Präsident Turkmenistans - „ Ein geübter Lügner “

Gerade hat sich Neuseeland für coronafrei erklärt. Das erste Land ohne Virus wäre es nicht. Diesen Anspruch erhebt schon der turkmenische Präsident Gurbanguly Berdimuhamedow. Porträt eines Diktators, der sein Land „wie eine Mischung aus Ludwig II. und Marie-Antoinette“ regiert.

Turkmenische Diktator: Pflegt gerne extravagante Leidenschaften, während das Volk hungert / nextTM
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Martin Arnold ist ein Pseudonym. Der Autor ist der Redaktion bekannt, lebt in Zentralasien und fürchtet Repressionen.

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Nein, in Turkmenistan gibt es kein Coronavirus, erklärt die Regierung des zentralasiatischen Staates seit Wochen mit Nachdruck. Die Weltgesundheitsorganisation WHO wollte schon Anfang Mai eine Kommission entsenden, um die Infektionslage vor Ort zu prüfen. Die turkmenische Regierung hätte die internationalen Gesundheitswächter daraufhin offiziell einladen müssen. Doch noch immer kann die WHO nicht sagen, wann es losgeht: „Wir arbeiten daran“, heißt es. Keine Antwort zu bekommen, bedeutet in Turkmenistan übrigens: „Nein!“

Der Mann, der das Nein zu verantworten hat, ist gerade aus seiner präsidialen Residenz in Firuza nahe der Hauptstadt Aschgabat in die Datsche nach Manysh umgesiedelt, mitsamt Hofstaat aus Beratern, Köchen, Putzfrauen. Präsident Gurbanguly Berdimuhamedow, so berichtet das US-finanzierte Radio Azatlyk, fürchte die Ansteckung seiner betagten Eltern mit dem Virus. Die blieben in der Residenz zurück, während ihr Sohn die Amtsgeschäfte nun vom Dorf aus per Videokonferenz weiterführt.

Berdimuhamedow habe das Wort „Coronavirus“ verboten, hieß es vor Wochen. Ein medialer Schenkelklopfer – welch geniale Idee, das Virus einfach per Dekret loszuwerden! Doch die Meldung stimmte nicht. Staatliche Medien (und andere gibt es in Turkmenistan nicht) berichten über die weltweite Pandemie. Das Land hat schon Ende Februar seine Grenzen dichtgemacht. Es gibt staatliche Quarantäne-Einrichtungen und auch Lungenentzündungen, nur bestätigte Covid-19-Erkrankungen eben nicht. Natürlich liegt der Verdacht nahe, Turkmenistan wolle Infektionen vertuschen. Wohl, weil schnell klar würde, dass das ma­rode Gesundheitssystem mit der Pandemie überfordert wäre.

Der Präsident sieht sich als hochbegabtes Multitalent

Das angebliche Verbot des Virus war aber eine dieser willkommenen Räuberpistolen über den skurrilen Herrscher eines Wüstenstaats, den eigentlich keiner kennt. Berdimuhamedow pflegt in der Tat den Personenkult, hat extravagante Leidenschaften. Die leistet er sich als Diktator, auch wenn die Untertanen Hunger leiden. Mehr als drei Milliarden US-Dollar hat das Touristen-Resort Awaza am Kaspischen Meer gekostet. Für die Zucht von Achal-Tekkinern gibt der Pferdefan jährlich Millionen aus. Er liebt es, im Trainingsanzug auf dem Fahrrad, umringt von ebenso radelnden Sicherheitsleuten, Fitness zum nationalen Entwicklungsziel zu erklären.

Aber wer ist Gurbanguly Berdimuhamedow – 62 Jahre, gelernter Zahnarzt, Präsident seit 2007 – wirklich? „Eine Mischung aus Ludwig II. und Marie-Antoinette“, sagt ein ehemaliger Diplomat, der um Diskretion bittet. „Als Patriarch trifft er alle Entscheidungen selbst, sieht sich als hochbegabtes Multitalent. Das Ausmaß seiner Entscheidungen aber erkennt er nicht, weiß nicht, wo Schluss ist.“ 

Einst galt Berdimuhamedow als Hoffnungsträger für das Agrarland, das auf den viertgrößten Erdgasreserven der Welt sitzt. Als Gesundheitsminister rückte er nach, als sein Vorgänger Saparmurat Nijasow 2006 starb. Anfangs schien es, Berdimuhamedow wolle das repressive Regime Nijasows reformieren, das Land wirtschaftlich öffnen. Tatsächlich haben Berdimuhamedows Milliardenprojekte Fortschritte gebracht. Turkmenistan ist Chinas wichtigster Erdgaslieferant. Die chinesische Belt-and-Road-Initiative wird Turkmenistan an die Welt anbinden. Überall im Land wird gebaut, meist von türkischen Firmen. Doch Kritiker des Regimes müssen um ihr Leben fürchten; Internet, Medien, Kontakte internationaler Investoren und selbst mancher Touristen werden vom Geheimdienst überwacht.

Anrainer profitieren von schlechter Staatsführung

Berdimuhamedow sei „eitel, miss­trauisch, streng, sehr konservativ, ein geübter Lügner, guter Schauspieler und rachsüchtig“. So beschreibt eine durch Wikileaks veröffentlichte Notiz der US-Botschaft in Aschgabat im Jahr 2010 den Präsidenten. Widersacher, aber auch Freunde, die ihm vermeintlich schaden könnten, beseitigt Berdimuhamedow rücksichtslos in einem Wimpernschlag. Intelligenz gesteht ihm der zitierte Ex-Diplomat durchaus zu, doch Berater, die selbst im Hintergrund blieben, „halten ihn in einer Blase, in der er an seine eigene Rhetorik glaubt“. 

Einen Umsturz hat Berdimuhamedow sicher nicht zu befürchten. „Er hat viel mehr internationale Unterstützung, als wir denken“, sagt Luca Anceschi, Experte für zentralasiatisches Wirtschaftsrecht an der Universität von Glasgow. „Ihn dort zu haben, ist sehr bequem für die benachbarten Länder in der Region, denn alle profitieren von seiner schlechten Staatsführung.“ Für die Turkmenen, die Berdimuhamedow in Geiselhaft hält, sind dies keine guten Aussichten. Der Arkadag, ihr „Beschützer“, wie sich Berdimuhamedow nennen lässt, sitzt fest im Sattel. Auch das Coronavirus, ob man es nun in Turkmenistan nachweist oder nicht, wird daran nichts ändern.

Dieser Text stammt aus der Juni-Ausgabe von Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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