Regierungskrise in Polen - Machtspiel oder mehr?

In der polnischen Rechtskoalition kriselt es schon länger. Jetzt drohte sie fast zu platzen. Auslöser war ein neues Tierschutzgesetz. Dahinter steht aber ein schon länger schwelender Streit. Und ein noch viel bedeutsameres Gesetz.

Polens Justizminister und Vorsitzender der konservativen Partei Solidarna Polska Zbigniew Ziobro / dpa
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Autoreninfo

Florian Bayer studierte Journalismus, Globalgeschichte und Philosophie an den Universitäten Wien, Krakau und Antwerpen. Zu seinen Schwerpunkten zählen Europapolitik, Menschenrechte und Zivilgesellschaft – insbesondere in Mittel- und Osteuropa.

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„Mischt euch nicht in unsere Arbeit ein“, stand auf den Schildern, mit denen vergangene Woche mehr als 100 Bauern in Warschau ihrem Ärger Luft machten. Sie sind wütend wegen eines neuen Tierschutzgesetzes, das die regierende „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) am Freitag beschlossen hat. Verboten werden soll insbesondere die Pelzproduktion, ein enormer Wirtschaftsfaktor. Polens rund 1.200 Pelzfabriken produzieren rund 14 Prozent der weltweiten Pelze – nur China und Dänemark züchten noch mehr Nerze.

Auch rituelles Schlachten, etwa für den Export von koscherem Fleisch, soll verboten werden. Bislang scheiterte die PiS an einer Mehrheit im Parlament, denn der Koalitionspartner Solidarna Polska („solidarisches Polen“) sträubte sich bislang aus wirtschaftlichen Gründen dagegen. Nachdem in den letzten Wochen Undercover-Videos aus Polens größter Pelzfabrik veröffentlicht worden waren, kam eine neue Diskussion auf – und mit den Stimmen der Opposition erstmals eine parlamentarische Mehrheit zustande. Allerdings um den Preis einer Regierungskrise. 

Kein neuer Streit 

Zwischen der mächtigen PiS und ihrem viel kleineren Koalitionspartner herrschen schon länger Unstimmigkeiten. Solidarna Polska entstand 2011 als Abspaltung aus der PiS, nachdem Zbigniew Ziobro – damals EU-Parlamentarier, jetzt Justizminister – die Partei für ihre Wahlniederlage kritisierte. 2014 kam es zur Versöhnung, beide Parteien kandidierten fortan auf gemeinsamer Liste. Seit dem Wahlsieg der PiS in den Parlamentswahlen 2015 ist Ziobro Justizminister, im Jahr darauf wurde er gleichzeitig auch zum Generalstaatsanwalt, eine politisch höchst umstrittene Besetzung. Seitdem eckte er immer wieder bei der regierenden PiS an und stellte sich gegen die Regierungslinie.

Ausschlaggebend für den jetzigen Koalitionskrach ist aber nicht nur der Tierschutz, sondern ein demokratiepolitisch weitaus heikleres Gesetz, das verfassungswidrige Beschlüsse nachträglich für rechtmäßig erklären soll. Ein neuer Gesetzesentwurf soll nun alle illegalen Beschlüsse zur Eindämmung des Coronavirus rückwirkend für gesetzmäßig erklären. Auch bei der Abstimmung über dieses Gesetz ging Solidarna Polska nicht mit, was den Streit mit der PiS und die jetzige Regierungskrise zur Folge hat.

Ein Loyalitätstest

„Die Abstimmung im Sejm war ein Loyalitätstest für Ziobro“, sagt Politikwissenschaftlerin Renata Mienkowska von der Universität Warschau. „Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass Ziobro einknickt, sich entschuldigt und die Koalitionsregierung sich wieder zusammenrauft. Er braucht die PiS mehr als umgekehrt“, sagt Mienkowska.

Neuwahlen, wie sie seitens der PiS in den Raum gestellt wurden, hält die Politologin für unwahrscheinlich. Viel eher komme es zu einer Minderheitsregierung, denn die mit fast 44 Prozent ausgestattete PiS könne auch mit wechselnden Bündnispartnern bequem weiterregieren. Für einen Weiterbestand der jetzigen Koalition spricht wiederum, dass sich Ziobro gerade in einer Pressekonferenz reuig gezeigt hat und sich für einen neuen Dialog ausspricht. Nun liegt das Überleben der Regierungskoalition am PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński, der zwar kein Regierungsamt innehat, ohne den in Polen aber nach wie vor politisch nichts geht. 

Es geht auch um die Parteiführung 

Überschattet wird der Regierungsstreit auch von der Frage, wer nach dem 71-jährigen Kaczyński die Führung der Partei übernehmen wird. Jarosław Kaczyński, Bruder des 2010 verunglückten Parteigründers Lech Kaczyński, dirigiert die Geschicke Polens und seiner Partei seit Jahren aus dem Hintergrund. Formell bloß Abgeordneter im polnischen Sejm und damit ohne Regierungsverantwortung, ist er seit dem doppelten Sieg der PiS bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2015 der mächtigste Mann im Staat. Dem Vernehmen nach könnte er noch im Lauf der aktuellen, bis 2023 dauernden Legislaturperiode, die Parteiführung abgeben.  

Bereits im Sommer hat die PiS-Führung eine Regierungsumbildung für Herbst angekündigt, im Zuge derer sich mögliche Nachfolger Kaczyńskis in Stellung bringen könnten. Ende August wurden bereits Außen- und Gesundheitsminister ausgewechselt, wahrscheinlich kommt es in den nächsten Wochen zu weiteren personellen Rochaden.

Beobachtern zufolge will sich der 50-jährige Ziobro für Kaczyńskis Nachfolge in Position bringen. Durchtriebener Taktiker wie auch Kaczyński, hatte sich Ziobro in seinen Jahren als Justizminister bewusst als Hardliner innerhalb des rechten Regierungsbündnisses inszeniert. Er beschloss den Ausstieg Polens aus der Istanbul-Konvention zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen ebenso wie das 2018 erlassene Gesetz, das die „Herabwürdigung der polnischen Nation“ unter Strafe stellt. Auch wirkt er federführend an der polnischen Justizreform mit, mit der sich die Regierung die Kontrolle über die Höchstgerichte holt und politisch nicht genehme Richter sanktionieren kann. Wegen der noch immer andauernden Reform initiierte die EU ein Artikel-7-Rechtsstaatlichkeitsfahren gegen Polen.

Wie gefährlich ist Ziobro?

Entscheidend ist nun, ob Justizminister Ziobro auch weiterhin in der Gunst Kaczyńskis steht. Seine zusätzliche Funktion als Generalstaatsanwalt verleiht ihm enorme Macht, denn er kann eigenmächtig Strafverfahren gegen politische Gegner einleiten, etwa auch gegen Kaczynski, dem unter anderem Korruption bei der Vergabe von Staatsaufträgen nachgesagt wird.

Nicht zuletzt deshalb ist das geplante Gesetz zur nachträglichen Legitimierung früherer Beschlüsse, dem Ziobros Partei jetzt die Zustimmung verwehrte, politisch so brisant. Ziobro weiß viel über seine politischen Freunde wie auch Feinde und wird jedenfalls auch weiterhin eine gewichtige Rolle spielen. Für die PiS-Spitze stellt sich daher vor allem die Frage, ob er der Partei innerhalb oder außerhalb der eigenen Reihen gefährlicher wird. Davon hängt auch das Überleben der Regierungskoalition ab.

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