Robert Habeck und Donald Trump in Davos - Brüder im Geiste

Weil Robert Habeck beim Weltwirtschaftsforum in Davos spontan die Rede des amerikanischen Präsidenten kommentierte, hagelt es Kritik. Tatsächlich mangelte es dem Grünen Chef nicht an Authentizität. Das hat er mit Donald Trump sogar gemein, macht es aber deshalb nicht besser

„Im Grunde war es ein einziges Desaster“ / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Frank Lübberding ist freier Journalist und Autor.

So erreichen Sie Frank Lübberding:

Anzeige

Fehlende Authentizität konnte man dem letzten deutschen Kaiser nicht nachsagen. In einem legendär gewordenen Interview mit dem Daily Telegraph im Oktober 1908 redete sich Wilhelm II. fast um Kopf und Kragen. Der Höhepunkt war zweifellos seine Anmerkung, er habe mit der Übermittlung eines Schlachtplans in Wirklichkeit den Burenkrieg der Briten gewonnen. Der Kaiser, so fasste es etwa der Historiker Johannes Willms zusammen, hatte sich als „Poseur, Schwindler und Schwadroneur übelster Sorte entlarvt.“

Das Interview wurde zum Skandal, weil es die konstitutionelle Krise des Kaiserreiches deutlich machte. Es gab keine dem Reichstag verantwortliche Regierung, stattdessen das persönliche Regiment des Kaisers. Einem Dilettanten an der Spitze des Staates ausgeliefert zu sein, war ein weit verbreiteter Eindruck. Verfassungsrechtliche Konsequenzen hatte das nicht. Ob der Reichstag damit die letzte Chance verpasst hatte, den Kaiser auf seine repräsentativen Funktionen zu reduzieren, wird sich heute nicht mehr klären lassen.

Authentizität oder Arroganz?

Nun ist Robert Habeck nicht der deutsche Kaiser und er kommt bestimmt nicht auf die Idee, der Queen Schlachtpläne zu übermitteln. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos reagierte der Parteivorsitzende der Grünen unmittelbar auf die Eröffnungsrede des amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Einer ZDF-Reporterin schilderte er mit herzerfrischender Authentizität seine Eindrücke. Es sei ein „Desaster“ und „die schlechteste Rede, die ich je gehört habe.“ Donald Trump adressierte er als „Gegner, der für alle Probleme steht, die wir haben.“ Er konstatierte ihm „Ignoranz“ und „keine Wahrnehmung globaler Probleme.“

Erstmals als Teilnehmer in Davos, war Habeck erkennbar beeindruckt, sich mit den Mächtigen der Welt über die Zukunftsfragen der Menschheit auszutauschen. In den Gesprächen, die die Grünen geführt hätten, sei Nachdenklichkeit zu bemerken gewesen. Minuten später ging das Interview online und die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Die Schlachtordnung war schnell klar: Die einen lobten seine Authentizität, die anderen kritisierten seine unverhohlene Verachtung für den amerikanischen Präsidenten. Für Habeck ist Trump nämlich das, was Willms über den letzten Kaiser formulierte: Ein „Poseur, Schwindler und Schwadroneur übelster Sorte.“

Habeck ist kein Amerikaner

Mit diesem Eindruck steht er nicht allein. In den Vereinigten Staaten versucht die Opposition, den Präsidenten gerade mit einem Impeachment-Verfahren aus dem Amt zu jagen. Im Vergleich zu den im Kongress zu hörenden Anschuldigungen, ist Habeck mit seinen Formulierungen sogar noch als zurückhaltend zu werten. Nur ist die innenpolitische Auseinandersetzung etwas anderes als die außenpolitische Bewertung eines Verbündeten.

Habeck äußerte sich schließlich nicht als Amerikaner, sondern als deutscher Politiker. Er wird seit dem demoskopischen Höhenflug der Grünen als potentieller Kanzlerkandidat gehandelt. Sollte es zum Kanzleramt nicht reichen, gilt er bei einer Regierungsbeteiligung seiner Partei als sicherer Minister. Wer unter dieser Voraussetzung den amerikanischen Präsidenten als Gegner definiert, „der für alle Probleme steht, die wir haben“, macht damit seine außenpolitische Grundorientierung deutlich.

Der nachdenkliche Grünen-Chef

Wenigstens setzt er sich diesem Verdacht aus, weil es Habeck an Authentizität nicht gefehlt haben soll. Trumps solides Image als Schwadroneur gründet in seiner Neigung, jedes Thema möglichst schnell auf Twitter zu kommentieren. Er reagierte spontan auf eine Fernseh-Dokumentation über Kriminalität in Schweden, oder arbeitete sich dann schon einmal an Schauspielerinnen ab. Trump handelt in solchen Situationen wie ein Entertainer, nicht wie der Repräsentant einer Weltmacht. Fehlende Authentizität kann man ihm gerade nicht vorwerfen.

Habeck hat sich dagegen in den vergangenen Monaten das Image eines nachdenklichen Politikers aufzubauen versucht. Nach den desaströsen Erfahrungen mit seinem Social Media Aktivitäten hatte er diese eingestellt, um sich stattdessen auf die Berichterstattung in den klassischen Medien zu verlassen. Dort musste er keine übermäßig kritische Beobachtung fürchten. Viele journalistische Beobachter sehen Habeck so, wie er gerne gesehen werden will: Als moderner Mann, einfühlsam und klug, ohne Eitelkeit und den Menschen zugewandt.

Habeck inszenierte sich damit als Merkel 2.0, die in den langen Amtsjahren möglichst wenig Angriffsfläche bieten wollte. Dieses präsidiale Amtsverständnis funktionierte aber nur ohne Authentizität, weil diese immer die Widersprüche einer öffentlichen Figur deutlich macht. Als authentisch gilt bekanntlich der, der mehr zu bieten hat als den schönen Schein.

Authentizität als Möglichkeit zur Blamage

Daran gibt es bei Donald Trump keinen Mangel. In seiner Davoser Rede hat er es an dem obligatorischen Selbstlob deshalb nicht fehlen lassen. Nur war dort nichts zu finden, was den Rahmen dieser Veranstaltung gesprengt hätte. Trump adressierte zwei Gruppen: Den Wähler in den USA und potentielle Investoren im Rest der Welt. Es war eine klassische Schaufensterrede, wie sie bei solchen Veranstaltungen üblich ist. Wobei sich Trump für die Erwartungen des Davoser Publikums nach salbungsvollen Worten über das Elend der Welt nicht interessierte. Dem setzte er seinen Optimismus über die „großartigen“ Vereinigten Staaten entgegen: Er will schließlich wiedergewählt werden.

Das alles hatte Habeck nicht verstanden, weil er sich nur eine Welt vorstellen kann, die aus seinem Weltbild besteht. Dass ein grüner Parteivorsitzender einen Donald Trump als seinen Gegner adressiert, ist noch nicht einmal das Problem. Das kann niemanden überraschen, jenseits der damit verbundenen außenpolitischen Fragestellungen. Aber wie will Habeck einen Gegner bekämpfen, oder deutsche Interessen vertreten, wenn er ihn noch nicht einmal versteht?

Er werde „auch weiterhin das Risiko des freien Sprechens eingehen“, so formulierte das Habeck nach dem Löschen seiner Social Media Accounts. An Risikobereitschaft fehlt es ihm nicht, so muss man nach seinem 138-Sekunden-Interview feststellen. Insofern sollte man Authentizität vielleicht als Möglichkeit zur Blamage verstehen. Das war zwar auch schon beim letzten deutschen Kaiser so, geht heutzutage aber in Echtzeit.

Anzeige