Terror in Europa - Freiheit macht verwundbar

Kolumne Grauzone: Nach dem Terroranschlag von Nizza herrschen überall Ohnmacht und Hilflosigkeit. Eine neue Situation, an die wir uns gewöhnen müssen, denn unsere globalisierte, freiheitliche Welt ist verletzbar

Zahlreiche Menschen bekunden vor der französischen Botschaft in Berlin ihr Mitgefühl / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Terror hat ja auch was Ermüdendes. Klingt jetzt zynisch, aber seien wir ehrlich: Man gewöhnt sich an die Sache. Zumindest wenn man nicht direkt betroffen ist. Es sind die immergleichen, altbekannten Szenen. Irgendeine Menschenmenge, irgendein Täter, vielleicht auch vier oder fünf, dann ein Blutbad, schließlich Blaulichter, Sirenengeheul, Särge.

Immer die gleichen Phrasen

Ein paar Stunden später folgen die durchritualisierten Reaktionen der Politik: Dass man tief betroffen sei von diesem feigen Anschlag, dass man alles tun werde, um das Verbrechen aufzuklären, dass man sich dem Terror nicht beugen und den Kampf gegen den Terrorismus gewinnen werde.

Noch während die zweite oder dritte Garde der Politik im Fernsehen und im Radio ihre messerscharfe Lageeinschätzung zum Besten gibt („wir dürfen jetzt keine voreiligen Schlussfolgerungen ziehen“), machen sich die Kommentatoren ans unvermeidliche Werk.

Ganz nach persönlicher Sicht der Dinge und weltanschaulicher Verortung wird das ganze mögliche Meinungsspektrum hoch und runter dekliniert. Für die einen liegt die Wurzel allen Übels im Islam, für die anderen nicht. Für die einen ist der Terror Produkt falsch verstandener Toleranz, für die anderen das Ergebnis von Ausgrenzung und Diskriminierung. Die nächsten nutzen die Gelegenheit, um vor noch mehr Einwanderung zu warnen, andere sehen da keinen Zusammenhang. Man könnte diese Doppelliste aus dem Analyse-Phrasomaten beliebig verlängern.

Es gibt nichts mehr zu sagen

Das soll natürlich nicht bedeuten, dass überall nur Einfaltspinsel sitzen, die der Lage intellektuell nicht gewachsen sind. Die gibt es auch. Das eigentliche Problem liegt jedoch woanders.

Angesichts des immer wiederkehrenden Schreckens wird auch das wohlmeinendste Wort zur gestanzten Floskel und die schärfste Analyse zur Banalität. Irgendwann ist unser Vokabular des Mitfühlens aufgebraucht, und auch die klügste Ursachenforschung erschöpft sich und droht zur Binsenweisheit zu verkommen, die keiner mehr hören kann. Der Terror hat eines schon erreicht: uns das Gefühl zu geben, sprachlos zu sein und gedanklich leerzulaufen.

Hinzu kommt, dass wir genau wissen: Es wird so weitergehen, für Jahre, für Jahrzehnte. Es wird nicht aufhören. Die hilflosen Kommentare der politisch Verantwortlichen, man werde sich dem Terror nicht beugen und ihn mit allen Mitteln bekämpfen, zeugen nur von unserer Ohnmacht.

„Einsame Wölfe“ sind schwer zu stoppen

Sicher: Die Tatsache, dass es während der EM keinen Anschlag gab oder dass etwa Deutschland bisher von größeren Terrorakten verschont blieb, zeigt, dass Polizei und Geheimdienste sehr wohl wirksam arbeiten. Genauso klar ist jedoch, dass sie nicht jeden Anschlag verhindern können.

Dies gilt umso mehr, als nicht nur die Gewalt selbst, sondern auch der Gedanke des Terrors längst outgesourct wurden. Nicht Terrorzentralen planen Anschläge oder irgendwelche Schläferzellen. Es reicht der verwirrte, psychisch labile Einzeltäter, der seinem persönlichen Amoklauf nun höhere Weihen geben kann. Diese Menschen sind kaum zu stoppen.

Der moderne, international agierende Terrorismus ist das bösartige Kind der Globalisierung. Er ist das Produkt einer immer enger vernetzten Welt, in der nicht nur Waren und Güter kreuz und quer über den Globus geschickt werden, sondern auch Menschen, Kulturen, Religionen und Ideologien. Die Folge: Es prallen unvereinbare Lebensentwürfe aufeinander, sich widersprechende Werte, erhebliche Wohlstandsunterschiede und divergierende gesellschaftliche Vorstellungen.

Terrorismus ist ein Beiprodukt der Globalisierung

Die allermeisten Menschen verarbeiten diesen Schock erstaunlich gut. Einige wenige jedoch treibt er in die Gewalt oder liefert ihnen den Vorwand, ihre Gewaltfantasien auszuleben.

Wir müssen begreifen, dass die Globalisierung im Grunde eine neue Technik ist, eine neue Kunstfertigkeit des Lebenswandels. Neue Techniken aber erzeugen immer neue Opfer, da sie neue Möglichkeiten des Unglücks gleich mit erschaffen. Ohne Autos keine Verkehrsunfälle.

Der internationale Terrorismus ist die zwangsläufige Nebenerscheinung, der jederzeit mögliche Unfall in der globalisierten Lebenswelt. Vieles spricht dafür, dass wir uns an ihn gewöhnen werden (und müssen), so wie an andere Störungen unserer hyperkomplexen Welt, die wir in Kauf nehmen, weil wir ihre Vorteile nicht missen wollen.

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