Prozessauftakt um Tod von George Floyd - Das lange Warten auf ein Urteil

Nach fast einem Jahr hat das Gericht in Minneapolis die Jury-Auswahl im Prozess gegen Derek Chauvin aufgenommen. Der ehemalige Polizist ist angeklagt, für den Tod von George Floyd verantwortlich zu sein. Bis zur eigentlichen Verhandlung kann es aber noch Wochen dauern.

Nach fast einem Jahr beginnt der Prozess um den Tod von George Floyd in Minneapolis. / dpa
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Autoreninfo

Daniel C. Schmidt ist freier Reporter. Er studierte in Manchester und London (BA Politics & Economics, MSc Asian Politics) und lebt zur Zeit in Washington, D.C.. Schmidt schreibt über Pop, Kultur und Politik.

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Der Tod, der im vergangenen Jahr eine weltweite Protestwelle auslöste und die USA nachhaltig veränderte, steht seit Anfang dieser Woche wieder im Fokus der amerikanischen Öffentlichkeit. 

Am 25. Mai 2020 kniete der ehemalige Polizist Derek Chauvin minutenlang auf dem Nacken von George Floyd. Der flehte wieder und wieder, „I can’t breathe“ – ich bekomme keine Luft, ich kann nicht atmen. 

Die letzten Minuten seines Lebens wurden auf Videos von Passanten aufgezeichnet und gingen um die Welt. Floyds Tod verursachte eine globale Debatte über Polizeigewalt und Rassismus, die in den Vereinigten Staaten bis heute andauert. Jetzt hat in Minneapolis, wo der damals 46 Jahre alte Afroamerikaner nach seiner gewaltsamen Festnahme verstarb, am Montag der Prozess gegen Derek Chauvin begonnen. 

Chauvin plädiert auf „nicht schuldig“

Dem ehemaligen Polizeibeamten wird Mord zweiten Grades ohne Vorsatz („second-degree unintentional murder“) vorgeworfen sowie Totschlag zweiten Grades („second-degree manslaughter“). Zum Auftakt wurden am Montag im Gericht die Anträge zum Ablauf des Verfahrens durchgegangen. Die Auswahl der zwölf Geschworenen und vier Ersatzkandidaten hatte Richter Peter Cahill auf Dienstag verschoben. 

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Chauvin plädiert in beiden Punkten auf „nicht schuldig“. Ein Antrag aus dem August 2020, die Anklage gänzlich abzuweisen, verrät ein wenig über seine mögliche Verteidigungsstrategie bei der Verhandlung: In dem Schreiben argumentiert Chauvins Anwalt Eric Nelson, dass sein Mandant, der seit 2001 beim Minneapolis Police Department arbeitete und nach Floyds Tod entlassen wurde, „zu keinem Zeitpunkt“ beabsichtigt habe, Floyd bei seiner Festnahme „körperlichen Schaden zuzuführen“, und dass sein Handeln innerhalb der polizeilichen Richtlinien gelegen habe. Floyds Tod, so das Schreiben, sei das wahrscheinliche Resultat einer Opium-Überdosis und anderer gesundheitlicher Vorbelastungen. 

Jury-Mitglieder werden ausgewählt

Für die erste Verzögerung in dem Prozess kam es gleich am Montag. Ein dritter Anklagepunkt, Mord dritten Grades („third-degree murder“), war im Oktober abgewiesen worden. Ein Berufungsgericht hatte vergangene Woche geurteilt, dass Richter Cahill die Anklage womöglich doch zulassen sollte. Am Dienstag warteten die Beteiligten weiterhin eine schlussendliche Entscheidung vom Berufungsgericht oder dem Minnesota Supreme Court ab und fuhren stattdessen mit dem Jury-Auswahlverfahren fort. 

Im Dezember erhielten mögliche Jury-Mitglieder einen 16 Seiten langen Fragebogen, in dem sie gebeten wurden, sich unter anderem zu „Black Lives Matter“ und Polizeigewalt zu äußern. Aufgrund der wochenlangen medialen Begleitung des Falls ist nicht davon auszugehen, dass potenzielle Jury-Mitglieder nichts über die Tat wissen. Beim Auswahlprozess geht es jedoch nicht darum, ignorante Bürger auszusuchen, sondern solche zu finden, die sich offen gegenüber Beweisen und geltendem Recht zeigen. Falls Zweifel an der Unbefangenheit aufkommen, können Anklage und Verteidigung beantragen, die jeweilige Person auszuschließen. 

Am Ende müssen insgesamt 14 ausgewählt werden, 12 Jury-Mitglieder und zwei Ersatzmänner oder- Frauen. Bis Dienstagnachmittag waren drei von ihnen gefunden: zwei weiße Männer und eine „woman of color“. Details, wie die Namen oder Herkunft, sind anonym. Für das Auswahlverfahren sind zu drei Wochen anberaumt, bis Ende März das Hauptverfahren beginnen soll. 

Wo sich alles abspielen wird

In dem holzvertäfelten Gerichtssaal im Hennepin County Government Center sitzt Chauvin seit Montag neben seinem Anwalt, getrennt nur durch Plexiglas. Die Scheiben sind an den einzelnen Tischen und Bänken angebracht, im Raum herrscht Maskenpflicht. Aufgrund der Enge im Saal sind während der Pandemie Thomas Lane, J. Alexander Kueng und Tou Thao, die Polizeibeamten, die bei der Festnahme von Floyd ebenfalls vor Ort waren, nicht anwesend. Der Prozess gegen die drei ist für diesen Sommer terminiert. Ihre Aussagen über den Hergang und ihr Verhalten am Tatort wird jedoch nicht unerheblich sein für den Verlauf von Chauvins Prozess. 

Draußen ist das Gerichtsgebäude großräumig seit Tagen mit Zäunen und Stacheldraht abgesichert. Sollte es zu Ausschreitungen kommen, stünden laut Minneapolis’ Bürgermeister Jacob Frey knapp 2000 Nationalgardisten sowie rund 1100 Beamte zur Verfügung. 

„Gewalt ist keine Antwort“

George Floyds jüngste Schwester äußerte sich am Montagabend nach dem ersten Prozesstag in Minneapolis. „Ich möchte mich bei allen bedanken, die sich an mich und unsere Familie gewandt haben. Es bedeutet uns unglaublich viel, zu wissen, dass Georges Schicksal derart viele Menschen berührt hat“, sagte Bridgett Floyd, die auch im Saal saß und vorm Gerichtsgebäude ein Statement vorlas. Gern hätte sie Chauvin erklärt, fuhr sie fort, wie liebenswürdig ihr Bruder gewesen sei. „Wir müssen im Umgang miteinander wieder gütiger und freundlicher werden“, sagte sie. „Gewalt ist keine Antwort.“

Der Prozess und das Jury-Auswahlverfahren werden am Mittwochmorgen um 9 Uhr Ortszeit fortgesetzt. 

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