Theresa May und der Brexit - Der „Maybot“ macht immer weiter

Theresa May hält am Brexit-Deal fest, obwohl der britischen Premierministerin die Minister davonlaufen. Eigentlich ist es kaum vorstellbar, dass May für den Deal im Parlament noch eine Mehrheit finden kann. Welche Möglichkeiten bleiben ihr?

Theresa May:„Werde ich das Vorhaben durchbringen? Ja.“ / picture alliance
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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„Schwierige und manchmal ungemütliche Entscheidungen mussten getroffen werden, aber dieser Deal ist im nationalen Interesse und wir sollten geeint dahinter stehen“, sagte Theresa May am Donnerstag nachmittag vor versammelter Presse in Downing Street 10. Trotz des Rücktritts von zwei Ministern und einer dreistündigen Fragestunde im Parlament, die eher einem Schauprozess glich, blieb die britische Regierungschefin ungerührt. Falls noch jemand daran zweifelte, fügte die 62-jährige Konservative hinzu: „Werde ich das Vorhaben durchbringen? Ja.“

Wie lange kann May ohne Macht regieren?

Ihr „Maybot“ wird den Briten langsam unheimlich. Im November 2016 brachte der Karikaturist John Crace den Spitznamen für die britische Premierministerin in einem politischen Sketch unter und seitdem ist sie ihn nicht mehr losgeworden: Theresa Mays eckige öffentliche Auftritte erinnerten den Guardian-Kolumnisten an einen Roboter, der dringend ein Reboot braucht. Zwei Jahre später steht die Pastorentochter immer noch auf dem politischen Schlachtfeld, in das sich die britische Politbühne seit dem Brexit-Referendum verwandelt hat. Wie lange aber kann sie jetzt noch regieren, wo sie de facto die Macht verloren hat?

Der schwarze Donnerstag begann für die umkämpfte Theresa May mit dem Rücktritt ihres Brexitministers. Er könne den von ihm mit Michael Barnier in Brüssel ausgehandelten Deal nicht mittragen, schrieb Dominic Raab in seinem Abschiedsbrief: „Ich fürchte, der Deal bedroht die Integrität des Vereinigten Königreichs.“ In einem BBC-Interview gab er zu Protokoll: „Die Premierministerin muss sich einen Brexitminister suchen, der hinter ihrer Linie steht.“ Knapp danach folgte ihm die Arbeitsministerin Esther McVey nach, später kamen noch einige andere Tory-Funktionäre hinzu.

Nur sieben Abgeordnete springen May bei

Der Abgang des zweiten Brexitministers innerhalb von sechs Monaten zeigte überdeutlich, wie gespalten die britische Politszene hinsichtlich des Brexit ist. Im Juli war Raabs Vorgänger David Davis wegen Mays sanfter Verhandlungsstrategie zurückgetreten und hatte Britanniens obersten Brexitier un damaligen Außenminister Boris Johnson mit sich gerissen. Wenn eine Regierungschefin nicht einmal das eigene Kabinett von ihrem Kompromiss-Plan überzeugen kann, wie soll es ihr dann mit einem Parlament gelingen, in dem sie nur eine hauchdünne Mehrheit hat?

Im House of Commons verteidigte Theresa May am Donnerstag ihren mit der EU ausgehandelten Brexit-Deal. Nur sieben Abgeordnete wie ihre ehemalige Innenministerin Amber Rudd sprangen ihr öffentlich bei, alle anderen drohten und schimpften bloß. Die meisten Minister blickten unangenehm berührt auf ihre Schuhe. Man wartete auf weitere Rücktritte von harten Brexitieren, aber die kamen erst einmal nicht. Theresa Mays Versuch, den innerparteilichen Konkurrenten und harten Brexit-Fan Michael Gove vom Umweltminister zum Brexitverantwortlichen zu befördern, scheiterte an Goves Widerstand: Er wolle den Job nur, wenn er neu verhandeln dürfe, hieß es.

Schwierigkeiten des Brexits werden offensichtlich

Jetzt, wo der Brexit zum ersten Mal konkrete Gestalt annimmt, zeigt sich, wie schwierig es ist, die Versprechen der „Leave“-Kampagne einzulösen: Entfernt sich das Vereinigte Königreich so weit von der EU, wie es die harten Brexit-Fans wollen, dann steht der Frieden in Nordirland auf dem Spiel. Denn für eine grüne Grenze zwischen Nordirland und Irland braucht es den Verbleib in der Zollunion. Dieser wäre auch ökonomisch sinnvoll. Bleibt Großbritannien aber sehr nahe an der EU, dann ergibt der ganze Brexit keinen Sinn. Denn die Briten müssten zwar die meisten Verpflichtungen mittragen, hätten aber kein politisches Mitspracherecht.

Deshalb bäumen sich jetzt EU-Feinde und EU-Freunde gleichermaßen in letzter Minute noch einmal gegen das mäßig gut geplante Austritts-Projekt auf. Gegen die Premierministerin steht die Opposition – die Labour-Party unter Jeremy Corbyn, die schottischen Nationalisten der SNP, die Liberaldemokraten. „Kein normaler Mensch wird für diese miserable Niederlage von einem Deal stimmen“, sagt etwa Labour-Schattenbrexitminister Keir Starmer.

Hinzu kommen aber noch die nordirischen Unionisten der DUP, die bisher die Regierung von außen unterstützt haben. Schlimmer noch, auch die eurokritischen Tory-Rebellen scheinen lieber ihre eigene Regierungschefin stürzen zu wollen, als einen sanften EU-Austritt zu akzeptieren.

Corbyn oder Johnson als Nachfolger?

Die parteiinternen Europafeinde von der „European Research Group“ unter der Führung des ultrakonservativen Tory-Hinterbänklers Jacob Rees-Mogg streben einen Misstrauensantrag gegen die eigene Regierungschefin an. Dazu brauchen sie die Unterstützung von 48 Abgeordneten. „Meinen Brief habe ich abgeschickt”, sagte Rees-Mogg und wies die Idee, dass es sich um einen Staatsstreich handelte, von sich: „Soweit ich weiß, ist ein Coup eine illegale Machtübernahme.“ Kaum jemand zweifelt mehr, dass es genügend europhobe Tories gibt, die den Todesstoß jetzt wagen wollen, wo die moderate Regierungschefin ohnehin bereits angeschlagen ist.

Zählt man loyale Tory-Abgeordnete und Labour-Rebellen zusammen, dann kommt Theresa Mays Deal nur auf die Zustimmung von etwa 224 Abgeordnete. Das wäre bei einem Haus von 650 Abgeordneten nicht ausreichend. Ist aber die neue nationalistische Wut der „Brextremisten“ am Ende wirklich so heftig, dass sie in Kauf nehmen, das Land ins Chaos zu stürzen? Fallen Theresa May und ihr Deal, dann droht ein „No-Deal-Szenario“ und Großbritannien kracht am 29. März 2019 aus der EU ohne Übergangsperiode. Die Regierungschefin hofft außerdem, dass sich genügend Abgeordnete vor ihr weniger fürchten als vor ihren potentiellen Nachfolgern. Das Wettbüro William Hill setzt auf Labour-Chef Jeremy Corbyn als nächsten Premierminister (4/1), gefolgt von Boris Johnson (6/1). Beide haben zwar jeweils in ihrem Segment der Bevölkerung viele Fans, aber ob einer der beiden mehrheitsfähig ist?

Am Parlamentsplatz riefen am Donnerstagabend proeuropäische Demonstranten: „Wir wollen eine Volksabstimmung!“ Hunderte aufgebrachte Briten versammelten sich im Regierungsviertel, um den Druck der Straße auf die umkämpfte Premierministerin zu erhöhen. Weder die Regierungschefin noch der Labour-Oppositionsführer wollen davon bisher etwas hören. Wenn aber die Regierung und das Parlament handlungsunfähig sein sollten, dann werden die Stimmen lauter werden, die ein zweites Referendum fordern.

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