Corona-Proteste in Italien - Ohne 3G keine Arbeit

In Italien treten von heute an Corona-Maßnahmen in Kraft, die weltweit zu den rigidesten gehören. Wer keinen „Grünen Pass“ vorweisen kann, darf nicht arbeiten. Von der Regel sind 23 Millionen Beschäftigte betroffen. Seit Tagen schon kommt es zu Protesten. Die Regierung befürchtet weitere Ausschreitungen.

Demonstration protestieren in Rom gegen die Einführung des Grünen Passes / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Julia Tappeiner, geboren 1993 in Südtirol, ist freie Journalistin. Sie hat in Deutschland und Estland Politikwissenschaft studiert und schreibt über Politik und Gesellschaft, insbesondere in Italien, Deutschland und dem russischsprachigen Osten.

So erreichen Sie Julia Tappeiner:

Anzeige

Von den Titelseiten italienischer Medien blickt am heutigen Freitag ein angespannter Mario Draghi. Für den italienischen Premierminister könnte dieser Tag zu den schwersten in seiner knapp einjährigen Amtsperiode werden – denn von heute an treten in Italien Corona-Maßnahmen in Kraft, die es in solch strenger Ausformung nirgends in Europa gibt, und die auch weltweit zu den rigidesten gehören. Landesweite Proteste sind seit voriger Woche im Gange. Und wichtige Städte befinden sich mitten im Wahlkampf.

Die Impfquote fest im Blick

Das Maßnahmenpaket, das die Regierung Draghi heute eingeführt hat, verpflichtet alle Beschäftigten, am Arbeitsplatz einen „Grünen Pass“ vorzuweisen – das italienische Äquivalent zu 3G. Wer nicht genesen, geimpft oder getestet ist, wird vom Arbeitsplatz suspendiert. Betroffen ist fast die gesamte arbeitende Bevölkerung: 23 Millionen Beschäftigte (von den insgesamt laut nationalem Statistikamt ISTAT erfassten 25,5 Millionen) schätzt der italienische Minister für öffentliche Verwaltung Renato Brunetta.

Zwar sind in vielen Ländern Mitarbeiter in Bereichen wie dem Gesundheits- oder Bildungswesen zu 3G verpflichtet. Vor wenigen Tagen hatte der US-Präsident Joe Biden angekündigt, für Staatsangestellte und Mitarbeiter in großen Firmen eine ähnliche Pflicht einzuführen. Jedoch sind prozentuell fast nirgends so viele Branchen und Menschen betroffen wie in Italien.

Der Grund für die strenge Maßnahme ist klar: Man will die Impfquote erhöhen. Diese liegt aktuell in Italien bei 80 Prozent und gehört zu den weltweit höchsten. Zum Vergleich: In Deutschland sind 65,5 Prozent der Bevölkerung ein zweites Mal geimpft.

Das Ziel einer höheren Impfquote dürfte auch der Grund gewesen sein, warum man sich nach einer längeren Debatte dagegen entschied, Corona-Tests kostenlos zur Verfügung zu stellen. So entzieht man den Menschen einen Anreiz, der Impfung fernzubleiben. Dazu kommen die Kosten: Schätzungen zufolge bräuchten die zwischen zwei und vier Millionen nicht geimpften Arbeiter zwei bis drei Tests pro Woche à 15 Euro – das würde den Staat geschätzt 500 Millionen Euro im Monat kosten.

Umstrittene Maßnahme

Genehmigt wurde der Corona-Maßnahmenkatalog von der nationalen Einheitsregierung um Mario Draghi, die aus allen gewichtigen politischen Kräften Italiens von links bis rechts besteht – mit Ausnahme von Georgia Melonis rechtsnationalistischer Partei „Fratelli d’Italia“. Allerdings nicht ohne Polemik.

In den Wochen zuvor hatte der Chef der rechtspopulistischen Lega, Matteo Salvini, immer wieder Kritik erhoben gegen den Corona-Kurs von Mario Draghi. Damit beförderte er sich allerdings ins Abseits seiner Partei: Das Lager rund um den Minister für Wirtschaftsentwicklung, Giancarlo Giorgetti, zeigte sich von Anfang wohlgesonnen gegenüber der Ausweitung der Corona-Maßnahmen. Am Ende stimmte die Partei geschlossen für die Pflicht zum Grünen Pass – eine Umfrage, nach der ein Großteil der Lega-Wählerschaft sich für die Pflicht ausspricht, hätte Salvini überzeugt, munkeln einige Medien. Dennoch dürfte diese Debatte die Spaltung im rechten Lager und innerhalb der Partei vertieft haben. Seit die Lega Teil der Regierungsmehrheit ist, kommt es immer wieder zu internen Meinungsverschiedenheiten.

Wochen des Protests

Der größte Widerstand kommt aus der Zivilgesellschaft. Das Arbeitsverbot betrifft nicht nur Menschen ohne Impfnachweis oder Test, sondern auch jene, die mit einem in Italien nicht zugelassenen Impfstoff geimpft sind. Dazu gehören zum Beispiel viele osteuropäische Lastwagenfahrer, die mit dem russischen Sputnik V geimpft sind, und von der Arbeit ausgeschlossen werden könnten.

Eine der seit voriger Woche stattfindenden Proteste gegen die 3G-Pflicht am Arbeitsplatz artete am vorigen Samstag vor dem Sitz des bedeutendsten nationalen Gewerkschaftsbunds CGIL in Rom aus: Anhänger der neofaschistischen Partei „Forza Nuova“, vergleichbar mit der deutschen NPD, mischten sich unter die „No-Vax“, so nennt Italien die Gruppe an extremen Impfgegnern und Verschwörungstheoretikern, und stürmten den Sitz der CGIL.

Das erklärt die Anspannung Draghis: Die Regierung befürchtet, es könnte auch bei den heutigen Protesten zu gewalttätigen Ausschreitungen kommen. Im Moment sieht es aber nicht danach aus. Laut aktuellen Angaben haben sich in Triest, wo die Gewerkschaften die größte Protestaktion angekündigt hatten, je nach Einschätzungen zwischen ein paar Hundert und 3.000 Menschen friedlich versammelt. Auch in anderen Städten wie Mailand, Rom und Bologna gehen die Leute ohne Ausschreitungen auf die Straße.

Hinzu kommt die Brisanz der aktuellen politischen Lage: In mehreren italienischen Städten wurde voriges Wochenende gewählt, am Sonntag folgt der zweite Wahlgang, und das Ergebnis sehen viele als Zeugnis für Mario Draghis erstes Amtsjahr.

Besonders das Mitte-rechts-Lager fürchtet einen Stimmenverlust. Zwar schnitten die Bürgermeisterkandidaten der Mitte-rechts-Koalition in den meisten Städten schon unerwartet schlecht ab. Doch dürfte sie die Ausschreitung rechtsextremer Gewalt zusätzliche moderate Stimmen kosten: Sowohl Matteo Salvini als auch Giorgia Meloni weigerten sich öffentlich, die Gewalteskalation rechtsextremen Gruppierungen zuzuschreiben und sprachen stattdessen von einem „unbekannten Ursprung“.

Folgt Deutschland?

Ob Italiens Maßnahmen Wirkkraft auf andere Länder entfalten werden, bleibt offen. Man erinnere sich allerdings an das vorige Jahr: Damals war auch Italien das erste Land, das in Europa mit dem Lockdown das öffentliche Leben stilllegte. Eines ist sicher: Europa und die Welt wird die Entwicklungen der kommenden Tage und Wochen in Italien genau beobachten.

Anzeige