Postscriptum - Erdogan

Mit dem türkischen Verfassungsreferendum erreichte Recep Tayyip Erdogan knapp die Mehrheit. Fast mehr Sorgen bereitet das Wahlverhalten der in Deutschland lebenden Türken

Erschienen in Ausgabe
Illustration: Anja Stiehler
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Für den Sieg beim Verfassungsreferendum hat der neue türkische Alleinherrscher alles getan, um sein Land von Europa wegzurücken. Erdogans Lebensziel ist ein neoosmanisches Reich, das als Ordnungskraft im zerfallenden Nahen Osten die Führungsrolle übernimmt, und zwar auf Grundlage des sunnitischen Islam. Sein religiös durchwirkter Nationalismus bedeutet eine klare Veröstlichung der Türkei, viele seiner Landsleute sind ihm dabei gefolgt. Aber viele eben auch nicht. Mindestens knapp die Hälfte der Wähler hat explizit kein Interesse an einem chauvinistisch-religiösen Nationalstaat erdoganscher Prägung. Immerhin.

Fast mehr Sorgen bereitet deshalb das Abstimmungsverhalten der in Deutschland lebenden Türken. Wenn knapp zwei Drittel derer, die sich an der Wahl beteiligt haben, ihr Heil bei Erdogan sehen, dann hat das noch eine andere Dimension als in der Türkei selbst. Denn nach den Provokationen und Nazivergleichen, die sich Erdogans Leute gegenüber deutschen Politikern erlaubt haben, kann die Botschaft nur sein: Wer hier mit Ja gestimmt hat, dem ging es weniger um ein Verfassungsreferendum. Sondern darum, seine Solidarität mit einem türkischen Staatsoberhaupt zu bekunden, das einen klaren Konfrontationskurs mit der Bundesrepublik sucht. Von mangelnder Integrationsbereitschaft kann da keine Rede mehr sein. Das ist Obstruktion.

Türkische Machtbasis in Deutschland

Und somit hat Erdogan auch sein zweites Ziel erreicht. Nämlich der deutschen Bundesregierung zu demonstrieren, über welche Machtbasis er in Deutschland verfügt. Wer am Abend der Abstimmung gesehen hat, wie etwa in Berlin euphorisierte Erdogan-Fans in Autokorsos durch die Straßen fuhren, um ihren Helden zu feiern, dem dürfte ziemlich mulmig geworden sein. Natürlich wird Erdogan jetzt erst einmal rhetorisch wieder abrüsten. Aber ein paar seiner Sätze bleiben hängen. Zum Beispiel die Drohung, dass sich kein Europäer mehr in irgendeinem Teil der Welt sicher auf den Straßen bewegen könne. Nach den Szenen vom Abend des 16. April ahnt man, was er damit gemeint hat.

 

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