Machtpoker zwischen Russland und den USA - And the Winner is …

Wer meint, im Ukraine-Konflikt ginge es um die Ukraine, macht den ersten analytischen Fehler. Tatsächlich geht es um eine geopolitische Neuordnung des eurasischen Raumes, also um ein Machtpoker zwischen den USA und Russland. Und der hat eine lange Vorgeschichte. Derzeit sieht es so aus, als ob die Amerikaner als Sieger aus diesem Spiel hervorgehen.

Erntet die Früchte der Außenpolitik seiner Vorgänger: US-Präsident Joe Biden /dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Machen wir uns nichts vor: Die Wurzeln des derzeitigen Konfliktes reichen zurück in die Jahre unmittelbar nach der Wiedervereinigung. Russland hatte damals, getröstet mit Milliarden D-Mark, dem Beitritt der ehemaligen DDR zur Nato zugestimmt. „To bribe the Soviets out“, die Sowjets rausbestechen, nannte das der damalige stellvertretende Sicherheitsberater Robert Gates.

Doch aus amerikanischer Sicht entwickelte sich die Lage unbefriedigend. Denn in Europa gab es Anfang der 90er-Jahre Überlegungen, die KSZE als sicherheitspolitische Plattform für die Zeit nach dem Kalten Krieg auszubauen. Dieser Prozess drohte, die USA aus Europa hinauszudrängen. Das wollte man in Washington unter allen Umständen verhindern. Also galt es, die Nato als Gegengewicht zur KSZE zu stärken. Das konnte nur mittels der Osterweiterung geschehen. So landete das Thema auf der außenpolitischen Agenda der USA.

Das Erbe der Republikaner

Nach der Abwahl von George Bush senior trommelten die Republikaner für dieses Thema. Nach den verlorenen Midterms 1994 nahm sich auch Präsident Clinton dieser Frage an, um sein außenpolitisches Profil zu stärken. Mit Rücksicht auf die damals anstehende Wiederwahl Boris Jelzins liefen die Vorbereitungen für diesen Prozess verdeckt. Doch im Jahr darauf wurden Polen, Tschechien und Ungarn dann offiziell eingeladen, dem Nordatlantikbündnis beizutreten. Zudem verabschiedete man die Nato-Ukraine-Charta, die unter anderem einen Waffen- und Technologietransfer umfasste. 1999 traten Polen, Tschechien und Ungarn der Nato bei.

Die nächste Runde im Spiel begann unter Präsident Bush jr., der das von Russland schon ratifizierte A-KSE-Abkommen zur Rüstungsbeschränkung auf Eis legte, um den Abzug russischer Truppen aus Georgien und der Republik Moldau zu erzwingen und so den Nato-Beitritt Georgiens und der Ukraine vorzubereiten. Auch der Abzug der russischen Einheiten änderte die Haltung der USA nicht. Stattdessen schuf man eine ständige Militärpräsenz am Schwarzen Meer.

„Putin festnageln“

Auf der inzwischen berühmten Sicherheitskonferenz in München im Jahr 2007 kritisierte Putin dieses Vorgehen als „provozierenden Faktor“. Dennoch stellte die Nato auf ihrem Gipfel in Bukarest im Jahr 2008 aufgrund intensiven Drängens der Regierung Bush der Ukraine und Georgien eine Mitgliedschaft in Aussicht. Russland reagiert umgehend und sprach von einem „schweren strategischen Fehler“. In einem durch Wikileaks veröffentlichtem Telegramm vom 1. Februar 2008 warnte der amerikanische Botschafter in Moskau und heutige CIA-Chef William Burns: „Die Nato-Bestrebungen der Ukraine und Georgiens berühren nicht nur einen wunden Punkt in Russland, sondern geben auch Anlass zu ernster Sorge über die die Folgen für die Stabilität in der Region.“ Auch sei Russland mit Blick auf die ethnisch-russische Gemeinschaft über eine mögliche Spaltung der Ukraine besorgt, „die mit Gewalt oder schlimmstenfalls mit einem Bürgerkrieg einhergeht. In diesem Fall müsste Russland entscheiden, ob es interveniert“.

2014 dann kam es zum Regierungsumsturz in der Ukraine. Das legendäre gewordene „Fuck the EU“-Telefonat von Victoria Nuland, damals stellvertretenden Staatssekretärin für europäische und eurasische Angelegenheiten im US-Außenministerium, lässt die Verstrickungen der USA in diesen Regierungswechsel zumindest erahnen – und dass man in Brüssel davon gar nicht begeistert war.

Nach dem Wahlsieg von Donald Trumps verschwand Nuland zunächst von der Bildfläche. Biden reaktivierte sie 2021 und machte sie zur Staatssekretärin für politische Angelegenheiten. Schon im Jahr zuvor hatte die Diplomatin in dem renommierten Journal Foreign Affairs ihre Pläne für den Umgang mit Russland dargelegt: „Putin festnageln – Wie ein selbstbewusstes Amerika mit Russland umgehen sollte“. Ihr Ziel: „Die Herausforderung für die USA im Jahr 2021 wird darin bestehen, die Demokratien der Welt bei der Entwicklung eines effektiveren Ansatzes gegen Russland zu führen – einem Ansatz, der auf den Stärken der Demokratien aufbaut und Putin dort belastet, wo er verwundbar ist.“

Warum die Ukraine für Russland so wichtig ist

In einem Vortrag vor dem Chicago Council on Global Affairs stellte George Friedman, US-Geostratege, Gründer des Thinktanks Stratfor und Cicero-Autor, schon 2015 fest, dass Russland vor der Frage stehe, ob es ihm gelänge, die Ukraine als neutrale Pufferzone zu erhalten. „Für Russland ist der Status der Ukraine eine existentielle Bedrohung.“

Den Ausgang dieses Spiels machte Friedman interessanterweise vom Verhalten Deutschlands abhängig. Deutschland befinde sich, wie schon seit Jahrhunderten, in einer Zwickmühle zwischen der geografischen und wirtschaftlichen Nähe zu Russland und seiner Bindung an die USA.

Nun, Deutschland hat sich entschieden, wenn auch zögerlich. Der Gewinner des Ganzen steht heute schon fest: Es sind die USA. Wie nie zuvor nach dem Kalten Krieg werden die USA wieder in Europa präsent sein. Die EU, die vorsichtig dabei war, sich von den USA zu emanzipieren, ist zu einem Vasallen herabgestuft. Im gesamten Intermare von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer wird amerikanisches Militär stehen. Die europäischen Staaten werden die amerikanische Rüstungsindustrie mit Milliardenaufträgen beglücken. Und Deutschland darf teures amerikanisches Fracking-Gas kaufen. Es läuft zurzeit sehr gut für die USA.

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