Rex Tillerson - Der Geoökonom

US-Außenminister Rex Tillerson ist entlassen. Schon länger soll es zwischen ihm und US-Präsident Donald Trump gekriselt haben. Wofür der ehemalige Chef des Ölkonzerns Exxon Mobil stand, lesen Sie im Cicero-Plus-Porträt

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Unter Rex Tillerson Ägide verfolgte Exxon deutlich andere Interessen als die Vereinigten Staaten/ picture alliance
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Autoreninfo

Jennifer M. Harris ist Senior Fellow am Council on Foreign Relations in New York. Zuvor gehörte sie dem Planungsstab im US-Außenministerium an.

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Nachdem er es wochenlang spannend gemacht hatte, gab der designierte US-Präsident Donald Trump Mitte Dezember endlich bekannt, wer sein Außenminister werden würde: Er berief Exxon-Mobil-Chef Rex Tillerson und lobte kurz darauf auf Twitter, sein Kandidat habe „große Verhandlungserfahrung mit allen möglichen ausländischen Regierungen“.

Tillerson ist mit Sicherheit ein gewiefter Verhandler. Unter seiner Führung hat der Exxon-Konzern, der auf sechs Kontinenten tätig ist und einen Börsenwert von mehr als 390 Milliarden Dollar verzeichnet, mehr als 100 Fusionen und Firmenkäufe getätigt. In seinem Verhandlungsstil scheint der künftige Außenminister, wie auch der nächste Oberbefehlshaber, ein Faible fürs Dramatische zu haben. Einer von der New York Times kolportierten recht anschaulichen Anekdote zufolge war Tillerson, als er im Jemen über eine Gasexportanlage verhandelte, dermaßen angefressen von der sturen Haltung der Regierung, dass er „einen Tobsuchtsanfall bekam, ein gut zehn Zentimeter dickes Buch quer durch den Raum schleuderte und hinausstürmte“.

Wirtschaft als Instrument der Staatsführung

Von Tillersons Temperament einmal abgesehen zeichnet das künftige Gesicht der US-Außenpolitik die klare Überzeugung aus, dass wirtschaftliche Anreize rund um den Erdball Regierungsentscheidungen beeinflussen. Im besten Falle könnte Tillerson daher die Rückkehr der US-Politik zu einer, wie ich es nenne, Geoökonomie vollziehen – also die Wirtschaft als Instrument der Staatsführung nutzen –, nachdem sich Washington 15 Jahre lang allzu sehr auf seine militärische Macht verlassen hat. Doch die Geoökonomie ist letztlich nur eine Art Werkzeugkasten. Die Frage lautet daher, welche Ziele der neue Außenminister – und sein Präsident – verfolgen werden. Aus Tillersons Vorgeschichte bei Exxon lassen sich – durchaus nicht nur vielversprechende – Hinweise ableiten.

Tillerson war zeitlebens bei Exxon beschäftigt und führt das größte Ölunternehmen der USA seit 2006. Unter seiner Ägide verfolgte Exxon deutlich andere Interessen als die Vereinigten Staaten. Im Jahr 2013 beispielsweise schloss Tillerson einen Öldeal mit der Regierung der Autonomen Region Kurdistan ab und missachtete damit die „Ein-Irak-Politik“ des US-Außenministeriums, das das Land unter einer starken Zentralregierung in Bagdad einigen wollte. Im Jahr 2008 drängte Exxon nach einem jahrelangen Kuschelkurs mit dem damaligen libyschen Diktator Muammar al Gaddafi gemeinsam mit einer Vielzahl weiterer Ölkonzerne den Kongress, Libyen aus einem Gesetz auszunehmen, nach dem Familien US-amerikanischer Opfer ausländische Terrorgeldgeber gerichtlich belangen durften. Unter Tillerson machte Exxon außerdem lukrative Geschäfte mit Diktatoren afrikanischer Staaten mit Erdölvorkommen und verlängerte damit die Lebensspanne autokratischer Regimes etwa in Angola, Tschad, der Demokratischen Republik Kongo und Äquatorialguinea. 

Wohl der USA nicht oberste Priorität

In den Vereinigten Staaten betreiben Ölkonzerne natürlich schon sehr lange ihre eigene Außenpolitik, häufig gegen die Interessen der USA. Wie der Historiker Adam Hochschild darlegte, verstieß Texaco im Spanischen Bürgerkrieg gegen US-Neutralitätsabkommen, als der Konzern die nationalistische Seite mit Treibstoff versorgte, weil der damalige Texaco-Chef Torkild Rieber ein großer Bewunderer des spanischen Nationalistenführers Francisco Franco und seines Verbündeten Adolf Hitler war.

Rieber gehört der Vergangenheit an. Doch Ölkonzerne sehen sich zunehmend genötigt, ihre eigene Außenpolitik zu betreiben, weil seit einigen Jahren weltweit immer mehr Energieressourcen unter staatliche Kontrolle gelangen. Ungeachtet der vorübergehenden Privatisierungsbemühungen in den neunziger Jahren befinden sich heute die weltweit größten Öl- und Gasunternehmen und drei Viertel der bekannten Erdölreserven nicht im Besitz privater Aktionäre, sondern in staatlichen Händen. Internationale Privatunternehmen wie Exxon produzieren weltweit lediglich 10 Prozent des Öls und besitzen gerade einmal 3 Prozent der Reserven. Konzernchefs wie Tillerson müssen daher Diplomat spielen und die Beziehungen zu Regierungen pflegen, die an einem Tag Geschäftspartner sind und am nächsten größere und besser finanzierte Konkurrenten. Sind diese Regierungen wie im Falle Russlands keine Verbündeten der Vereinigten Staaten, so ist das, was Exxon nützt, nicht unbedingt gut für Washington. Wie der frühere Exxon-Chef Lee Raymond einmal einräumte, trifft der Konzern seine Entscheidungen nicht danach, ob sie „dem Wohl der USA“ dienen. 

Geschäftsbeziehungen wichtiger als internationale Allianzen

Das Kernproblem liegt jedoch nicht in dieser konträren Interessenlage, sondern vielmehr darin, dass Gegner der USA Exxon und andere westliche Ölkonzerne als mögliche Kanäle betrachten, über die sie ihren Einfluss in Washing­ton geltend machen können. Sehen wir uns nur Russlands Eindringen in die Ukraine an: Dem Journalisten Peter Pomerantsev zufolge setzte der russische Präsident Wladimir Putin darauf, dass „alte Allianzen wie die EU und die Nato im 21. Jahrhundert weniger zählen als die neuen Geschäftsbeziehungen [Russlands] zu nominell ‚westlichen‘ Unternehmen wie BP, Exxon, Mercedes und BASF“. Putin vertraute darauf, dass er Exxon auf seiner Seite hatte und Sanktionen des Westens auf erbitterten Widerstand aus dem Energiesektor stoßen würden.

Damit lag er durchaus richtig. Exxon hat Milliarden von Dollar in Geschäfte gesteckt, die der Konzern nur verfolgen kann, wenn die US-Sanktionen gegen Russland aufgehoben werden. Im Jahr 2014 investierte der Konzern Millionen für seine Lobbyarbeit in Washington, auf deren Liste die Sanktionen gegen Russland ganz oben standen. Ohne Russlands Verwicklung in den Absturz einer Malaysian-Airlines-Maschine im Juli 2014, die von russisch unterstützten Milizen aus der Ostukraine abgeschossen wurde, hätten Washington und Brüssel die Sanktionen womöglich nicht, wie dann geschehen, verschärft.

Sicherheit ist alles

Ob Tillerson seine Ziele als Konzerndiplomat gegen die nationalen Interessen der Vereinigten Staaten eintauschen wird, ist unklar. Zu seiner mangelnden Erfahrung in der Regierungsarbeit und der Außenpolitik kommt, dass er seine gesamte Laufbahn bei Exxon verbracht hat. Tillersons Erfolg gründet darauf, dass er mit der Unternehmenskultur bei Exxon so gut zurechtkam. Das muss seine Sicht der Welt und der diversen Interessen, die er verfolgen wird, unweigerlich beeinflussen.

Die Exxon-Unternehmenskultur ist berühmt-berüchtigt für ihre Scheuklappen und Geheimniskrämerei. Der Konzern legt bekanntermaßen viel Wert auf Sicherheit: Führungskräfte werden mit geheimdienstähnlichen Sicherheitsmaßnahmen beschützt, und in der Jahressicherheitsstatistik taucht sogar auf, wenn sich Angestellte am Papier schneiden, so der investigative Journalist Steve Coll in seinem Buch „Private Empire“. Am wichtigsten ist dem Unternehmen aber wohl die Ordnung. Angesichts der langen Investitionszeiträume und der riesigen Kapitalmengen in den Ölgeschäften geht für Exxon politische Stabilität über alles. In vielen Teilen der Welt wird Stabilität jedoch durch autokratische Herrschaft hergestellt, die mit Menschenrechten und Demokratie nicht viel am Hut hat. Wer sich Kontinuität erhofft, übt sich womöglich im Wunschdenken und hält auch dann noch an alteingesessenen Regimes fest, wenn es schon lange nicht mehr vernünftig ist.

Tillerson immer noch mit Exxon verbunden

Ein Beispiel: Nachdem Exxon in den neunziger Jahren umfangreiche Investitionen in Venezuela getätigt hatte, engagierte sich der Konzern weiter in dem Land, obwohl sich die Hinweise auf eine Wirtschaftskrise und politische Unruhen häuften. Am Ende enteignete die venezolanische Regierung unter dem damaligen Präsidenten Hugo Chávez die Firma, und nach sieben Jahren des Prozessierens musste sich Tillerson mit einem Zehntel der eingeklagten Entschädigungssumme zufriedengeben.

Selbst wenn es Tillerson gelingen sollte, seine übermäßige Vorsicht abzulegen, muss er immer noch seine wirtschaftlichen Interessen überwinden, die mit denen des Exxon-Konzerns untrennbar verwoben sind. Ein Großteil von Tillersons Unternehmensanteilen im Wert von 150 Millionen Dollar sind Aktienoptionen, die erst nach Jahren fällig werden, sodass er sie nicht so leicht abstoßen oder alles in einen Blind Trust stecken kann. Es wird ihm daher schwerfallen, Exxon nicht stets im Hinterkopf zu haben (der Konzern ist immerhin in 50 Ländern aktiv), wenn er im Namen der Vereinigten Staaten Verhandlungen führt. 

Aversion gegen Sanktionen

Man darf hoffen, dass für Tillerson die US-Interessen vorgehen, aber verlassen sollte man sich nicht darauf. In den Anhörungen zur Bestätigung der Minister sollte der Senat die Bereiche ins Visier nehmen, in denen die Interessen Exxons und der Vereinigten Staaten divergieren. Russland steht auf dieser Liste natürlich ganz oben, ebenso der Irak und Syrien, wo die US-Regierung seit zehn Jahren den Eindruck zu verhindern versucht, dass es ihr dort um Rohstoffe geht.

Ein weiterer Konflikt könnte aus Tillersons selbst erklärter Abneigung gegen Sanktionen erwachsen. Im Jahr 2014 sagte er vor Exxon-Aktionären, „wir unterstützen generell keine Sanktionen, weil wir sie nicht für wirkungsvoll halten, es sei denn, sie sind sehr umfangreich, und das ist nur schwer zu bewerkstelligen“. Doch Sanktionen haben sich im modernen diplomatischen Arsenal Washingtons als ein wichtiges Instrument erwiesen, das den Vereinigten Staaten im Falle des Iran einen weiteren militärischen Vorstoß im Nahen Osten erspart hat. Sollte es Donald Trump ernst damit sein, US-Interventionen zu vermeiden, könnte eine Aversion gegen Sanktionen die politischen Entscheidungsträger besonders angesichts der wachsenden Spannungen auf der Koreanischen Halbinsel und im Süd- und Ostchinesischen Meer eines wichtigen Werkzeugs berauben.

Herausforderung Klimawandel

Die letzte Frage lautet, ob einem Ölmanager in Sachen Klimawandel zu trauen ist. Tatsächlich könnte Tillerson, der die Bedrohung durch die globale Erwärmung als „real“ und „gravierend“ bezeichnet, in diesem Punkt besser bewandert sein als sein künftiger Chef – unter Tillerson hat Exxon die CO2-Steuer (allerdings ersatzweise für staatliche Regulierung) ebenso unterstützt wie das Klimaabkommen von Paris. Man sollte die Verdienste des Konzerns aber auch nicht überbewerten: Gegen Exxon wird derzeit ermittelt, weil die Firma Beweise für eine Verbindung zwischen dem Verbrennen fossiler Kraftstoffe und der globalen Erwärmung unter Verschluss gehalten hat. Unterdessen bezeichnen immer mehr Vertreter des US-Militärs und der Geheimdienste den Klimawandel als eine der ernsthaftesten Bedrohungen für die nationale Sicherheit der USA. Schon eine ambivalente Haltung zu diesem Thema wäre daher mit dem nationalen Interesse kaum vereinbar.

Als Konzernchef erklärte Tillerson 2014, dass „wir [bei Exxon] in geopolitischen Ereignissen nicht Partei ergreifen“. Doch als Chefdiplomat des mächtigsten Landes der Welt wird er sich eine neue Perspektive aneignen müssen. Es bleibt abzuwarten, ob er das kann.

Aus dem Amerikanischen von Anne Emmert.

 

Dieser Text stammt aus der Februarausgabe des Cicero, die Sie in unserem Online-Shop erhalten.

 

 

 

 

 

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