Sozialdemokraten in Europa - Was wollt ihr eigentlich?

In Deutschland liegt die SPD am Boden, in Italien, Frankreich sind die Sozialdemokraten kaum noch vorhanden. Warum auch, wofür die Sozialdemokraten stehen, trauen sie sich selbst nicht zu sagen. Dabei wäre gerade jetzt die Zeit, ihre klassischen Themen offensiv zu vertreten

Auch SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley konnte die Europawahl für die SPD nicht retten / picture alliance
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Kay Walter arbeitet als freier Journalist in Frankreich

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Keine Angst (oder wahlweise Hoffnung): Hier folgt jetzt weder das dieser Tage allerorten zu lesende und wohlfeile SPD-Bashing und auch nicht die x-te Auflage der Feststellung, dass die Führungsriege „es nicht kann“. Das alles greift viel zu kurz, reduziert die Fragestellung auf ein deutsches Problem und erklärt nicht, warum in Frankreich und Italien die dortigen Sozialistischen Parteien sogar noch tiefer am Boden liegen als die deutsche SPD, ja faktisch kaum noch existent sind, während sie andererseits in Spanien und Portugal unerwartete Erfolge eingefahren haben. 

Was also sagt das über die Länder aus, wenn sie keine starke links-demokratische Partei mehr haben? Glauben die Bürger in diesen Ländern, sozialen Fortschritt nicht mehr nötig zu haben, oder haben sie die Hoffnung auf gesellschaftlichen Wandel schon generell aufgegeben? Oder haben sie ihre Hoffnung nur an Parteien und Gruppen delegiert, für die das Thema nicht im Zentrum ihrer Politik steht? Einiges spricht für die letztere Annahme.

Von Sozialdemokraten werden Antworten nicht mehr erwartet

Denn objektiv geht in fast allen Staaten Europas die Schere zwischen Armen und Reichen immer weiter auf, sowohl was Einkommen und Besitz, als auch was das Bildungsniveau angeht. Objektiv wird die Möglichkeit schlechter, individuell gesellschaftlichen Aufstieg durch eigene Arbeit zu realisieren, während sich gleichzeitig ererbter Reichtum verfestigt. Es gibt also sehr wohl Bedarf an mehr Verteilungsgerechtigkeit. Na klar wollen auch die Grünen mehr Gerechtigkeit, aber es es ist nicht ihr Kernthema. Aber viele Wähler erwarten offenbar von sozialdemokratischen Parteien keine sinnvollen Antworten mehr auf ihre Fragen oder auch Lösungsvorschläge für ihre Probleme. Dafür gibt es je national hausgemachte Ursachen, aber auch größere, objektive. 

Die nationalen Ursachen sind relativ klar: Labour in Großbritannien hat sich den Niedergang im Wesentlichen selbst zuzuschreiben. Wer wie Jeremy Corbyn nicht vehement gegen den Brexit ankämpft, sondern herumlaviert und -taktiert, wer von der eigenen Europaskepsis getrieben faktisch gemeinsame Sache mit den Brexiteers macht, der darf sich auch nicht wundern, wenn er die Quittung dafür bekommt: 13,7 Prozent. Ein Desaster für eine(angebliche) Oppositionspartei. 

Frans Timmermans ist die Ausnahme

Zu den Grundfesten linker Politik gehören Internationalismus und Solidarität. Nationalistische Antworten sind  nicht im Interesse der arbeitenden Bevölkerung. Die Quittung dafür, das nicht mehr wirklich zu wissen, haben sich auch die französischen Sozialisten in den vergangenen 20 Jahren gleich mehrfach abgeholt. Mit der Konsequenz, dass sich der Trotzkist Jean-Luc Melenchon als Sachwalter linken Erbes aufspielt und die Relikte der Partei noch weiter ins Sektierertum treibt. Magere 6,3 Prozent sind das Ergebnis seiner „linken Sammlungsbewegung“ bei der Europawahl. Warum sollte man für pseudo-linke Europagegner stimmen, wenn man auch gleich die Europahasser im rechtsradikalen Lager von Marine Le Pen wählen kann.

Den Gegenweg hat Frans Timmermans in den Niederlanden eingeschlagen. Der hat das Ergebnis der dortigen Sozialdemokraten als überzeugter Europäer glatt verdreifacht. Nur mit dem Status Spitzenkandidat ist das sicher nicht zu erklären. Man frage Manfred Weber.

Warum war das nicht in Deutschland möglich? Ja natürlich, niemand an der Spitze der SPD hat weder das Charisma noch das Redetalent von eines Barack Obama (oder Willy Brandt). Aber das hat Angela Merkel ja auch nicht. Warum hat sie alle jüngsten Wahlen gewonnen, wenn auch mit enttäuschenden Ergebnissen?  Warum hat die Union trotz Weber und AKK nicht so krachend verloren wie die SPD?

„Mehr Europa“ sollte die Losung sein

Die Antwort ist ganz einfach: Für konservative Politik reicht ordentliches Verwalten des status quo. Von Sozialdemokraten erwarten die Menschen aber Antworten auf die Frage nach dem Wofür: Was ist ist das Ziel ihrer Politik? Da reicht das Durchsetzen von Mindestlohn nicht aus. Ein kleiner Schritt hier, ein weiterer dort sind nicht genug. Die Menschen wollen wissen, in welche Richtung diese Schritte führen. Von Sozialdemokraten muss man erwarten dürfen, dass sie den Salvinis und Orbans dieses Kontinents nicht nur ganz deutlich erklären, dass Nationalismus keine Antwort ist (auch nicht das Europa souveräner Nationalstaaten, an das viele Konservative glauben), sondern dass die Antwort mehr Europa heißen muss – viel, viel mehr. Am Ende des Weges müssen die Vereinigten Staaten von Europa stehen. 

Wer nicht auf diesen Weg will, der wird zwischen den Interessen der USA und Chinas zerrieben werden. Oder anders formuliert: zwischen entfesseltem Kapitalismus und Diktatur. Schon heute ist das sichtbar: Ob der Linke Alexis Tsipras in Griechenland Präsident bleibt und der konservative Familienclan der Mitsotakis wieder die Regierung übernimmt, ist ziemlich egal: Die Häfen des Landes gehören bereits China. Und keiner der beiden wird den weiteren Ausverkauf des Landes verhindern können, es sei denn mit Hilfe der EU. 

Klimapolitik muss man sich leisten können

Europa muss gemeinsamer werden. Nur so kann es sozialer und gerechter werden. Nur so wird es zum Beispiel die Werte des Grundgesetzes verteidigen können. Sozialdemokraten, die das nicht laut und deutlich sagen, werden weiterhin Wahlen verlieren und nicht wissen, wo die Talsohle ihrer Niederlagen ist.

Die angeblich unpolitischen Jungen der Generation Greta haben ihre Antwort gefunden. Ihr Thema heißt Klimapolitik. Und zwar jetzt. Gut so.  Aber die zweifelsohne extrem große Bedeutung ökologischer Politik zum Hauptthema einer Wahl zu machen, diese Haltung muss man sich erst einmal leisten können.

Ketzerisch formuliert haben Sozialdemokraten vor allem in Nordeuropa schon so viel erreicht, dass die Menschen es sich leisten können, einen Nebenwiderspruch zum Hauptthema zu machen. In Spanien und Portugal sind die ökologischen Probleme nicht kleiner, aber die sozialen noch deutlich größer. Deshalb können in beiden Ländern die Sozialisten noch gewinnen. Bis sie sich auch dort nicht mehr trauen oder nicht mehr dazu fähig sind, zu sagen, welche Gesellschaft sie wollen.

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