Ungarn - „ Wir nennen die Dinge beim Namen “

Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó über den Streit wegen der Central European University, die Herausforderungen durch Massenmigration – und über das Image seines Landes als „Diktatur light“

Erschienen in Ausgabe
„Machen wir uns nichts vor, Frontex ist ein Reisebüro“ / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Herr Minister, viele Menschen in aller Welt, insbesondere Akademiker, sind befremdet angesichts der ungarischen Gesetzgebung im Hinblick auf die ­Central European University (CEU). Was hat Ihre Regierung eigentlich für ein Problem mit dieser Hochschule?
Die Gesetze betreffen alle ausländischen Universitäten in Ungarn und keineswegs allein die CEU. Davon gibt es 28 in unserem Land. Lustigerweise war dem deutschen Botschaftsmitarbeiter, der uns in dieser Angelegenheit konsultiert hat, gar nicht bewusst, dass auch eine deutsche Auslandsuniversität in Ungarn existiert. Und wir legen einfach nur Wert darauf, dass sich diese Hochschulen an die Gesetzeslage in unserem Land halten. Übrigens hat von den 28 Auslandsunis nur die CEU unser Gesetz kritisiert, alle anderen scheinen kein Problem damit zu haben.

Die CEU wurde 1991 mithilfe des aus Ungarn stammenden Finanzinvestors George Soros gegründet. Man hat den Eindruck, dass es in der Auseinandersetzung um die CEU vor allem um die Person Soros geht.
Es ist völlig offensichtlich, dass ­George Soros Einfluss auf die Innenpolitik meines Landes nehmen will. Er hat ja oft genug öffentlich zum Ausdruck gebracht, dass ihm die amtierende Regierung missfällt. Das ist für sich genommen nichts Ungewöhnliches, denn es gibt immer Staaten und Nichtregierungsorganisationen, die andere Staaten beeinflussen wollen. So weit, so gut. Eine verantwortlich handelnde Regierung sollte dann allerdings schon wissen, welche Akteure sich in welcher Weise und zu welchem Zweck in innenpolitische Angelegenheiten einmischen wollen. Und wir möchten da einfach Transparenz schaffen. Denn die Bürger haben ein Recht darauf zu erfahren, wer hier welche Interessen vertritt.

Und worin besteht Ihrer Ansicht nach das Interesse von George Soros im Hinblick auf Ungarn?
Sein wichtigstes Interesse betrifft unsere Migrationspolitik. Die von Soros finanzierten Organisationen vertreten da einen Ansatz, der dem unsrigen diametral entgegensteht. Die Regierung, der ich angehöre, will illegale Zuwanderung begrenzen, während Soros die Migration ausdehnen will. Im Gegensatz zu den erwähnten Lobbygruppen ist Ungarns Regierung allerdings demokratisch legitimiert.

Worin sollte Ihrer Ansicht nach denn das Interesse von Soros bestehen, wenn er für mehr Migration eintritt?
Das weiß ich nicht, und ehrlich gesagt ist es mir auch egal. Wir als Regierung haben uns jedenfalls auf eine restriktive Migrationspolitik festgelegt. Ungarn ist ein kleines Land, und wenn Hunderttausende Menschen illegal unsere Grenzen übertreten, dann bedeutet das einen Kontrollverlust. Das können und werden wir nicht akzeptieren, weil wir für die Sicherheit unserer Bürger verantwortlich sind.

Der ungarische Schriftsteller György Konrád hat Ihrer Regierung in einem offenen Brief unlängst wegen der neuen Hochschulgesetze sogar Nazimethoden vorgeworfen und eine Propaganda wie bei Joseph Goebbels. Haben Sie schon darauf reagiert?
Soviel ich weiß, hat Ministerpräsident Orbán in einem privaten Schreiben auf diesen Brief geantwortet. Wenn György Konrád den Inhalt dieses Schreibens öffentlich machen möchte, kann er das gerne tun.

Hat Ihre Regierung eigentlich ein Problem mit dem, was an der CEU inhaltlich gelehrt wird? Sie gilt ja als sehr liberal.
In Ungarn gefährdet niemand die Lehr­freiheit und die Forschungsfreiheit. Jede anderslautende Darstellung ist eine Lüge.

Die EU-Kommission hat wegen der Hochschulgesetze unlängst sogar ein Verfahren gegen Ungarn eingeleitet. Wie geht es jetzt weiter?
Wir begrüßen die Vorgehensweise der Kommission. Denn auch uns ist daran gelegen, dass wir im Rahmen der EU-Gesetzgebung handeln. Als wir im Jahr 2010 an die Regierung kamen, war Ungarn in einer schlechteren wirtschaftlichen Verfassung als Griechenland. Daraufhin haben wir sehr tief greifende Strukturreformen eingeleitet, und wie heute sahen wir uns damals schweren Vorwürfen und Angriffen vonseiten der EU ausgesetzt. Es gab etliche Vertragsverletzungsverfahren, und entweder wir haben am Ende recht bekommen oder unsere eigenen Gesetze so abgeändert, dass sie den EU-Normen entsprachen. Das ist ein normales rechtsstaatliches Verfahren, und daran werden wir uns auch diesmal halten. Es ist wichtig zu sehen, dass die EU-Kommission das Verfahren nicht wegen der Verletzung der Lehrfreiheit, sondern wegen der möglichen Verletzung des freien Dienstleistungsverkehrs eingeleitet hat. Damit hat die Kommission auch zugegeben, dass in Ungarn niemand die Lehrfreiheit gefährdet. Es sollte darüber aber nicht vergessen werden, dass die Mitgliedstaaten die EU bilden und nicht umgekehrt. Manchmal erscheinen mir die Brüsseler Institutionen da ein bisschen sehr selbstzufrieden und realitätsfern.

Die ungarische Regierung hat in Brüssel den Ruf des bösen Buben.
Was sehr unfair ist, weil in diesem Zusammenhang immer auf frühere Verfahren verwiesen wird. Aber diese Verfahren sind abgeschlossen. Und zwar entweder in unserem Sinne. Oder eben nicht in unserem Sinne, und dann haben wir unsere Gesetze entsprechend abgeändert. Was ist daran schlimm? Natürlich ist uns an einem schlechten Image nicht gelegen, aber gegen manche Erzählungen kommen Sie mit Fakten nicht an.

Spätestens mit der Flüchtlingskrise hat Ungarn besonders in westlichen EU-Ländern ein Image als fremdenfeindliche Nation bekommen. Und Ihr Land widersetzt sich weiterhin beharrlich einer Verteilungsquote für Flüchtlinge. Das bringt Sie in den Ruf, unsolidarisch zu sein.

Es gibt zwei Arten von Solidarität. Man kann sich solidarisch zeigen, indem man jemandem die Last von den Schultern nimmt. Oder indem man verhindert, dass die Last auf den Schultern größer wird. Wenn Ungarn seine grüne Grenze nach Serbien und Kroatien nicht geschlossen hätte, wären noch sehr, sehr viel mehr illegale Migranten nach Deutschland gekommen. Und zwar Hunderttausende. Wir fühlen uns wegen dieser Grenzschließung zu Unrecht kritisiert.

Und deshalb lehnen Sie die Flüchtlingsquote ab?
Wir lehnen sie aus drei Gründen ab. Zum Ersten ist sie nicht umsetzbar, weil die Migranten ohnehin nach Deutschland wollen und sie sich von einer Quote nicht aufhalten lassen werden. Zum Zweiten würde mit einer Verteilungsquote das Signal gesetzt, dass weiterhin unbegrenzte Zuwanderung möglich ist. Und drittens wäre eine solche Quote nicht EU-rechtskonform. Denn sie würde bedeuten, dass das Dublin-Abkommen mit einfacher Mehrheit durch die Justizminister der Mitgliedstaaten verändert würde. Kurzum: Die Quote ist sowohl politisch wie auch rechtlich eine Sackgasse.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán hat Migration als das „Trojanische Pferd des Terrorismus“ bezeichnet. Das klingt so, als sei jeder Migrant ein verkappter Terrorist.
Wenn Sie zum Beispiel von Serbien aus nach Ungarn einreisen, müssen Sie sich ausweisen, und Ihre Identität wird überprüft. Wenn Sie mit dem Flugzeug einreisen, wird sogar Ihr Handgepäck durchleuchtet, Sie müssen den Inhalt Ihrer Hosentaschen vorzeigen und Getränkeflaschen abgeben. Aber gleichzeitig lässt man Hunderttausende ins Land, ohne auch nur eine einzige Frage zu stellen? Eine größere Einladung an Terrororganisationen, ihre Kämpfer einzuschleusen, ist ja wohl kaum vorstellbar. Und genau darum geht es Viktor Orbán: Darauf aufmerksam zu machen, dass mit der illegalen Migration auch die Terrorgefahr wächst – wie es in Paris, Nizza, Berlin und Brüssel klar zu sehen war. Natürlich ist uns klar, dass nicht jeder Migrant ein Terrorist ist. Wir sind ja nicht blöd.

Ungarn war eines der wichtigsten Transitländer während der Flüchtlingskrise. Wie hat sich die Situation verändert, seit Sie den Grenzzaun zu Serbien und Kroatien errichtet haben?
Es gibt seither praktisch keine illegalen Migrationsbewegungen mehr.

Wie stehen Sie zum Flüchtlingsabkommen mit der Türkei?
Ich denke, der Ansatz ist richtig, ein Abkommen mit der Türkei zu schließen. Aber ich sehe zwei Fehler dabei. Zum einen, dass wir uns nur auf dieses Abkommen verlassen und nicht gleichzeitig dafür sorgen, unsere EU-Außengrenzen aus eigener Kraft schützen zu können. Der zweite Fehler liegt darin, dass die EU mit dem Abkommen bei der Türkei den Eindruck erweckt hat, dieses sei gekoppelt an die Visafreiheit für türkische Bürger. Denn in Wahrheit haben diese beiden Punkte nichts miteinander zu tun. Faktisch hat die EU so die Verantwortung zur Sicherung ihrer Außengrenzen in die Hände des türkischen Staatspräsidenten gegeben.

Was schlagen Sie vor? Einen Ausbau der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex?
Machen wir uns nichts vor, Frontex ist ein Reisebüro. Wir brauchen ernst zu nehmende Streitkräfte auf See und an Land, um unsere Außengrenzen zu schützen.

Die deutsche Bundeskanzlerin spricht lieber davon, man müsse „Fluchtursachen bekämpfen“. Was halten Sie von diesem Ansatz?
Ich stimme da mit Angela Merkel völlig überein. Es geht darum, die vielen Konflikte zu beenden, durch die Hunderttausende Menschen in die Migration getrieben werden. Konflikte übrigens, die nicht von uns Europäern geschürt wurden. Deswegen hoffen wir auch auf eine bessere Kooperation zwischen Russland und den Vereinigten Staaten. Das hat nichts damit zu tun, dass wir als ungarische Regierung Putin-freundlich wären. Sondern damit, dass wir aus historischer Erfahrung wissen, dass wir immer dann zu den Verlierern gehören, wenn es eine Auseinandersetzung zwischen dem Westen und dem Osten gab. Und derzeit gibt es im Hinblick auf viele Nachbarregionen zu Europa einfach keine Übereinstimmung zwischen Russland und den Vereinigten Staaten. Europa ist dabei der Leidtragende, denn der Migrationsdruck lastet ja auf uns – und nicht auf Russland oder den USA. Außerdem sollten wir Europäer unsere Hilfszahlungen davon abhängig machen, dass die begünstigten Länder einen Reformprozess in Gang setzen, der tatsächlich für bessere Lebensbedingungen ihrer Bürger sorgt und ihnen so den Anreiz zum Auswandern nimmt. Das betrifft Bildung, Wirtschaft, Rechtssicherheit und vieles mehr.

Ungarn wehrt sich ja insbesondere auch gegen Zuwanderung aus muslimischen Ländern. Hat das damit zu tun, dass Ihr Land 150 Jahre lang unter osmanischer Herrschaft stand?
Nein, das glaube ich nicht. Natürlich respektieren wir Menschen mit anderer Religion und Kultur, aber die massenhafte, insbesondere illegale Migration führt erfahrungsgemäß zur Bildung von Parallelgesellschaften. So etwas wollen wir in Ungarn nicht. Wir sind seit mehr als 1000 Jahren ein christlich geprägtes Land und möchten es auch bleiben. Wir sollten uns auch nicht scheuen, das offen auszusprechen. Denn wenn wir Christen selbst nicht über unsere christlichen Werte sprechen, wer soll es denn dann tun? Immer, wenn ich darauf zu sprechen komme, wie wir Europäer christlichen Gemeinden im Nahen Osten beistehen können, sind die meisten meiner Amtskollegen ein bisschen peinlich berührt und sagen mir: „Wir sollten nicht von christlichen Gemeinden reden, sondern von religiösen Minderheiten.“ Ja, wir sollten religiöse Minderheiten schützen, aber wenn wir in diesem Zusammenhang die Christen nicht namentlich nennen, wird es niemand tun.

Mit solchen Aussagen verstoßen Sie natürlich gegen die politische Korrektheit, die insbesondere in den westlichen EU-Ländern gepflegt wird. In Ost- und Mitteleuropa scheint man mir da weniger zimperlich zu sein. Auch der Blick auf geopolitische Realitäten ist dort offenbar ausgeprägter als im Westen. Woran liegt das?
Wir haben hier mit der kommunistischen Diktatur eine historische Tragödie erlebt. Diese Tragödie hat auch dazu geführt, dass das Konzept des Wohlfahrtsstaats nie umgesetzt wurde. Deswegen ist in Ländern wie Ungarn die Sensibilität der Menschen für unvorteilhafte Entwicklungen wesentlich ausgeprägter. Die Menschen bei uns nennen die Herausforderungen beim Namen und erwarten echte Lösungen. Das schärft das Bewusstsein für äußere Einflüsse und lässt weniger Raum für politische Korrektheit.

Die Orbán-Regierung sieht sich allerdings regelmäßig dem Vorwurf ausgesetzt, in Ungarn eine Art „Diktatur light“ errichtet zu haben.
Diesen Vorwurf empfinden wir als äußerst unfair. Insbesondere, weil die Leute, die diesen Vorwurf erheben, selbst nie in einer Diktatur leben mussten. Ich nenne da nur den belgischen EU-Parlamentarier Guy Verhofstadt. Viktor Orbán dagegen hat dafür gekämpft, dass Ungarn zu einem demokratischen Land werden konnte – und zwar bereits zu Zeiten des kommunistischen Regimes, als solch ein Engagement noch mit persönlichen Risiken verbunden war. Wenn es heißt, unsere Regierung handle autoritär, dann liegt das natürlich auch daran, dass unsere Partei Fidesz über eine absolute Mehrheit im Parlament verfügt. Für europäische Verhältnisse ist das sehr ungewöhnlich. Viktor Orbán hat bisher sieben Wahlkämpfe geführt, davon hat er vier verloren und drei gewonnen. Aber er ist auch trotz Niederlagen immer in der Politik geblieben. In anderen europäischen Ländern verschwinden Politiker nach Wahlniederlagen von der Bildfläche oder treten lukrative Aufsichtsratsposten in Energieunternehmen an. Vor diesem Hintergrund finde ich es ziemlich absurd, Orbán in die Nähe von Diktatoren zu rücken. Er steht wie kaum ein anderer für den demokratischen Wettbewerb. Man darf nicht vergessen, dass in Ungarn in den vergangenen Jahren die Staatsschulden um 10 Prozent gesunken sind, dass der Staatshaushalt von Jahr zu Jahr besser ausgeglichen ist, dass Familien steuerlich begünstigt wurden, dass die Löhne gestiegen sind. Über die Erfolge der Orbán-Regierung wird leider sehr wenig gesprochen.

Wäre ein Austritt aus der EU für Ihre Regierung eine Option?
Nein, Ungarn ist an einer EU mit starken Mitgliedstaaten interessiert. Deswegen bedauern wir auch den EU-Austritt der Briten, in unseren Augen ist das ein schwerer politischer und wirtschaftlicher Verlust für die Europäische Union. Aber wir werden den Briten wegen ihrer Entscheidung keine Vorwürfe machen. Sie ist das Ergebnis einer demokratischen Abstimmung, und das haben wir zu akzeptieren.


Wenn Sie etwas an den derzeitigen Verhältnissen in der EU ändern könnten, was wäre das?
Mehr Wettbewerbsfähigkeit. Keine zusätzlichen Kompetenzen für Brüssel. Und eine EU-Kommission, die sich nicht als politischer Akteur aufführt. 

 

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