Wie Konzerne von der Zwangsarbeit der Uiguren profitieren - „ Eine ungeheuerliche Tragödie “

Chinas Regierung hat die EU vor Sanktionen wegen der Lage der Uiguren in der chinesischen Provinz Xinjiang gewarnt. In einem Bericht ist von der größten Masseninternierung einer Minderheitenbevölkerung weltweit die Rede. Weil auch internationale Konzerne Beziehungen mit der Region unterhalten, regt sich Kritik.

Ein offizielles Umerziehungslager in der Stadt Hotan im Süden des uigurischen Gebiets Xinjiang / Gilles Sabrié
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Harald Maass ist Journalist und wurde für seine Arbeit im Jahr 2019 mit dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet.

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Die Huafu-Textilfabrik in der westchinesischen Stadt Aksu ist einer der weltweit größten Hersteller von Mischgarn. Hinter dem riesigen Tor mit einer stilisierten Drachensäule aus Beton liegt das weitläufige Werksgelände. Mehr als eine halbe Million Tonnen Baumwolle werden hier und an anderen Standorten des Unternehmens jedes Jahr verarbeitet. Adidas, Esprit, H&M – Dutzende internationale Marken haben in den vergangenen Jahren Garne von Huafu verwendet und diese in ihren Produkten auch in Deutschland verkauft. Doch Huafu hat ein dunkles Geheimnis: Menschenrechtsorganisationen werfen dem Unternehmen vor, Zwangsarbeiter in der Produktion einzusetzen. Die US-Regierung erließ Sanktionen gegen den Hersteller. 

Die Eingänge zu den Wohnblöcken sind mit Stacheldraht verbarrikadiert, Wachleute kontrollieren die Eingänge zu Geschäften, gepanzerte Fahrzeuge patrouillieren in den Straßen. Wer die Wüstenmetropole Aksu in den vergangenen Jahren besucht hat, erlebte eine Stadt wie im Kriegszustand. An jeder größeren Straßenkreuzung stehen Polizeistationen, auf denen rund um die Uhr rot-blaue Alarmlichter flackern. Nachts hört man die bellenden Befehle der paramilitärischen Einheiten, die durch die Straßen marschieren. Das war im Sommer 2018, China hatte gerade die Kampagne gegen die Muslime in Xinjiang gestartet. Obwohl ich offiziell nur als Tourist in der Stadt bin, verfolgen mich zwei Sicherheitsbeamte in Zivil auf jedem Schritt. Später auf meiner Reise werde ich nachts im Hotel verhört und gezwungen, Fotos zu löschen. Niemand soll erfahren, was in der Region passiert. 

Eine Million Menschen in Umerziehungslagern

Xinjiang, ein Gebiet mehr als viermal so groß wie Deutschland, ist der Schauplatz einer staatlichen Kontroll- und Unterdrückungspolitik, die Menschenrechtsorganisationen und mehr als 70 internationale Religionsvertreter als „eine der ungeheuerlichsten menschlichen Tragödien seit dem Holocaust“ bezeichnen. In den vergangenen drei Jahren wurden nach Schätzungen von UN-Experten eine Million Uiguren, Kasachen und andere muslimische Minderheiten in gefängnisähnlichen Umerziehungslagern interniert – mehr als ein Zehntel der erwachsenen Bevölkerung. Dies sei die „größte Masseninternierung einer Minderheitenbevölkerung weltweit“, heißt es in einem Bericht des US-Kongresses. In den Lagern müssen die Menschen ihrem religiösen Glauben abschwören und die Kommunistische Partei preisen. Viele der Inhaftierten versuchen sich das Leben zu nehmen, berichten Augenzeugen und Familienangehörige. 

Dürfen globale Modemarken oder auch Konzerne wie VW, BASF oder Coca-Cola, die in Xinjiang eigene Fabriken betreiben, in einem solchen Umfeld Geschäfte machen? Eine Spurensuche. 

Offiziell Armutsbekämpfung, inoffiziell Zwangsarbeit

Sich selbst beschreibt Huafu, ein börsennotierter Konzern mit zahlreichen Produktionsstätten in China, als Weltmarktführer mit „hochklassigen Produkten und Services“. Menschenrechtsorganisationen und die US-Regierung sind jedoch überzeugt, dass Huafu Teil eines staatlichen Programms ist, bei dem Tausende Insassen von Lagern und Angehörige muslimischer Minderheiten unter Zwang in Fabriken als Arbeitskräfte eingesetzt werden. Offiziell deklariert Peking die Programme als staatliche Armutsbekämpfungsprojekte. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch oft um Zwangsarbeiter, die unter gefängnisähnlichen Verhältnissen gehalten werden. Augenzeugen berichten von bewaffneten Aufpassern, die verhindern, dass die Arbeiter ihre Wohnlager verlassen. Regelmäßig finden Indoktrinierungen statt. Wer die Arbeit ablehnt, dem droht die erneute Inhaftierung im Umerziehungslager. „Früher hatte ich extremistische Gedanken. Aber jetzt sind sie alle weg“, berichtete die Huafu-Angestellte Subi­nur Ghojam dem Wall Street Journal. Direkt nach dem Interview wurde die 20-Jährige von Sicherheitsbeamten verhört. 

Huafu bestreitet, dass Mitarbeiter unter Zwang in den Fabriken eingesetzt werden. Doch allein der Standort in Xinjiang macht es für chinesische Unternehmen schwierig, sich den staatlichen Programmen zu entziehen. Im Umkreis von 15 Kilometern um die Huafu-Fabrik in Aksu gibt es sechs Internierungslager und Gefängnisse, so eine Studie des Australian Strategic Policy Institute (ASPI), bei der Satellitenaufnahmen, Hinweise im chinesischen Internet und Zeugenberichte ausgewertet wurden. Insgesamt gibt es der Studie zufolge mindestens 380 dieser geheimen Einrichtungen in Xinjiang. Die Internierungslager sind zum Teil riesige Anlagen mit Wachtürmen, Stacheldraht und Tausenden von Insassen. Ein riesiges System zur Kontrolle der Menschen. 

Menschenunwürdige Zustände

„Ich kam in einen Raum mit 16 Leuten. Ein Loch im Boden war die Toilette. Als Neuankömmling musste ich neben der Toilette schlafen“, berichtete der Gemüsehändler Kairat Samarkhan über seine Lagerhaft im Jahr 2018. Wie fast alle Insassen wurde er ohne Prozess oder rechtsstaatliche Grundlage eingesperrt. Sein einziges Vergehen war, so die Polizei, dass er ins benachbarte Kasachstan gereist und deshalb „illoyal gegenüber seinem Vaterland“ sei. Als er im Lager eine Anweisung nicht befolgte, sei er gefoltert worden, sagt Sa­markhan: „Zwei Wachmänner brachten mich in einen Raum, in dem an einer Wand Eisenscharniere befestigt waren. Dort schnallten sie mich fest und fesselten mich mit einer langen Eisenkette. Nach drei Stunden hatte ich so starke Schmerzen, dass ich nur noch schrie.“ Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch halten Berichte wie diese für glaubwürdig. 

Nachdem China die Existenz der Umerziehungslager lange abstritt und später lediglich von „Berufsausbildungszentren“ sprach, scheint Peking nun eine neue Strategie zu verfolgen. Hunderttausende Männer und Frauen aus der Region, darunter viele Lagerinsassen, werden mit Druck und oftmals auch Zwang dazu verpflichtet, an den staatlichen Arbeitsprogrammen teilzunehmen, heißt es in den Berichten der Menschenrechtsorganisationen. Einer Untersuchung von ASPI zufolge wurden zwischen 2017 und 2019 mehr als 80 000 Uiguren aus Xinjiang zur Arbeit in Fabriken in anderen Teilen Chinas verlegt – „unter Bedingungen, die stark auf Zwangsarbeit schließen lassen“. Einige seien direkt aus Gefangenenlagern an die Produktionslinien geschickt worden. In den Fabriken werden die Uiguren unter gefängnisähnlichen Bedingungen gehalten, mit langen Arbeitszeiten und täglichen Indoktrinationssitzungen. Selbst wenn sie in der Nähe ihrer Häuser arbeiten, dürfen die Arbeiter diese nicht verlassen.

Internierungslager wächst weiter

„Nachdem man entlassen wurde, muss man entsprechend ihrer Politik arbeiten“, sagte Muhamet Qyzyrbek der New York Times. Seine 31-jährige Frau Amanzhol Qisa hatte ein Jahr in einem Umerziehungslager verbracht und wurde dann für drei Monate zur Arbeit in einer Kleiderfabrik geschickt. Sie erhielt umgerechnet rund 100 Euro, weniger als die Hälfte des Mindestlohns. Gulsira Auelchan wurde an einer Nähmaschine ausgebildet, als sie 2017 und 2018 in einem Lager festgehalten wurde. Nach ihrer Entlassung musste sie in einer Fabrik in der Nähe ihres Lagers Handschuhe nähen. „Wie viele Stunden am Tag ich arbeitete, weiß ich nicht. Es gab dort keine Uhr“, sagte sie der Zeit. „Wir verließen das Wohnheim im Dunkeln und kehrten bei Dunkelheit zurück.“

In den vergangenen zwei Jahren hat Peking diese Programme deutlich ausgeweitet. Laut Chinas offizieller Statistik wurden innerhalb eines Jahres 2,6 Millionen „überschüssige Landarbeiter“ in Xinjiang „umgesiedelt“ – eine Steigerung um 46 Prozent. Peking bestreitet, dass es in Xinjiang Zwangsarbeit gebe, und bezeichnet Berichte über die Umerziehungslager als „Verleumdung“. 

Angelsächsischer Boykott

Doch Arbeitsexperten und ausländische Regierungen sind alarmiert. „Die Beweise für uigurische Zwangsarbeit in Xinjiang und in anderen Teilen Chinas sind glaubwürdig, sie nehmen zu und beunruhigen die britische Regierung zutiefst“, sagte der britische Staatssekretär Nigel Adams im Dezember im Londoner Parlament. Großbritannien will chinesische Importe mit Verbindungen zu Menschenrechtsverletzungen künftig durch Geldstrafen und Sanktionen gegen Unternehmen unterbinden.

Die USA haben unter der Trump-Regierung Sanktionen und Restriktionen gegen 48 chinesische Unternehmen verhängt, die im Verdacht stehen, Zwangsarbeit einzusetzen oder technische Unterstützung für das Unterdrückungssystem in Xinjiang zu leisten. Der neue US-Präsident Joe Biden hat bereits angedeutet, diese Politik fortzusetzen. 

Der gläserne Mensch - Alltag in Xinjang

Fahrt mit dem Überlandbus in die Oasenstadt Kash­gar im Sommer 2018. Am Busbahnhof in Asku müssen die Reisenden erst einen Gesichtsscan absolvieren und ihre ID-Karte vorlegen, ehe sie in das Gebäude dürfen. Jede Fahrt wird auf diese Weise registriert. Schon bei meiner Einreise nach Xinjiang musste ich an der Grenze mein Smartphone und den Computer entsperren, damit die Grenzpolizisten die privaten Daten, Fotos und E-Mails durchsuchen konnten. Obwohl ich als Tourist gelte, laden die Beamten ein Foto von mir zusammen mit meinen Fingerabdrücken und Handy-­Daten in die Datenbank der Sicherheitsbehörden, sodass jede meiner Bewegungen überwacht werden kann. In Xinjiang ist jeder Mensch gläsern. 

Schon wenige Kilometer nach der Abfahrt muss unser Bus an einer Sicherheitskontrolle stehen bleiben. Überall entlang den Autobahnen und Landstraßen wurden dazu riesige Kontrollstellen errichtet. Die Han-Chinesen im Bus dürfen sitzen bleiben. Nur die Angehörigen der muslimischen Minderheiten und ich als Ausländer werden in das Gebäude geführt, in dem wir uns einem Gesichts- und Ganzkörperscan unterziehen müssen. Mit Spezialgeräten laden die Beamten alle Daten von den Smartphones, um verdächtige Bilder, Webseitenaufrufe oder Chats zu finden. Für die Menschen in Xinjiang gehören die ständigen Kontrollen zum Alltag: Auf der Straße, auf dem Weg zur Arbeit, beim Betreten eines Gebäudes, vor dem Supermarkt – ständig müssen sie sich ausweisen und Kontrollen unterziehen. Ich selbst werde während meiner 13-tägigen Recherchereise durch Xinjiang 57 Mal kontrolliert. 

Wegen WhatsApp im Internierungslager

Chinas Regierung hat in Xinjiang einen riesigen digitalen Überwachungsstaat errichtet, der alle Lebensbereiche der Menschen erfasst. Hunderttausende Überwachungskameras, viele mit automatischer Gesichtserkennung ausgestattet, kontrollieren die Straßen und leuchten selbst die kleinsten Dörfer aus. Algorithmen hören Telefonate mit, zeichnen die Internetnutzung und selbst den Stromverbrauch der Menschen auf. Dazu werden systematisch DNA-, Blut- und Stimmproben aller Bewohner erhoben. Die Daten landen in einer landesweiten Datenbank, der „Integrierten gemeinsamen Operationsplattform“, wie Human Rights Watch berichtet. Wer Whatsapp, Facebook oder andere verbotene Apps nutzt, wer Anrufe aus dem Ausland bekommt, viel Strom verbraucht oder einfach nur einen langen Bart hat, bekommt Besuch von der Staatssicherheit oder landet gleich im Lager. 

„Sie warfen ihm vor, er habe zu viel Benzin getankt“, berichtete Bolatzhan Savut über die Lagerhaft seines Bruders. Der Kleiderhändler war beruflich viel unterwegs, auch in Kasachstan, und wurde deshalb ein halbes Jahr in ein Lager gesperrt. Der ehemalige Mathematiklehrer und Marktleiter Dolkun Tursun wurde interniert, nachdem Polizisten den Messengerdienst Whatsapp auf seinem Handy gefunden hatten. Obwohl Tursun KP-Mitglied ist, holten ihn Polizisten aus der Wohnung, und er verschwand mehr als ein Jahr im Lager. Die Familie habe nicht gewusst, wo er ist, erzählte seine Frau, Gülnur Beikut. Andere, wie Bolat Razdykham, wurden direkt aus dem Krankenhaus verschleppt, wo sich der Rentner von einer Kehlkopfoperation erholte. Wieder andere, wie die Mutter und der Bruder der Studentin Aitoldy Bektur, kamen ins Lager, weil sie Verwandte im Ausland haben. Nur die wenigsten dieser Geschichten gelangen an die Öffentlichkeit. Wer in Xinjiang mit Journalisten oder nur Ausländern spricht, wird sofort festgenommen.

Minderheiten in der eigenen Heimat

Peking rechtfertigt das harsche Vorgehen in der Region mit dem Kampf gegen Terrorismus. Tatsächlich gab es in den vergangenen Jahren Unruhen und auch vereinzelte Anschläge in der Region. Nach chinesischen Angaben waren uigurische Attentäter für ein Massaker 2014 auf dem Bahnhof in Kunming verantwortlich, bei dem 31 Menschen starben. In Xinjiangs Hauptstadt Ürümqi kam es 2009 zu Massenprotesten und gewaltsamen Aufständen, die von chinesischen Soldaten brutal niedergeschlagen wurden.

Doch Peking blendet aus, dass China die Rechte der Minderheiten und ihre Kultur in den vergangenen Jahren immer weiter beschnitten hat. In Schulen und Kindergärten müssen Uiguren und Kasachen Hochchinesisch sprechen. Frauen dürfen keine Schleier mehr tragen, die ihr Gesicht verhüllen. Imame wurden verhaftet, Moscheen geschlossen. Seit Maos Truppen 1949 das Gebiet besetzten und Xinjiang zum Teil der Volksrepublik machten, hat Peking immer mehr Han-Chinesen in der Region angesiedelt. Die rund elf Millionen Uiguren und 1,6 Millionen ethnischen Kasachen sind heute eine Minderheit in ihrer eigenen Heimat. 

Das Dilemma großer Konzerne

Für Konzerne wie Volkwagen, der seit 2013 ein Werk in Ürümqi betreibt, ist die Situation in Xin­jiang ein Dilemma. Wirtschaftlich ist die Fabrik nicht bedeutend, im Gegenteil: Bis heute müssen Teile für die Produktion, bei der Santana-Limousinen und Tharu-­Geländewagen hergestellt werden, Tausende von Kilometern aus den Küstenregionen herangeschafft werden. Die Kapazität von 50 000 Autos pro Jahr ist nicht einmal zur Hälfte ausgelastet. Doch das Werk war von Beginn an ein politisches Geschenk an Pekings Führung, die mit der Ansiedlung von Industrie wirtschaftlichen Erfolg in Xinjiang vorzeigen will. Selbst wenn Volkswagen wollte, könnte man das Werk kaum schließen, ohne einen Affront der mächtigen Pekinger Regierung zu riskieren. Jeder zweite VW weltweit wird in der Volksrepublik verkauft. Ein Milliardengeschäft, das Abhängigkeiten schafft. Entsprechend zurückhaltend agiert der Konzern: Man sei „besorgt“ über die Situation in Xinjiang, sagt Stephan Wöllenstein, China-­Chef von Volkswagen. Aber: „Ich glaube nicht, dass ein Rückzug aus der Region die politischen Probleme lösen würde.“ 

Ähnlich klingt es aus Konzernen wie BASF oder Coca-Cola, die ebenfalls in Xinjiang Produktionsanlagen betreiben. BASF-Chef Martin Brudermüller kündigte vor einem Jahr eine Untersuchung an, ob man sich in der Joint-Venture-Fabrik in der Stadt Korla „etwas vorzuwerfen habe“. Dabei habe es keine Hinweise auf Zwangsarbeit gegeben. Doch in welcher Umgebung der Konzern agiert, zeigen heimliche Drohnenaufnahmen aus dem Jahr 2019. Auf den von Radio Free Asia verbreiteten Bildern sind Hunderte Personen zu sehen, offenbar Häftlinge oder Zwangsarbeiter, die gefesselt und mit verbundenen Augen und kahl rasierten Köpfen am Bahnhof der Stadt verladen werden. Allein im Umkreis von zehn Kilometern um das BASF-Werk gibt es sechs Umerziehungslager oder Gefängnisse, so die Daten von ASPI. 

Angebliche Unwissenheit westlicher Konzerne

Können die westlichen Unternehmen sicher sein, dass – möglicherweise ohne ihr Wissen – Zwangsarbeit in ihrer Fabrik oder bei ihren Zulieferern stattfindet? Coca-Cola, das in Ürümqi gemeinsam mit einem chinesischen Partner eine Abfüllanlage betreibt, teilt in einer Erklärung mit, „Zwangsarbeit strikt zu verbieten“. Der Konzern setze zudem externe Kontrollagenturen ein, um die Einhaltung der Richtlinien zu überwachen. Doch in Xinjiang gelten mittlerweile so strikte Reisebeschränkungen und behördliche Auflagen, dass eine unabhängige Überwachung der Arbeitsstandards nicht mehr möglich ist. Mindestens drei führende Unternehmen zur Kontrolle und Zertifizierung von Arbeitsstandards haben deshalb ihre Arbeit in Xinjiang komplett eingestellt, berichtet das Wall Street Journal.

Auch Unternehmen, die keine Fabriken in Xinjiang betreiben, geraten in die Kritik. Der US-Konzern Apple musste sich rechtfertigen, weil er Geschäfte mit einer Firma namens O-Film macht. Dem chinesischen Elektronikproduzenten, einem wichtigen Lieferanten von Teilen für das iPhone, wird vorgeworfen, mehrere Hundert uigurische Arbeiter im Rahmen der staatlichen Programme in seinen Fabriken beschäftigt zu haben. Das US-Handelsministerium setzte O-Film wegen mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen auf die Sanktionsliste. Der US-Lebensmittelkonzern Kraft Heinz unterhält Geschäftsbeziehungen zu Cofco Tunhe, einem Weltführer bei der Tomatenverarbeitung, der ebenfalls an den umstrittenen Arbeitsprogrammen in Xinjiang beteiligt sein soll. Alle genannten Unternehmen bestreiten die Vorwürfe und die Kenntnis von Zwangsarbeit. 

Modemarken wollen keine Baumwolle aus Xinjiang

Kilometerlang reihen sich bei Hotan die Baumwollpflanzen aneinander. Jedes Jahr im Herbst, wenn die Kapseln aufplatzen und die Ernte beginnt, strömen überall in der Region Hunderttausende Saisonhelfer auf die Felder, um die Ernte einzufahren. Vor den Höfen türmt sich die Baumwolle zu riesigen weißen Bergen auf. Bis vor kurzem warben japanische Modemarken mit „handgepflückter Baumwolle aus Xinjiang“. 

Mittlerweile sind vor allem internationale Modefirmen unter Druck, sich vom System der Zwangsarbeit in Xinjiang zu distanzieren. Der Sportartikelhersteller Adidas kündigte nach den Vorwürfen gegen Huafu eine Untersuchung an. „Wir verbieten Zwangsarbeit in unseren eigenen Betrieben und in unserer Zulieferer­kette.“ Bis auf Weiteres will das Unternehmen keine Materialien bei dem umstrittenen Hersteller bestellen. Der schwedische Modekonzern H&M und der britische Einzelhandelkonzern Marks & Spencer kündigten an, künftig keine Baumwollprodukte mehr aus Xinjiang zu beziehen. 

Verzicht schwierig

Die Umsetzung dürfte schwer werden. Mit mehr als 2,5 Millionen Hektar Anbaufläche ist Xinjiang einer der größten Baumwollproduzenten der Welt. 85 Prozent der chinesischen Baumwolle wird dort angebaut, mehr als ein Fünftel der Weltproduktion. Ein Großteil der Textilfasern wird nach Angaben von Experten von Hand gepflückt. Dabei setzt die Regierung neuerdings im großen Stil Uiguren und andere Minderheiten aus den staatlichen Arbeitsprogrammen ein. Der Xinjiang-Experte Adrian Zenz von der Victims of Communism Memorial Foundation geht davon aus, dass der Großteil der heutigen Baumwolle in Xinjiang unter staatlichem Druck und mit minimaler Bezahlung gepflückt wird. „Mehr als eine halbe Million Uiguren werden – höchstwahrscheinlich ob sie wollen oder nicht – vom Staat drei Monate lang in die Felder geschickt“, sagt Zenz. 

Für die Modeindustrie ist es fast unmöglich, das Thema zu umgehen. Marken wie Hugo Boss, Muji, ­Uniqlo, Costco, Caterpillar, Lacoste, Ralph Lauren und Tommy Hilfiger wurden bereits mit möglicher Zwangsarbeit in Verbindung gebracht. Experten zufolge wird eines von fünf Textilprodukten weltweit mit Baumwolle aus Xinjiang hergestellt. Oft wissen die Käufer nicht, wo die Baumwolle herkommt, da Zwischenhändler die Produktion aus mehreren Regionen vermischen. Erste Unternehmen versuchen, mithilfe forensischer Untersuchungen sicherzustellen, dass in ihren Produkten keine Baumwolle aus Xinjiang verarbeitet ist. Die Probleme in Xinjiang seien „größer, als dass es eine Industrie alleine lösen kann“, sagt Steve Lamar, Chef des US-Branchenverbands American Apparel & Footwear Association. 

Auch in den Dörfern um Aksu, wo die Huafu-­Textilfabrik steht, müssen jedes Jahr Tausende Männer an den Arbeitsprogrammen auf den Feldern teilnehmen. Eine Arbeit unter ständiger Überwachung, in ständiger Angst. In den chinesischen Staatsmedien klingt das dann so: „In der Vergangenheit habe ich nur gewartet und war faul“, wird der Bauer Aieraili Aikemu in der Lokalzeitung Aksu Ribao zitiert. „Jetzt verstehe ich endlich, dass ich mit fleißigen Händen und Schweiß mir etwas selbst verdienen kann. In der Zukunft werde ich mit der Unterstützung der Partei und der Politik der Regierung mehr Geld verdienen und das Leben meiner Familie jeden Tag besser machen.“
 

Dieser Text stammt aus der März-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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