Tierisch teuer - Pekings Pandapolitik

Der Große Pandabär ist einer der sympathischsten Botschafter, die China zu bieten hat. Alle Welt reißt sich um die niedlichen Tiere. Doch die Regierung in Peking verlangt einen hohen Preis für das Verleihen seiner lustigen Bambusfresser: finanziell, aber auch politisch

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So kennt man sie: rundliches Gesicht, große Augen, kleine Nase. Pandas erfüllen das „Kindchenschema“ / picture alliance
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Falk Hartig ist Sinologe und forscht an der Universität Frankfurt/Main zu Fragen der politischen Kommunikation.

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Es ist immer wieder dasselbe Spiel: Sobald der Transportflieger gelandet ist, bricht Jubel aus, Kinder schwenken Fähnchen, Erwachsene klatschen gerührt Beifall, und Politiker lassen es sich nicht nehmen, die hohen Gäste persönlich am Flughafen zu begrüßen. 2011 eilte der damalige Schottland-Minister zum Flughafen in Edinburgh, 2013 kam der damalige kanadische Premier persönlich an die Rollbahn in Toronto ebenso wie 2014 sein belgischer Amtskollege in Brüssel. Begleitet werden sie dabei in der Regel von mehreren Hundert Journalisten, die ganz genau wissen, wie lange die Passagiere unterwegs waren, wer sie begleitet hat und was es an Bord zu essen gab. Begrüßt werden allerdings keine Staatschefs, keine weltrettenden Rockstars oder erfolgreich heimkehrende Sportler. Nein, es geht dabei immer um Große Pandas, eingeflogen aus China.

Denen ist der ganze Rummel in der Regel herzlich egal, was sie noch sympathischer macht.

Als im April zwei Pandabären in Amsterdam ankamen, flippten die Holländer komplett aus. Auf den 80 Kilometern zum Zoo säumten Pandaflaggen die Straßen, lokale Bäcker verkauften Pandaplätzchen und ein Schnapshändler bot „Pandaslokje“ an – einen Likör mit Schokolade. 

Pandadiplomatie

Der jüngste Fall von Pandawahnsinn wird aller Voraussicht nach Anfang Juli in Berlin zu beobachten sein. Nachdem Chinas Premier Li Keqiang Kanzlerin Merkel 2015 in Peking mit der Nachricht überraschte, dass Berlin ein neues Panda­paar erhalte, werden Pandamädchen Meng Meng („Träumchen“) und ihr Partner Jiao Qing („Fröhliche Schönheit“) von Angela Merkel und Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping höchstpersönlich im Zoologischen Garten während Xis Staatsbesuch empfangen. Die Begeisterung dürfte auch dort keine Grenzen kennen. Die Tatsache, dass Merkel und Xi zwei Bären begrüßen, deutet die politische Dimension dessen an, was als Pandadiplomatie beschrieben wird.

Bei dieser Art Diplomatie spielen Umstände eine Rolle, die selbst die geschicktesten Strippenzieher in Peking nicht beeinflussen können. Erstens kommt der Große Panda ausschließlich in den Gebirgsregionen Südwestchinas vor. Dazu kommt, zweitens, dass der Große Panda ein äußerst seltenes Tier ist. Bis vor kurzem stand er auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Tiere, und auch heute gibt es insgesamt kaum mehr als 2000 Exemplare. Gefährdet ist der Bär nach wie vor. Einerseits wird sein Lebensraum bedroht, andererseits vermehren sich die Tiere nur sehr selten und gelten als notorische Sexmuffel. Drittens wirkt beim Großen Panda das Kindchenschema, welches die bei Menschenkindern und bestimmten Jungtieren vorkommenden kindlichen Proportionen bezeichnet, die als Schlüsselreiz wirken und so das Brutpflegeverhalten auslösen.

Dazu zählen unter anderem ein rundliches Gesicht, große, runde Augen, eine kleine Nase, kurze stämmige Glied­maßen und rundliche Wangen. Junge Katzen, Hundewelpen und eben Große Pandas haben einige dieser Babymerkmale, was sie in den Augen der meisten als süß und knuffig erscheinen lässt. 

Chinas Geheimwaffe

Dank dieser Besonderheiten sind die Großen Pandas seit Jahrtausenden Chinas diplomatische Geheimwaffe. Der Legende nach erkannte schon Kaiserin Wu Zetian die Macht der Bären und schickte dem japanischen Kaiserhof im Jahr 685 zwei Tiere. 

Auch wenn die Volksrepublik China nach ihrer Gründung 1949 mit vielen Traditionen des Kaiserreichs brach – die Wirkung der schwarz-weißen Charmebolzen wussten auch die Kommunisten um Mao Zedong für sich zu nutzen. Bis Anfang der 1980er-Jahre wurden die Tiere an ausgewählte Länder verschenkt. So bekam Altkanzler Schmidt 1980 zwei Bären für den Westberliner Zoo. Das Männchen, Bao Bao („Schätzchen“), starb 2012 und war bis dahin einer der Publikumslieblinge im Zoologischen Garten. 

In der zweiten Phase bis Mitte der 1990er-Jahre artete die Pandadiplomatie dann in schändliche Geschäftemacherei aus. China verlieh die Bären für je 100 bis 200 Tage, und die Tiere wurden im Ausland regelrecht auf Tourneen durch verschiedene Zoos geschickt. Die Volksrepublik kassierte jeweils 500 000 Dollar und strich oftmals Prozente aus dem Souvenirverkauf ein. Die Zoos wiederum machten mit Eintrittsgeldern so viel Geld, dass einige sogar die an sie ausgeliehenen Pandas untereinander weiter verliehen. 

Kosten in Millionenhöhe

1996 stoppte Peking diese Praxis und verleiht die Tiere seitdem nur noch langfristig für mindestens zehn Jahre und 500 000 Dollar pro Tier und Jahr im Rahmen wissenschaftlicher Kooperationsvereinbarungen mit dem Ziel der Nachwuchsgewinnung. Berlin bekommt sein Paar für 15 Jahre und überweist dafür rund 920 000 Euro jährlich nach Peking.

Zu den Leihgebühren kommen für viele Zoos Umbaukosten in Millionenhöhe (in Berlin ist von neun bis zehn Millionen die Rede), und allein die Verpflegung mit Bambus kann pro Jahr mit bis zu 150 000 Euro zu Buche schlagen. Zudem sind die Bären in der Regel mit bis zu einer Million Dollar versichert. Damit sichern sich Zoos gegen mögliche Regressforderungen aus Peking ab. Als 2010 ein Panda in Japan starb, wurde eine Vertragsklausel bekannt, wonach 500 000 Dollar Strafe fällig werden, wenn ein Panda durch falsche Haltung verendet.

Und als sei das alles nicht schon kostenintensiv genug, werden die Zoos in der Regel auch dann noch einmal zur Kasse gebeten, wenn sie das offizielle Ziel der Leihvereinbarung – die Nachwuchsgewinnung – realisieren. Wird ein Panda im Ausland geboren, muss der entsprechende Zoo eine „Erfolgsprämie“ von mehreren Hunderttausend Dollar zahlen, das Tier ist Eigentum Chinas und hat nach zwei Jahren ins Reich der Mitte zurückzukehren. Einzelheiten des Berliner Pandadeals sind (bisher) unbekannt, aber die Konditionen werden denen anderer Zoos ähneln.

Offiziell geht es zwar um tiermedizinische Kooperationen und Artenschutz, aber die enorm positive Imagewirkung ist dabei immer einkalkuliert. 2009 bekam der Zoo im australischen Adelaide zwei Pandas und verzeichnete im ersten Jahr einen Besucherzuwachs von 70 Prozent. Der Edinburgher Zoo vermeldete im Dezember 2011, dem ersten Monat mit Pandas, gar einen Besucheranstieg von 200 Prozent. Doch auch wenn die Pandas, vor allem in den ersten Monaten, Besuchermagneten sind, können sie die teilweise enormen Kosten für die Zoos nicht immer einspielen. So leidet der Zoo in Adelaide nach wie vor unter einer Schuldenlast von umgerechnet rund 16 Millionen Euro, die zum Großteil auf die Beherbergung der Bären zurückzuführen ist.

Lukrative Deals 

Aus chinesischer Sicht allerdings sind die Pandas ein absoluter Erfolg. Die Besucher im Ausland sind begeistert, beschäftigen sich nicht mit so lästigen Themen wie Menschenrechten oder künstlichen Inseln im Südchinesischen Meer, und selbst die sonst so chinakritischen Medien geraten bei den Bären mehrheitlich in Verzückung. Zudem kann sich China als generöser Partner darstellen, der seine „nationalen Schätze“ großzügig in die Obhut ausgewählter Zoos gibt. 

Schließlich haben diese Pandadeals in der Regel auch sehr realpolitische Implikationen, denn neben den reinen Leihgebühren verlangt China meist auch bei anderen Abkommen und Vorhaben ein gewisses Entgegenkommen. Als der damalige kanadische Premierminister 2012 seinen Pandadeal verkünden konnte, wurde das weithin als Belohnung dafür interpretiert, dass er sich vom China­kritiker zu Beginn seiner Amtszeit zum Chinafreund gemausert hatte und China gleichzeitig Zugang zu Kanadas enormen Rohstoffvorkommen zusicherte. Australien und Frankreich bekamen Pandas, nachdem sie mit China Erz- und Urangeschäfte beziehungsweise Kooperationen beim Bau von Atomkraftwerken vereinbart hatten. Und Singapur, Malaysia und Thailand bekamen ihre Bären für die Bereitschaft, mit China Freihandelsabkommen abzuschließen.

Wenn die Pandas dann im Ausland sind, setzt Peking sie mitunter als diplomatische Druckmittel ein. Zum Beispiel, wenn Vertragsverlängerungen anstehen. Als die USA und Österreich den Aufenthalt ihrer Pandas verlängern wollten, war Peking zunächst überaus zurückhaltend und wenig kooperativ. Der Grund dafür: Während die Verlängerungsverhandlungen liefen, trafen sich die Regierungschefs beider Länder mit dem Dalai Lama, was China traditionell ziemlich verärgert. 

Genialer Schachzug 

Für Verärgerung ganz anderer Art sorgte Peking 2005 selbst, als es dem als abtrünnig geltenden Taiwan zwei Große Pandas zukommen lassen wollte. Damals sorgten unter anderem die Namen auf der Insel für Empörung: Die Bären heißen Tuan Tuan und Yuan Yuan. Tuanyuan bedeutet so viel wie „Zusammenkunft“ oder „Wiedervereinigung“, weswegen der damalige chinakritische Präsident Taiwans, die Botschaft verstehend, die Tiere entrüstet ablehnte. Sein Amtsnachfolger hatte nach seiner Wahl im Jahr 2008 keine Probleme mit den Namen und nahm das Geschenk an. 
Alles in allem ist die Pandadiplomatie ein genialer Schachzug Pekings. Westliche Länder schließen Verträge, die in der Regel für China sehr lukrativ sind. Dafür erhalten Zoos dieser Länder nicht etwa Pandas als Geschenk; nein, sie erhalten die Möglichkeit, Pandas für rund eine Million Dollar im Jahr zu mieten, die dann wiederum im Ausland bambusfressend und schlafend Chinas Image aufpolieren. 

Steigern lässt sich das nur noch, wenn, wie im Fall Belgiens, Streit darüber ausbricht, wohin mit den Pandas. Während man sich in Kanada recht friedlich darauf einigte, die Tiere je fünf Jahre in Toronto und Calgary zu beherbergen, kam es in Belgien zu lautstarken Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Regionen, wo die Tiere untergebracht werden sollten. Und was könnten sich Pekinger Strategen Besseres wünschen, als dass sich westliche Zoos und Politiker darüber streiten, wer für Chinas Große Pandas bezahlen darf?

 

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