Merkel in Polen - Der austauschbare Feind

Vielleicht zum letzten Mal besucht Angela Merkel Polen als Bundeskanzlerin. Das Verhältnis zwischen den Nachbarstaaten ist angespannt. Gerade die Regierungspartei PiS lässt beim Schimpfen über die Deutschen kaum ein Klischee aus. Ganz unschuldig sind die aber auch nicht

In Polen pflegt man ein recht bivalentes Verhältnis zu der deutschen Regierungschefin / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Thomas Dudek kam 1975 im polnischen Zabrze zur Welt, wuchs jedoch in Duisburg auf. Seit seinem Studium der Geschichts­­wissen­schaft, Politik und Slawistik und einer kurzen Tätigkeit am Deutschen Polen-Institut arbei­tet er als Journalist.

So erreichen Sie Thomas Dudek:

Anzeige

Der Auftakt ihrer Abschiedstournee als CDU-Vorsitzende und (Noch)-Bundeskanzlerin, hätte für Angela Merkel angenehmer ausfallen können. Nach einem gestrigen Besuch in der Ukraine, wo unter anderem auch der Konflikt im Donbass ein Thema war, den sie 2015 mit dem Minsker Abkommen zu befrieden versuchte, weilt sie heute in Warschau zu den 15. Deutsch-Polnischen Regierungskonsultationen. Der Hauptstadt eines Landes, in dem man ein ambivalentes Verhältnis zu der deutschen Regierungschefin pflegt.

Ambivalentes Verhältnis zur Angela Merkel

Deutlich machten es erneut die jüngsten Tage. „Die Mutti tritt ab, Warschau wird weinen“, titelte am Mittwoch die liberale Polityka und bezeichnete Merkel als die „vielleicht letzte deutsche Regierungschefin, die deutlich positiv gegenüber Polen eingestellt ist". Die Polityka führt das nicht nur auf Merkels polnischen Großvater Ludwik Kazimierczak, der 1918 in den Legionen von Jozef Pilsudski diente, sondern auch auf Merkels DDR-Vergangenheit und somit ihrer besonderen Beziehung zu der Solidarnosc-Bewegung zurück. Das liberale Blatt verweist zudem auf Merkels Unterstützung für Polen innerhalb der EU hin, von der das Land unter anderem bei der Verteilung der EU-Gelder profitierte. Ähnliche wohlwollende Töne hörte und las man in den letzten Tagen auch in anderen Medien, egal ob in der liberalen Gazeta Wyborcza oder der konservativen Rzeczpospolita, die in Deutschland oft irrtümlich als PiS-nah bezeichnet wird.

Positiv äußerte sich auch der polnische Außenminister Jacek Czaputowicz. Er begrüßte nicht nur Merkels Entscheidung, auch nach ihrem Rücktritt als CDU-Parteivorsitzende Kanzlerin bleiben zu wollen, sondern hob auch ihre „wichtige Rolle“ bei der Reform der EU hervor, ebenso wie ihren „wichtigen Platz in der Geschichte der Europäischen Union in den vergangenen Jahren“. Töne, die aus dem Munde eines PiS-Politikers zuerst überraschend klingen dürften, da mit dem Regierungsantritt der Nationalkonservativen 2015 sich nicht nur die Beziehungen zwischen Warschau und Brüssel verschlechterten, sondern auch zwischen Warschau und Berlin. Doch trotz aller Misstöne und einem einige Jahre zurückliegendem vorsichtigem Flirt mit der AfD. Der allmächtige Parteichef Jaroslaw Kaczynski persönlich erklärte im Vorfeld der letzten Bundestagswahlen, dass er auf einen Sieg Merkels und der CDU hoffe. Aus einen simplen, rationalem Grund: Nach so vielen Jahren Merkel im Bundeskanzleramt, wissen auch die Nationalkonservativen, was man von ihr erwarten kann.

Antideutsche Klischees und Feindbilder

Die vergangenenTage zeigten aber auch die andere, dunkle Seite der PiS in ihrem Verhältnis zu Merkel und auch Deutschland. „Die Politik Deutschlands gegenüber Polen ändert sich eigentlich nie, egal wer Kanzler ist. Die Deutschen wollen Polen einfach kolonisieren“, antwortete der PiS-Abgeordnete Arkadiusz Mularczyk in einem Interview auf die Frage, ob sich mit dem Abschied von Merkel auch die deutsch-polnischen Beziehungen ändern werden. Und Mularczyk ist nicht irgendein gewöhnlicher PiS-Hinterbänkler. Der 1971 im oberschlesischen Ratibor geborene Politiker leitet den aus 15 PiS-Politikern bestehenden Parlamentsausschuss, der seit 2017 die polnischen Reparationsforderungen an Deutschland prüft. Die bisherige Summe, die man von Berlin verlangt: 750 Milliarden Euro. 

Die Frage der Reparationen, die Staatspräsident Andrzej Duda am Wochenende in einem Interview mit der Bild am Sonntag bekräftigte, sind nicht das einzige Thema, welches momentan die deutsch-polnischen Beziehungen stark belasten. Laute Kritik gibt es in Polen, auch von der Opposition, an der Gaspipeline Nord Stream 2. In Warschau weist man nicht zu Unrecht daraufhin, dass dieses Projekt eine solidarische Energiepolitik innerhalb der EU untergräbt. Auf wenig Gegenliebe stößt in der polnischen Hauptstadt auch die Europäische Flüchtlingspolitik, mit der sich nach Meinung nationalkonservativer Politiker Merkel ihr eigenes Grab geschaufelt hat, wie Krzysztof Szczerski, der Chef der Präsidialkanzlei, dieser Tage in einem Interview mit dem staatlichen Fernsehsender TVP nicht ohne Schadenfreude bemerkte. Ein weiteres, aus Sicht Berlins und Brüssels brisantes Thema, ist die umstrittene Justizreform der PiS (Partei für Recht und Gerechtigkeit), die Polen regiert.

Es sind Themen in den deutsch-polnischen Beziehungen, die von der PiS und der ihr nahestehenden Presse nicht nur mit Argumenten behandelt werden. Aussagen wie die des PiS-Abgeordneten Arkadiusz Mularczyk sind keine Ausnahmen. Vielmehr gehören antideutsche Klischees und Feindbilder zum festen Repertoire. Titelcover nationalkonservativer und rechter Medien, die Merkel in Feldherren-Pose darstellen, und dementsprechende Zitate von Politikern, könnten ganze Ausstellungsräume füllen. 

Manipulationsvorwürfe an die deutsche Presse

Zu diesem Feindbild gehört in Polen auch die Presse. Und damit sind nicht nur deutsche Journalisten gemeint, die nach Ansicht der Nationalkonservativen ungerecht und falsch über die Politik der jetzigen Regierung in Warschau berichten. „Heute sind die Medien in der Hand ausländischer, vorwiegend deutscher Besitzer. Und diese Medien sind besonders im jetzigen Kommunalwahlkampf aktiv geworden“, erklärte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki diese Woche in einem Interview mit dem nationalkonservativen Sender Telewizja Republika. Ein direkter Angriff des polnischen Regierungschefs auf den Axel Springer-Verlag. Das zum Verlag gehörende Nachrichtenportal Onet.pl griff in den vergangenen Wochen die „Tonband-Affäre“ von 2014 auf. Diese machte damals publik, wie sich führende Politiker der damaligen Regierungskoalition in zwei Warschauer Luxusrestaurants in Gossensprache über politische Gegner und Konkurrenten aber auch Entscheidungen unterhielten. Die im Auftrag eines dubiosen Geschäftsmannes von zwei Kellnern heimlich aufgenommenen Bänder sind mit ein Grund, weshalb die damalige Regierungskoalition aus der Bürgerplattform und der Bauernpartei PSL verlor. Doch nun veröffentlichlichte das Nachrichtenportal Aufnahmen, auf denen Mateusz Morawiecki zu hören ist. Dieser war damals Chef der Bank Zachodni WBK und gehörte zum engen Kreis der Bürgerplattform. 

Für viele PiS-Politiker waren diese Aufnahmen mitverantwortlich für das Ergebnis der PiS bei den jüngsten Kommunalwahlen, die unter ihren Erwartungen blieben. In Großstädten wie Warschau, Lodz oder Posen, wo die Stadtpräsidenten-Kandidaten der PiS es nicht einmal in die am Sonntag stattfindende Stichwahl schafften, erlebte die PiS gar ein richtiges Debakel. Und mit dem deutsch-schweizerischem Verlag hat man schnell einen Verantwortlichen gefunden. Denn zu Axel Springer gehört nicht nur Onet.pl, sondern unter anderem auch Newsweek Polska und das auflagenstarke Boulevard-Blatt Fakt.

Feindbilder als Rechtfertigung der eigenen Politik

Bei der Kritik, die viele als einen Hinweis auf einen bald stattfindenden Angriff der PiS auf die unabhängige Presse deuten, scheuen sich die Nationalkonservativen auch nicht vor kruden Vergleichen. Die Presseerzeugnisse von Axel Springer, ebenso wie anderer in Polen aktiver deutscher Verlage, setzen sie gleich mit der polnischsprachigen Presse, die während des 2. Weltkriegs von den deutschen Besatzern herausgegeben wurde. Dass bei diesen Verlagen aber selber einst Journalisten arbeiteten, die heute der PiS nahe stehen, wird dabei jedoch gerne verschwiegen. 

Und dies nicht ohne Grund. Egal ob Begriffe wie „Deutscher“, „Volksdeutscher“ oder „Kommunist“ oder gar „Kinder von Kommunisten“, es sind alles austauschbare Feindbilder, welche die PiS und für die Durchsetzung ihrer Politik braucht. Und gutes Beispiel dafür ist die Justizreform und die damit verbundene Frühpensionierung von 27 Richtern des Obersten Gerichts. Diese begründet die PiS mit den angeblichen vielen Richtern, die in den bereits in der Volksrepublik Urteile gesprochen haben. Doch genaue Zahlen können weder das Justizministerium nennen noch die Präsidialkanzlei, welche die Justizreform vorantreiben. Daran sollte man hierzulande immer denken, wenn PiS-Politiker und ihr nahestehende Medien mal wieder von den „bösen Deutschen“ sprechen. Und dass die PiS auf bilateraler Ebene auch belastende Themen scheut, zeigen die aktuellen Deutsch-Polnischen Regierungskonsultationen. Polnische Reparationsforderungen sollen angeblich kein Thema sein.

Anzeige