Roberta Metsola - Konservativ und ambitioniert

Wegen des unerwarteten Todes ihres Vorgängers wurde Roberta Metsola im Januar überraschend EU-Parlamentspräsidentin – und die Malteserin will noch höher hinaus. Sie war die erste offizielle EU-Vertreterin, die während des Ukraine-Krieges nach Kiew fuhr.

Die Präsidentin des EU-Parlaments Roberta Metsola hat im hohen Haus einen guten Stand / dpa
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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Sie machte den Anfang. Lange bevor es schick wurde, im Sonderzug nach Kiew zu reisen, hielt Roberta Metsola die europäische Fahne in der Ukraine hoch. Anfang April war das, die 43-Jährige war erst vor wenigen Wochen zur Präsidentin des Europaparlaments gewählt worden. Nun fuhr sie als erste offizielle EU-Vertreterin an die Front.

„Ich bin in Kiew, um eine Botschaft der Hoffnung zu überbringen“, erklärte Metsola bei ihrem gewagten Besuch in der damals noch umkämpften Stadt. Seitdem lässt die Ukraine sie nicht mehr los. „Der Kampfgeist, der Mut und die Widerstandskraft der Menschen, das muss man mit eigenen Augen gesehen haben“, schwärmt sie noch heute.

Aus dem Nichts von 0 auf 100

Zurück in Brüssel, trug die konservative Politikerin aus Malta den Krieg ins Parlament. Mithilfe ausgebuffter Berater, die schon dem früheren Parlaments­präsidenten Antonio Tajani gedient haben, positionierte sie sich als Hardlinerin. Mehr Sanktionen, mehr Geld, schneller EU-Beitritt: Alle Forderungen aus Kiew machte sich „Roberta“, wie sie ihre Vertrauten nennen, zu eigen.
Die Abgeordneten folgten mit wehenden Fahnen, einige schwenkten sogar die ukrainische Flagge im Plenarsaal. Metsola wurde von einer antirussischen Stimmung durch ihre ersten Arbeitsmonate getragen. Plötzlich fanden sie nicht nur die Konservativen gut, die sich mit der jungen blonden Frau ein modernes Image geben wollen. Auch Liberale und Sozialdemokraten tragen ihren Kurs mit.

„Der Kiew-Besuch Anfang April war ein Paukenschlag, der sie bekannt gemacht hat“, sagt Jens Geier, der die SPD-Gruppe im Europaparlament leitet. Mit ihrer „freundlichen und zupackenden Art“ habe sich Metsola viel Respekt verschafft. Dabei stieß sie zu Beginn auf erbitterten Widerstand. Selten war der Wachwechsel im Parlament so umstritten wie in ihrem Fall – und so plötzlich. Noch Ende 2021 war er nicht absehbar. 

David Sassoli, ein italienischer Sozialdemokrat, führte damals die Geschäfte. Er wollte nicht wie üblich zur Halbzeit der Legislatur seinen Platz räumen, sondern weitermachen. Doch dann wurde Sassoli schwer krank, am 11. Januar erlag er seinem (bis heute mysteriösen) Leiden. Manfred Weber, der die größte Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) führt, witterte seine Chance.
Geschickt schob der CSU-Politiker seine Favoritin Metsola nach vorn – vorbei an gestandenen Abgeordneten, die sich ebenfalls Chancen ausgerechnet hatten. Zudem sorgte Weber dafür, dass die 64 Mitglieder der rechten, polnisch dominierten EKR-Fraktion für Metsola stimmten, sodass diese bereits im ersten Wahlgang gewählt wurde. Ein machtbewusster Bayer und EU-skeptische Polen – sie haben Metsola den Aufstieg ermöglicht.

Sprungbrett EU-Parlament

„Wir haben nun ein Mitte-­Rechts-Bündnis ohne die Grünen“, klagte Rasmus Andresen, der die deutsche Gruppe der Ökopartei leitet. Doch nicht nur die Grünen waren sauer. Auch für viele Franzosen war Metsolas Wahl ein Affront. Simone Veil werde sich im Grabe umdrehen, hieß es in Paris. Die erste Frau an der Spitze des Europaparlaments hatte 1975 die Abtreibung in Frankreich legalisiert. Metsola hingegen ist eine dezidierte Gegnerin des Schwangerschaftsabbruchs. Das „Nein“ zur Abtreibung sei jedoch ihre persönliche Meinung, betonte die rhetorisch versierte Rednerin. Im Parlament werde sie selbstverständlich die Mehrheitsposition vertreten. Damit war auch diese Hürde genommen. Die Abtreibung ist seit ihrer Wahl kein Thema mehr, lieber wirbt das Parlament für LGBT-Rechte und andere politisch korrekte Themen.

Metsola gibt das Zeit, sich um die wirklich wichtigen Dinge zu kümmern. Ihre Karriere zum Beispiel. Der promovierten Rechtsanwältin, die mit einem finnischen Manager verheiratet ist, werden große Ambitionen nachgesagt. Sie könnte Regierungschefin in ihrer Heimat Malta werden, wo sie engagiert gegen die Korruption kämpft. Oder Spitzenkandidatin der EVP bei der Europawahl 2024, für die sich die Parlamentarier jetzt schon warm laufen.

Näher dran als von der Leyen

Dafür müsste sie sich allerdings gegen Ursula von der Leyen durchsetzen, die Kommissionspräsidentin. Auch von der Leyen ist auf dem EVP-Ticket nach Brüssel gekommen, auch sie möchte noch einmal antreten. Im Europaparlament verfügt die CDU-Politikerin jedoch über weniger Rückhalt als Metsola. „Bei ihr haben wir den Eindruck, endlich wahrgenommen zu werden“, sagen Parlamentsmitarbeiter. 

Im „Staff“ rechnet man es der neuen Chefin hoch an, dass sie den Kontakt sucht und die Arbeit lobt. Sympathien gewinnt Metsola auch bei den Empfängen, die sie in ihrem Haus an der feinen Brüsseler Avenue Lepoutre gibt. Von der Leyen kann da nicht mithalten – sie lebt in einem eigens eingerichteten Apartment im 13. Stock der EU-Kommission und mischt sich kaum unters Volk.

 

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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