Präsidentschaftswahl in Polen - Der liberale Überraschungskandidat

Warschaus Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski sollte ursprünglich gar nicht zur Präsidentschaftswahl in Polen antreten – doch am Sonntag könnte er Amtsinhaber Andrzej Duda von der nationalkonservativen PiS-Partei ablösen.

Liberaler Rafał Trzaskowski: Ist er die letzte Chance für die polnische Demokratie? / Jaap Arriens/ddp
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Autoreninfo

Thomas Dudek kam 1975 im polnischen Zabrze zur Welt, wuchs jedoch in Duisburg auf. Seit seinem Studium der Geschichts­­wissen­schaft, Politik und Slawistik und einer kurzen Tätigkeit am Deutschen Polen-Institut arbei­tet er als Journalist.

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Es war ein äußerst denkwürdiges Ereignis, das am 6. Mai im polnischen Staatsfernsehen TVP ablief: eine TV-Debatte mit zehn Präsidentschaftskandidaten, die wenige Minuten nach Ende der Sendung zusammen mit den Bürgern erfuhren, dass die vier Tage später geplante Wahl nicht stattfinden würde

Nicht dabei im Studio war ein Kandidat, der in den vergangenen Wochen den Wahlkampf regelrecht aufgemischt hat: Rafał Trzaskowski. Dies aber nicht, weil der Stadtpräsident von Warschau, wie in Polen die Oberbürgermeister genannt werden, keine Lust auf ein Duell mit seinen Konkurrenten hatte. Nein, zum damaligen Zeitpunkt war Trzaskowski gar nicht Präsidentschaftskandidat. Małgorzata Kidawa-Błonska hieß damals die Kandidatin seiner Bürgerkoalition, dem von der liberalkonservativen Bürgerplattform dominierten größten Oppositionsbündnis.

Neustart für die Bürgerplattform

Der Tausch der beiden Kandidaten offenbart die zwei Seiten der ursprünglich für den 10. Mai geplanten Präsidentschaftswahlen. Die Kritik an dem Urnengang, den die Regierungspartei PiS mit verfassungswidrigen Wahlgesetzänderungen durchzudrücken versuchte, um aus der Covid-19-Pandemie Profit zu schlagen, war berechtigt. Es wäre jedoch naiv zu glauben, die Bürgerkoalition hätte sich nur aus Sorge um die Demokratie gegen die Wahl gewehrt. Eine Rolle spielten auch in den Wochen zuvor begangene Fehler, die dazu führten, dass die Kandidatin der größten Oppositionskraft in den letzten Umfragen vor dem eigentlichen Wahltermin auf 2 Prozent abrutschte.

Und mit Rafał Trzaskowski gelang der Bürgerkoalition ein Neustart. Bereits zwei Tage, nachdem mit dem 28. Juni der neue Wahltermin bekannt gegeben wurde, hatte er die in Polen nötigen 100 000 Unterstützerunterschriften zusammen, um bei den Präsidentschaftswahlen überhaupt antreten zu können. Regelrecht beeindruckend war Trzaskowskis Durchmarsch in den Umfragen, in denen er nicht nur seine Widersacher aus der Opposition hinter sich ließ. Laut den Demoskopen steht den Polen am 12. Juli ein sehr enger zweiter Wahlgang zwischen Trzaskowski und Amtsinhaber Duda bevor. Eine Entwicklung, die vor einigen Wochen noch undenkbar schien.

Trzaskowski steht für einen Politikwandel

Trzaskowskis möglicher Sieg ist aber nicht nur eine „letzte Chance“ für die polnische Demokratie, wie sein Wahlkampfchef Cezary Tomczyk in einem Radiointerview behauptete, sondern vor allem für die Bürgerplattform. Nach der Zeit des Erfolgs, als sie zwischen 2007 und 2015 alle Wahlen gewann, wirkte sie in den letzten fünf Jahren nur noch wie ein angeschlagener, taumelnder Boxer. Die Wende und auch die Erneuerung sollen nun mit Trzaskowski kommen, der sich bei der parteiinternen Kandidatenkür Mitte Mai gegen Ex-Außenminister Radosław Sikorski durchsetzen konnte. Trotz seiner mittlerweile schon 48 Jahre steht Trzaskowski nicht nur für einen Generationswechsel innerhalb der wichtigsten bürgerlichen Kraft, sondern auch für einen Politikwandel.

„Ich möchte der erste Warschauer Bürgermeister sein, der ein homosexuelles Paar traut“, sagte er vor zwei Jahren, mitten im Kommunalwahlkampf, in einem Interview. Als Bürgermeister wiederum machte er mit Paweł Rabiej nicht nur einen bekennenden Homosexuellen zu seinem Stellvertreter, sondern unterschrieb auch die „LGBT-Karte“, mit der in Warschau die Rechte Homosexueller gestärkt wurden. Eine Politik, die nicht nur innerhalb der im Westen als liberal bezeichneten Bürgerplattform auf Kritik stieß. Als „Zerstörer polnischer Familien“ dämonisierten ihn Politiker der PiS sowie regierungsnahe Medien und starteten im Gegenzug eine Hetzkampagne, die als Ergebnis die im Ausland berühmt-berüchtigten „LGBT-freie Zonen“ zur Folge hatte, die seit 2019 in den von den Nationalkonservativen dominierten Kommunen entstanden. 

Ohne die Stimmen der Landbevölkerung geht es nicht

In den vergangenen Wochen vermied Trzaskowski jedoch das im gesellschaftlich tief gespaltenen Polen hochemotionale Thema. Auch weil er weiß, dass er allein mit den Stimmen der städtischen Wählerschaft nicht gewinnen kann. „Wir brauchen eine neue Politik, den Wiederaufbau der Gemeinschaft, der Bindungen zwischen uns Polen“, betonte er stattdessen. Ungewöhnlich für einen Politiker der Bürgerkoalition waren auch seine lobenden Worte über den 2010 in Smolensk ver­unglückten Präsidenten Lech Kaczynski und die Sozialpolitik der PiS, mit der er bei einem Wahlerfolg bis zu den Parlamentswahlen 2023 zusammenarbeiten müsste. 

Das ist auch der Grund, warum Trzaskowski heftige Attacken der staatlichen, von der PiS kontrollierten Medien über sich ergehen lassen musste, die ihm sogar absprachen, ein Christ zu sein. Eine Propagandamaschinerie, die Trzaskowski bereits von der Kommunalwahl 2018 kennt. Diese gewann er dennoch im ersten Wahlgang.
 

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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