Abzug von US-Truppen aus Deutschland - Wohin steuert Präsident Trump?

Präsident Trump will US-Soldaten aus Deutschland abziehen. Damit setzt er den außenpolitischen Alleingang der USA und das Ringen um ihre Vormachtstellung im Konzert der Großmächte fort. Was bedeutet seine präsidentielle Selbstbezogenheit für seine Nato-Partner?

America First: US-Präsident Donald Trump setzt seinen außenpolitischen Alleingang fort / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Botschafter a.D. Rüdiger Lüdeking war während seiner Zeit im Auswärtigen Dienst (1980-2018) in verschiedenen Verwendungen, u.a. als stv. Beauftragter der Bundesregierung für Abrüstung und Rüstungskontrolle und Botschafter bei der OSZE, mit Fragen der Sicherheits- und Rüstungskontrollpolitik intensiv befasst.

So erreichen Sie Rüdiger Lüdeking:

Anzeige

Die Auseinandersetzungen nach dem Tod von George Floyd beherrschen die Schlagzeilen. Präsident Trump verfolgt unbeirrt von den wachsenden Demonstrationen einen konfrontativen Kurs kompromissloser Härte und nimmt offenbar bewusst die sich verschärfende Spaltung der amerikanischen Gesellschaft in Kauf. Auch bei Analyse der gegenwärtigen Außen- und Sicherheitspolitik der USA kommt man zu einem ähnlichen besorgniserregenden Befund.

Die Nachricht vom Wochenende, dass Trump 9.500 Soldaten aus Deutschland abziehen wolle, passt – sollte sie sich bestätigen – in das Bild einer durch scheinbar schon krankhaften Selbstbezogenheit des Präsidenten geprägten, auf falsch verstandenen nationalen Eigennutz und auf Konfrontation setzenden Politik. Beispielhaft hierfür ist auch die Haltung der US Administration zur Rüstungskontrolle.

Trumps nationaler Egoismus

Am 22. Mai kündigte die US-Administration den Vertrag über den Offenen Himmel. Wenige Tage später berichteten US-Medien über interne Beratungen der US-Administration über die mögliche Wiederaufnahme von Atomtests. Zudem hat sich in den letzten beiden Wochen der Eindruck verfestigt, dass die USA nicht bereit sein werden, den im Februar 2021 auslaufenden NewSTART Vertrag über bilaterale amerikanisch-russische Begrenzungen der strategischen Nuklearwaffenpotentiale zu verlängern.

Präsident Trump setzt auf einen radikalen nationalen Egoismus und sucht im Konzert der Großmächte die Vormachtstellung zu bewahren. Auch im militärischen Bereich geht es nicht um Ausgleich, Vertrauensbildung und Verlässlichkeit, sondern in einem trügerischen Vertrauen in die eigenen Ressourcen und Fähigkeiten offenbar um Schaffung von Überlegenheit als Garanten für nationale Sicherheit. Um dieses Ziel verwirklichen zu können, muss aus amerikanischer Sicht Handlungsfreiheit bestehen, müssen jegliche als potentiell hinderlich erachtete rüstungskontrollpolitische Einschränkungen und Verpflichtungen abgestreift werden.  

Nukleares Funkloch nach Russland

Das Streben nach größtmöglicher Handlungsfreiheit ist eine ideologische Fixierung und entspringt einer kaum nachvollziehbaren Selbstüberschätzung. Das rationale Kalkül bleibt dabei auf der Strecke. So hat die Trump-Administration den Offenen Himmel Vertrag gekündigt, obwohl dieser aufgrund der darin enthaltenen Quotenregelung für Beobachtungsflüge die USA gegenüber Russland begünstigt. Auch bei einer sich abzeichnenden Nichtverlängerung des NewSTART Vertrages scheint es den USA egal zu sein, dass sie damit die durch die Verifikationsmöglichkeiten des Vertrags gegebenen vertieften Einblicke in das russische Nuklearpotential – deren Bedeutung führende US Militärs immer wieder betont haben – verlieren würden.

Gepaart mit der Selbstüberschätzung ist naive Selbstherrlichkeit. Die US-Entscheidungen werden in rüder und arroganter Form und ohne Rücksicht auf Interessen und Befindlichkeiten des Gegenübers und selbst der engsten Verbündeten kommuniziert. So wird die ultimative Forderung nach Rückkehr zu vollständiger Vertragstreue als Bedingung für ein Überdenken der US-Kündigung des Offenen Himmel Vertrags Russland nicht zum Einlenken bewegen. Dies gilt, zumal klärungsbedürftig ist, ob die russischen Einschränkungen für Beobachtungsflüge, auf die die USA ihrerseits mit der Verfügung von Einschränkungen für Russland reagiert haben, als Vertragsverletzungen qualifiziert werden können.

Das Ende des Atomabkommens

Der von der Trump Administration immer wieder verfolgte „Alles oder Nichts“-Ansatz lässt auf einen Mangel an Kompromissfähigkeit und realpolitischem Außenmaß schließen. Die einseitige amerikanische Aufkündigung des Atomabkommens mit Iran 2018 illustriert dies beispielhaft. Das Abkommen ist das Ergebnis langjähriger schwierigster Verhandlungen der E3+3 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, China, Russland, USA) mit Iran. Dabei ging es darum, die nuklearen Aktivitäten Irans verschärften Überprüfungsmaßnahmen zu unterwerfen und zu verhindern, dass Iran binnen kurzer Frist unentdeckt die notwendigen Mengen von hochangereichertem Uran für Nuklearwaffen produzieren kann.

Bei Abschluss des Atomabkommens 2015 war allen westlichen Beteiligten klar, dass damit die problematische Rolle Irans im regionalen Kontext, die Präsident Trump als wesentlichen Grund für die amerikanische Kündigung nannte, ungelöst bleiben würde. Entscheidend war vielmehr der mit dem Abkommen erreichbare unmittelbare Sicherheitsgewinn für die internationale Gemeinschaft. Daneben hat man gehofft, im Zuge einer erfolgreichen Umsetzung des Abkommens schrittweise Vertrauen zu schaffen und damit später beispielsweise Fragen der regionalen Stabilität im Nahen Osten konstruktiv und lösungsorientiert angehen zu können. Diese Perspektive ist durch Präsident Trump zunächst zunichte gemacht worden.

Nato-Partner müssen mitziehen 

Bemerkenswert ist auch die Rücksichtslosigkeit, mit der die USA die Haltung ihrer Verbündeten übergehen. So wurden – wie schon bei der letztjährigen Kündigung des Vertrages mit Russland über nukleare Mittelstreckensysteme – vorausgehende Plädoyers wichtiger Verbündeter für einen Verbleib im Offener Himmel Vertrag ignoriert oder in den Wind geschlagen. Die US-Administration erwartet von ihren Nato-Partnern Gefolgschaft. Dies geht jedoch nicht mit der Bereitschaft einher, die Partner als solche zu behandeln, sie zu konsultieren und damit „mitzunehmen“. Die Nachricht vom Wochenende, dass die USA unabgestimmt einen substantiellen Teil ihrer Soldaten aus Deutschland abziehen wollen, ist ein weiterer Beleg dafür.

Alles deutet darauf hin, dass die Trump-Administration ihren rüstungskontrollpolitischen Kurs in den kommenden Monaten unbeirrt fortsetzen wird. Es ist davon auszugenehen, dass sie auch den NewSTART Vertrag abräumen wird; der Abschluss des von ihr erklärtermaßen angestrebten umfassenderen Abkommens über alle Nuklearwaffen unter Einbeziehung Chinas ist kurzfristig völlig unrealistisch. Und selbst wenn die USA keinen Nukleartest durchführen, so steht doch zu befürchten, dass sie – wie bereits spekuliert wird – die Unterschrift unter das umfassende Teststoppabkommen (CTBT) zurückziehen könnte. Dies wäre ein nichtverbreitungspolitischer Tabubruch und würde die USA als seiner Verantwortung gegenüber der Weltgemeinschaft bewusster Staat diskreditieren.

Die Chancen für einen Kurswechsel sind gering

Die Chancen, dass Präsident Trump seinen sicherheitspolitischen Kurs revidiert, sind gering. Eine Beschwichtigung und Hinnahme der folgenreichen amerikanischen Schritte sollten dennoch für die europäischen Bündnispartner keine Option sein. Ein entschiedenes und geschlossenes Auftreten der europäischen NATO Partner (möglichst in engem Zusammenwirken mit Kanada) hat noch am ehesten Aussicht, Eindruck zu hinterlassen.

Ausgangspunkt für die europäische Positionierung sollte der grundlegende politische Ansatz des westlichen Bündnisses sein. Dieser ruht seit 1967 auf zwei sich ergänzenden Pfeilern: einer gesicherten Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeit sowie der Bereitschaft zu Dialog, Entspannung und Rüstungskontrolle. Eine Renationalisierung der Sicherheitspolitik, ein Streben nach militärischer Überlegenheit und eine faktische Absage an das Prinzip internationaler Zusammenarbeit sind mit diesem Verständnis der Kernaufgabe des Nordatlantischen Bündnisses unvereinbar. Will man die USA hieran erinnern, so darf man sich nicht selbst dem Vorwurf aussetzen, die Solidarität im Bündnis zu verletzen. Insofern kommt die innenpolitische Diskussion in Deutschland um die Fortsetzung der nuklearen Teilhabe zur Unzeit; sie liegt zudem nicht in unserem Interesse an der Aufrechterhaltung einer glaubwürdigen Abschreckung.

Das transatlantische Bündnis muss intakt bleiben

Gerade in der jetzigen schwierigen Phase kommt dem transatlantischen Dialog besondere Bedeutung zu. Die USA bleiben ein enger Partner und Freund. Maßgebliche regierungskritische Kräfte in Washington halten ihrerseits an dem traditionell engen Bündnis mit Europa fest. Ein intaktes transatlantisches Verhältnis bleibt von zentraler Bedeutung für die Selbstbehauptung der rechtsstaatlich verfassten freiheitlichen Demokratien westlicher Prägung in einem internationalen Umfeld, in dem sie zunehmenden Anfeindungen ausgesetzt sind und autokratische Regime Einfluss gewinnen.

Appelle an die US-Administration allein führen nicht zum Erfolg. Vielmehr müssen die Bündnispartner auch ihr Festhalten an den Fundamenten des Bündnisses wie auch der Rüstungskontrolle entschlossen dokumentieren. So sollten beispielsweise die europäischen Partner nach der amerikanischen Kündigung des Offener Himmel Vertrags ihr Festhalten an dem Vertrag dokumentieren. Die von elf europäischen Staaten – darunter Deutschland – am 22. Mai verabschiedete Erklärung, mit der diese sich zur weiteren Umsetzung des Vertrags bekennen, weist hier den Weg.

Anzeige