Russischer Verteidigungsminister Sergei Schoigu - Ein Apparatschik als Feldherr

Seit dem 11. März ist Russlands Verteidigungsminister Sergei Schoigu nicht mehr öffentlich gesehen worden. Angeblich wegen gesundheitlicher Probleme, aber es gibt Gerüchte, dass er bei Putin in Ungnade gefallen sei. Dabei galt Schoigu als einer seiner treuesten Weggefährten – doch der Ukrainekrieg hat gezeigt, dass er bei Weitem kein brillanter Militär ist.

Der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu hat sich mit Loyalität zu Wladimir Putin hochgearbeitet. Militärisches Geschick hat er keines / Vadim Savitsky
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Nathan Giwerzew ist Journalist in Berlin.

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Wer den russischen Verteidigungsminister Sergei Schoigu einmal auf Videoaufnahmen von Militärparaden gesehen hat, erstarrt zunächst vor seiner eisernen, asiatisch anmutenden Physiognomie. Jedes Jahr am 8. Mai salutiert der Minister während der Parade zum Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über Nazideutschland mit ordensbehängter Brust seinen Soldaten.

Sergei Schoigu wurde 1955 in der autonomen Oblast Tuwa geboren. Allein schon dieses Detail verdient Beachtung. Denn die sowjettreue südsibirische Kleinstrepublik ist erst 1944 in die Sowjetunion einverleibt worden. Ab 1943 kämpften tuwinische Reiter als Kriegsfreiwillige Seite an Seite mit der Roten Armee gegen das nationalsozialistische Deutschland. Sie erwarben sich schnell den Ruf unerschrockener und furchtloser Krieger: In ihrem Ehrenkodex waren Rückzugsmanöver nicht vorgesehen, und sie nahmen keine Gefangenen. 

Treuer Diener Putins

Aber der Schein trügt. Denn im heutigen Russland wird Schoigus Herkunft keinesfalls als etwas wahrgenommen, das kriegerischen Mut und Stärke ausstrahlt. Ganz im Gegenteil: Die Zugehörigkeit zur tuwinischen Minderheit gilt eher als ein Zeichen politischer Harmlosigkeit. Und wer sich die Aufnahmen von der Parade zum 70. Jahrestag des Sieges näher anschaut, wird eine Medaille an seiner Brust entdecken, die in Russland für einigen Spott gesorgt hatte. Sie heißt „Für die Verdienste bei der Durchführung der gesamtrussischen Volkszählung“ und stammt von 2002. Die Medaille ist wie eine glänzende Goldmünze gestaltet, auf der der russische Doppeladler prangt.

Tatsächlich ist der Tuwiner der Dienst­älteste aller Putin-Minister: Seit 1991 saß er verschiedenen hohen Staatsgremien, Komitees und Ministerien vor. Nicht zufällig gilt er als einer von Putins loyalsten Männern in der staatlichen Machtstruktur. Und als solcher hatte er sich gegen alle profiliert, die dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht nach dem Mund redeten.

Anders hatte es unter seinem Amtsvorgänger ausgesehen. Anatoli Serdjukow war von 2007 bis 2012 Verteidigungsminister. Er galt als ein unerbittlicher Reformer, der sich viele Feinde machte. Serdjukow machte die Befehlsketten innerhalb der russischen Streitkräfte effizienter und bekämpfte die in der Rüstungsindustrie grassierende Vetternwirtschaft. 2012 wurde er seines Postens enthoben, weil gegen ihn wegen Korruption ermittelt wurde. 

Bloß nicht anecken

Seit Schoigu dessen Nachfolge angetreten hatte, hat sich der Wind gedreht. Während die Ermittlungen gegen Serdjukow eingestellt wurden, wurde der Militärapparat von dessen Leuten gesäubert. In der offiziellen Presse wurde Schoigu dafür als „Retter der russischen Armee“ gefeiert.

In den Folgejahren war seine Strategie simpel. Er hatte sich nie gegen Eliten oder mächtige Interessengruppen innerhalb des Kreml gestellt. Wie der amerikanische Analyst Kamil Galeev auf Twitter erklärt, wich Schoigu daher den strategischen Problemen der Aufrüstung aus, anstatt sich ihnen zu stellen. Statt beispielsweise die Entscheidung zu treffen, ob die See- oder die Bodenstreitkräfte priorisiert werden sollten, rüstete er einfach beide auf. Der Rest ist Geschichte.

Ein militärischer Tiefflieger

2014 konnte Russland der Ukraine nur die Krim und den Donbass abtrotzen. Und das, obwohl die ukrainische Armee in einem desolaten Zustand war. Die Militäroperation der russischen Streitkräfte in Syrien sicherte Assad ab 2015 seinen Machterhalt, mehr aber auch nicht. Von den Truppen, die Anfang dieses Jahres an der ukrainischen Grenze stationiert waren, schickten Schoigus Generäle für ihre „Spezialoperation“ zunächst nur eine Angriffswelle in den Kampf – mit Proviant für wenige Tage und der vagen Hoffnung, dass sich die Ukrainer aus schierer Angst schon ergeben würden. 

Alles in allem zeigt seine Personalie, dass ein kluger Apparatschik noch lange kein brillanter Militär sein muss. Wer über die „Organisation der öffentlichen Verwaltung bei der Notfallvorhersage zur Verringerung sozioökonomischer Schäden“ promoviert hat, ist ein Verwaltungsfachmann, kein Feldherr. Viele Beobachter fragen sich deshalb, wie sich Schoigu nach dieser Blamage im russischen Militärapparat noch halten will. Denn auch wenn die zahlenmäßig überlegenen russischen Truppen in der Ukraine weiter vorrücken: Mit einer solchen Bilanz sieht es für Schoigu nicht gerade gut aus. 

Es ist also fraglich, ob man ihn wieder gemeinsam mit Putin auf Urlaubsfotos sehen wird. Im Rahmen dieser „Bromance“ wurden beide bereits beim Jagen, Angeln und Sammeln von Pilzen fotografiert – oberkörperfrei in Schoigus tuwinischer Heimat.

 

Dieser Text stammt aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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