Terroranschlag in Christchurch - Das Perverse verdient kein Podium

Der Massenmord in Neuseeland zeigt auf beklemmende Weise: Wer sich in seinem Hass verkapselt, kappt die Bande der Menschlichkeit – unter welchen ideologischen Voraussetzungen auch immer. Drei Lehren hält der Terrorakt bereit

Vereint in der Trauer: Der Terroranschlag in Christchurch riss 50 Menschen aus dem Leben / picture alliance
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Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Nun sind es 50. 50 in Neuseeland ermordete Menschen, 50 Muslime. Getötet durch einen Mann, dessen Namen hier nicht genannt werden soll. Keinen Nachruhm verdient er, nur Verachtung. Er wird sich vor einem neuseeländischen Gericht zu verantworten haben und dort eine Strafe erhalten, die gewiss gerecht sein wird, eines Rechtsstaats wie Neuseeland würdig, und doch nur winzig sein kann im Vergleich zum Leid, den Qualen, dem Sterben der Opfer. Warum tun Menschen einander so etwas an?

Die erste Antwort lautet: Weil Menschen sich in einem Maß verkapseln können, dass kein vernünftiger Laut mehr zu ihnen durchdringt. Vernunft braucht Einrede und Widerrede, braucht die Bereitschaft zum Vernehmen. Monologe verdummen. Ganz offensichtlich hatte der Massenmörder sich komplett verkapselt in sich und seinem Hass auf Muslime. Da war für nichts anderes mehr Platz. Er zehrte vom Wahn, den er züchtete. Darauf deuten seine nun publik gewordenen Statements in den so genannten sozialen Medien, die einmal mehr eliminatorischer Asozialität den Weg bereiteten. Und niemand widersprach so eindrücklich, dass der künftige Mörder bereit gewesen wäre, innezuhalten, einen Schritt weg von sich zu treten. Die zweite Antwort lautet also: Weil niemand ihn stoppte in seinem Hass.

Erdogan macht Wahlkampf mit dem Video 

Der Philosoph Peter Sloterdijk sieht im Terror eine Publikationstechnik. Nun publizierte der Massenmörder von Christchurch seine Taten live im Internet. Auch danach ließ und lässt sich das Video aufspüren. Soll man es sich anschauen? Ist es Pflicht zumindest dann, wie Michael Fleischhacker schreibt, „wenn man einen Beruf hat, in dem es irgendwie auch darum geht, die Welt zu verstehen“, wenn man also Journalist ist? Da habe ich meine Zweifel. Das Internet von diesem Video säubern zu wollen, halte ich ebenso wie Fleischhacker für keine gute, sondern für eine bevormundende Idee. Nicht alles aber sollte man seiner Seele, seinem Körper zumuten. Das Perverse verdient kein Podium – und schon gar nicht soll es instrumentalisiert werden zur vorbeugenden Legitimation weiterer Gewalt, wie es nun der türkische Staatspräsident Erdogan tat, als er das Video unzensiert bei einem Wahlkampfauftritt vorführte.

Der Massenmörder von Christchurch verfasste ein Manifest seiner Weltanschauung, geschrieben „in einem schwer erträglichen, halb ironischen Stil“, „voller Anspielungen auf die Ideen einer degenerierten Onlinewelt“. Soll man es lesen? Auch da gilt: Wer es analysieren mag, der soll es tun, doch keine Lektüre wird mehr zutage fördern als eine martialisch verpackte Leerstelle. Wirre Selbstrechtfertigung bleibt wirr, Terror steht jenseits der Diskurse. So war es schon bei den Schriften Anders Breiviks oder der „geistlichen Anleitung“ der Attentäter vom 11. September 2001. Ob es sich um Rechtsextremisten handelt, um Islamisten – gerade werden über 50 ermordete Christen aus Nigeria gemeldet –, oder um Terroristen anderer Couleur: Sie verschaffen sich ihr Publikum ausschließlich durch monströse Taten, die aus der Gattung zu fallen scheinen. Die dritte Antwort lautet: So etwas tun Menschen einander an, weil es verworfene Menschen gibt und weil Böses existiert.

Die Bande der Menschlichkeit gekappt  

Diese Antwort beunruhigt am meisten. Der verkapselte wird zum entriegelten Menschen, wenn er jenen Punkt der Verblendung erreicht hat, an dem die Gedanken zur Tat explodieren. Der Massenmörder von Christchurch erinnert uns daran, dass eine Versenkung ins rechtsextremistische ebenso wie ins islamistische Milieu die Bande der Menschlichkeit kappen kann. Wer Muslime abschlachtet, weil sie Muslime sind, der ist noch Mensch und ist es schon nicht mehr. Gedenken wir der Opfer. Ächten wir den Täter. Widersprechen wir jeder Unkultur, die Vernichtung ausbrütet.

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