Raketenagriff in Syrien - Gegen Russland wird es keinen Frieden geben

Der gemeinsame Angriff der US-Alliierten in Syrien galt weniger der Ächtung von Chemiewaffen als vielmehr den geopolitischen Zielen der USA. Statt den Ost-West-Konflikt weiter eskalieren zu lassen, sollte der Westen endlich wieder maßvoll mit Russland umgehen

Tomahawk-Raketen auf Syrien: „eine rechtlose, ehrlose und ruchlose Operation“, schreibt Frank Elbe / picture alliance
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Frank Elbe war deutscher Botschafter in Polen und Indien sowie Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt. Als Rechtsanwalt betreut er heute Mandanten aus allen Teilen der Welt, auch aus Russland.

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Seit der Kubakrise sind die USA und Russland nie wieder so nah an den Rand einer unmittelbaren militärischen Konfrontation gerückt wie bei den Angriffen der Amerikaner, Briten und Franzosen auf Syrien. So sehr man auch den Strafcharakter für einen mutmaßlichen Einsatz von chemischen Waffen der syrischen Luftwaffe gegen Zivilisten in den Vordergrund stellen mag, so wenig bleibt davon übrig, wenn man nur etwas an der dünnen Tünche dieser Rechtfertigung kratzt. Es war eine rechtlose, ehrlose und ruchlose Operation.

Um nicht missverstanden zu werden: Jeder Einsatz von chemischen Waffen ist ein scheußliches Verbrechen, das die vorbehaltlose Verurteilung der Völkergemeinschaft verdient. Allerdings liefert ein Luftangriff weder Erkenntnisse über mögliche Täter noch stärkt er das Recht. Die unter den permanenten Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates eingerissene Missachtung des Gewaltmonopols der Vereinten Nationen berechtigt nicht, das Recht selbst in die Hand zu nehmen. Bundeskanzlerin Angela Merkel verdient Respekt, dass sie eine Beteiligung Deutschlands an den militärischen Schlägen gegen Syrien abgelehnt hat.

Die Interessen der USA

Nun wäre es völlig falsch, den Angriff auf Syrien nur als notwendige Stärkung des Abkommens zur Ächtung chemischer Waffen abhaken zu wollen. Er bildet bereits einen militärischen Testlauf im Konflikt der westlichen Staatengemeinschaft mit Russland ab, wie sich unschwer an den Twitter-Texten des amerikanischen Präsidenten ablesen lässt. Wir befinden uns noch nicht in der Vorphase einer militärischen Auseinandersetzung, aber wir marschieren in Riesenschritten in den Kalten Krieg zurück. Die Politik bietet dieser Entwicklung keinen Einhalt, sondert steuert wie Lemminge auf den Abgrund zu. 

Ein fundamentaler Streit beherrscht den Westen. Wollen wir weiter an einer europäischen Friedensordnung – unter Einschluss Russlands – und für einen Kooperationsraum von Vancouver bis Wladiwostok arbeiten? So, wie es jahrzehntelang unsere Absicht war. Oder passen wir uns den geopolitischen Zielen der USA an, als einzige Supermacht gelten zu wollen und Russland auszugrenzen? 

Die alte Ordnung soll nach Auffassung eines Teils der westlichen Politik seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim nun als beendet gelten. Hierin spiegelt sich die traditionelle Abneigung jener wider, die nie wirklich gemeinsam mit Russland im europäischen Haus unter einem Dach wohnen wollen. Wer aber glaubt, sich gemütlich auf dem Schoß der USA einrichten zu können, sollte bedenken, dass deren geopolitische Ambitionen eine „Eindämmung“ sowohl von Russland als auch von Deutschland, vor allem aber deren potenzielles Zusammengehen im Auge haben. 

Früher Besonnenheit, heute Ruppigkeit

Das Argument, mit dem landläufig das Ende der Entspannungspolitik gegenüber Russland begründet wird, lautet: Russland hat sich verändert, Putin bedroht uns! Selbst wenn das so wäre, darf man daran erinnern, wie Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Genscher und Helmut Kohl die wirklich einzig bedeutsame Bedrohung in den 1970er und 1980er Jahren – die Stationierung der sowjetischen Mittelstreckenraketen vom Typ SS 20 – abgewettert haben. Schmidt schlug zur Abwehr der Bedrohung vor, die Strategie des Harmel-Berichtes, also den Mix von „ausreichender militärischer Sicherheit“ und einer „Politik der Zusammenarbeit“, konsequent anzuwenden: Wir nehmen Verhandlungen mit der Sowjetunion über den Abbau ihrer Raketen auf; sollten die Verhandlungen scheitern, würde der Westen seinerseits Mittelstreckenwaffen dislozieren. Dies führte nicht nur zur Vernichtung einer gesamten Waffenkategorie, sondern leitete schließlich auch das Ende des Kalten Krieges ein.

Bei aller Entschiedenheit, eigene Sicherheitsinteressen nachdrücklich durchzusetzen, ging der Westen mit der damaligen Sowjetunion besonnen und taktvoll um. Es mag damit zusammenhängen, dass die Risiken einer militärischen Konfrontation, vor allem die Auswirkungen eines nuklearen Schlagabtausches, höher eingeschätzt wurden. Heute sind vulgäre Ruppigkeit von Politik und Medien eher Standard im Umgang mit Russland. Beide sollten beachten, dass sie ein Publikum bedienen, dessen Erwartungen sie schon längst nicht mehr respektieren: 80 Prozent der Deutschen wünschen eine Verbesserung der Beziehungen zu Russland. 

Eine Neuausrichtung der Politik ist gefragt

Wir können auf eine Zusammenarbeit mit Russland nicht verzichten. Es wird im nuklearen Zeitalter keine Sicherheit gegen Russland geben. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern für den Westen insgesamt. Wir werden aber mit Russland keinen Schritt weiterkommen, wenn wir nicht klären, welche Art von Beziehungen uns eigentlich vorschweben. Der gegenwärtigen Diskussion fehlt intellektuelle Spannkraft. Sie verzettelt sich bei den Liberalen in einer Lagerbildung zu Einzelaspekten wie etwa den Sanktionen. Bei der SPD wiederum beschäftigt sich Außenminister Heiko Maas damit, all das umzukehren, was sein Vorgänger gemacht hat. 

Wir brauchen die gründliche Planung einer Politik, die Europa wieder zusammenführt. Es gilt vor allem, die sicherheitspolitischen Parameter zu respektieren, unter denen internationale Beziehungen im nuklearen Zeitalter zu gestalten sind. Hier sollte man die Mahnung des konservativen Historikers Michael Stürmer sehr ernst nehmen: Die Existenz nuklearer Waffen verpflichtet zu Mäßigung und Souveränitätsverzicht. Wer dies nicht beachtet, handelt bei Strafe des Untergangs. Wir waren schon einmal sehr viel weiter.

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