen wurden zusätzlich dadurch verschlimmert, dass Scharen von Kubanern die Insel in Richtung der Vereinigten Staaten verließen: äußerst schädliche Bilder für die Regierung, die deshalb begann, Boote, die in die USA fuhren, zurückzuhalten. Viele Kubaner saßen somit an der Küste Havannas fest und brachen schließlich einen Protest los, der als „Maleconazo“ bekannt wurde. Fidel Castro selbst begleitete Sicherheitskräfte, um die Unruhen zu unterdrücken, und die Ordnung wurde bald wiederhergestellt. Weniger als eine Woche später lockerte die Regierung die Reisebeschränkungen für die Bürger, was dazu führte, dass Zehntausende das Land verließen.

Die Ähnlichkeiten zwischen damals und heute sind frappierend. In beiden Fällen verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage, bevor ein einschneidendes Ereignis – der Zusammenbruch der Sowjetunion damals, die Corona-Pandemie aktuell – die Lage weiter verschlimmerte. Beide Ereignisse unterbrachen die Handelsströme und den Zugang der Regierung zu harter Währung erheblich und schränkten so die Importe auf die Insel ein. Infolgedessen wurden Basisgüter sowie Materialien und Rohstoffe knapp.

Wirtschaft kam fast zum Erliegen

Interne Probleme in den Ländern, von denen Kuba bei der Energieversorgung abhängig ist (einst die Sowjetunion, jetzt Venezuela) führten zu einem starken Rückgang der Energieversorgung. Ohne die importierten Brennstoffe und Industriematerialien kam die wirtschaftliche Aktivität auf der Insel fast zum Erliegen. Die Treibstoffknappheit führte zu einer Aushöhlung der landwirtschaftlichen Produktion. Kurzum: Der Maleconazo-Protest, der an der Küste Havannas begann, sollte dazu führen, dass Kuba groß angelegte, öffentliche Unruhen erleben würde.

Allerdings überlebte die Regierung in Havanna die Sonderperiode. Castro wurde zum Teil durch den zunehmenden Tourismus und die damit verbundenen ausländischen Direktinvestitionen gerettet, ebenso durch das Auftauchen Venezuelas als Öl- und Wirtschaftspatron sowie durch eine Reihe wirtschaftlicher Maßnahmen, die den öffentlichen Druck etwas verringerten. 

Doch aktuell ist die Situation eine andere. Kubas amtierender Präsident Miguel Diaz-Canel hatte von dem bevorstehenden Abschwung gewusst und deshalb damit begonnen, einige Wirtschaftsreformen durchzuführen – zum Beispiel wurden Existenzgründungen erleichtert, Geldstrafen für Preisspekulationen wurden eingeführt und Devisentransaktionen an Flughäfen verboten. Anstatt zu leugnen, dass ein Problem existiert, wollte er es frontal angehen oder zumindest so schrittweise, wie es das kubanische System aushalten kann. 

Vor einem Wendepunkt

Erst im vorigen Monat räumte Diaz-Canel ein, dass der Zufluss harter Währung in den vergangenen zwei Jahren um 2,89 Milliarden Dollar zurückgegangen sei. Er gab auch zu, dass trotz der Bemühungen der Regierung die Lebensmittelimporte in diesem Jahr nicht ausreichten, um die Nachfrage zu befriedigen. Wie üblich machte er auch die US-Blockade und andere anti-kubanische Maßnahmen für den wirtschaftlichen Abschwung verantwortlich.

Mit anderen Worten: Viele wirtschaftliche Hebel sind bereits umgelegt worden, und es gibt Grenzen dessen, was noch getan werden kann, ohne das System komplett in Frage zu stellen. Es wird nicht erwartet, dass eine harte Währung in absehbarer Zeit auf die Insel zurückkehrt, da der Tourismus wegen weltweiter Corona-Reisebeschränkungen immer noch brach liegt. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres kamen nur 88.000 Touristen auf die Insel.

Natürlich sind Kuba wirtschaftlicher Zwang, Nahrungsmittelknappheit und politische Opposition nicht fremd. Nur scheint nun der Punkt erreicht, an dem es zu politischen und geopolitischen Reaktionen kommen dürfte. Die Teilnehmer an den Protesten vom 11. Juli haben Verbindungen zu den etablierten politischen Oppositionsgruppen N27 (27. November) und der San-Isidro-Bewegung. Diese beiden Gruppen hielten bereits im November 2020 kleinere Anti-Regierungs-Demonstrationen ab, als die San-Isidro-Bewegung öffentliche Hungerstreiks inszenierte und die Regierung aufforderte, die Kontrollen zu lockern und politische Gefangene aus der Haft zu entlassen. 

Die Regierung bot den Oppositionsgruppen daraufhin Verhandlungen an, um zu beschwichtigen. Nur löste das Regime sein Versprechen nicht ein. Inspiriert von San Isidro wurde N27 gegründet, als ein zweiter öffentlicher Hungerstreik die Unterstützung von 300 Teilnehmern fand. Am Ende willigte die kubanische Regierung ein, Gespräche mit den Demonstranten aufzunehmen, die letztendlich aber zu nichts führten. Im Laufe dieses Jahres hat die Bewegung die US-Regierung wiederholt um Unterstützung gebeten, weitere Hungerstreiks abgehalten und daran gearbeitet, die Beziehungen zu internationalen Gruppen wie der Organisation Amerikanischer Staaten und dem Internationalen Gerichtshof zu verbessern.

Kuba wirft den USA Einmischung vor

Posts in den sozialen Medien offenbaren die Verbindungen zwischen den Bewegungen von 2020 und den Ereignissen des 11. Juli. Viele der Hashtags, die verwendet wurden, um die Proteste vom 11. Juli zu organisieren und zu fördern, wie #SOSCuba, #PatriaYVida, #CubaLibre, @Mov_sanisidro und @CubaDecide, knüpfen direkt an die politischen Bewegungen des vorigen Jahres an. Außerdem berichteten lokale Medien, dass Luis Manuel Otero Alcantara, ein Anführer der San-Isidro-Bewegung, verhaftet wurde. 

Die Größe, der Umfang und das gleichzeitige Auftreten so vieler Proteste legen nahe, dass sie koordiniert waren. Ob Washington direkt oder indirekt eine Rolle dabei gespielt hat, ist noch offen. Die USA sind jedenfalls ein großer Profiteur der Proteste.

Havanna hat sich derweil an das gewohnte Drehbuch gehalten. Innerhalb weniger Stunden nach den Protesten entsandte die Regierung Sicherheitskräfte an jeden Ort, um dort die Unruhen zu unterdrücken, oft mit Gewalt. Von der Nacht des 11. Juli bis zum Morgen des 12. Juli führten die Sicherheitskräfte eine Reihe von Razzien durch und verhafteten diejenigen, die verdächtigt wurden, hinter den Demonstrationen zu stehen. Die Regierung veranlasste auch, dass der Strom und das Internet abgeschaltet wurden, um die Proteste zu stoppen. Währenddessen rief Diaz-Canel den ehemaligen Präsidenten Raul Castro zu einer öffentlichen Demonstration der Einheit auf. Die Vereinigten Staaten verurteilte er, sie hätten sich in kubanische Angelegenheiten eingemischt. Zum jetzigen Zeitpunkt existieren jedoch keine Beweise dafür, dass die USA direkt involviert waren – allerdings existiert eine lange Geschichte der Einmischung Washingtons in kubanische Politik.

Botschaft an China und Russland

Damit bleiben Russland und China als zwei Kandidaten, die einspringen und Kuba bei der Bewältigung seiner Wirtschaftskrise helfen könnten. Beide Staaten dürften ein Interesse daran haben, enge Beziehungen zu Kuba zu pflegen. Denn Kuba ist ein wunder Punkt für die USA. Aber natürlich wäre die Nähe zu Kuba für China und Russland mit politischen und wirtschaftlichen Kosten verbunden, die sie vielleicht nicht zu zahlen bereit sind.

Die Vereinigten Staaten wünschen sich nichts sehnlicher als einen Regimewechsel in Kuba. Schließlich ist das die Voraussetzung für die Aufhebung der Blockade und damit für die Wiedergewinnung amerikanischen Einflusses im Inselstaat. Politischen Druck auf Havanna auszuüben, wäre also auch eine Botschaft an China und Russland: Wenn ihr euer Standbein in Kuba behalten wollt, wird es euch einiges kosten.

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