Polen blockiert EU-Haushalt - In der Hand eines Hardliners

Gemeinsam mit Ungarn hat Polen sein Veto gegen den EU-Haushalt eingelegt, da dieser an den Rechtsstaatmechanismus gebunden werden soll. Eine Entscheidung, die auf die Machtambitionen des polnischen Justizministers zurückgeht.

Polens Justizminister Zbigniew Ziobro forderte Polens Veto zum EU-Haushalt / dpa
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Thomas Dudek kam 1975 im polnischen Zabrze zur Welt, wuchs jedoch in Duisburg auf. Seit seinem Studium der Geschichts­­wissen­schaft, Politik und Slawistik und einer kurzen Tätigkeit am Deutschen Polen-Institut arbei­tet er als Journalist.

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Es herrscht Einigkeit in der Vereinigten Rechten, wie das in Polen regierende Parteienbündnis aus der dominierenden PiS und den zwei kleinen Parteien „Porozumienie“ (Verständigung) und „Solidarna Polska“ offiziell heißt. Zumindest nach außen hin, wenn es um das Thema Rechtstaatlichkeit und den EU-Haushalt geht.

„Wir werden dem politischen Druck nicht nachgeben“, erklärte am Dienstag Szymon Szynkowski vel Sęk, Staatssekretär im polnischen Außenministerium, im staatlichen Nachrichtensender TVP Info. „Es ist gut, dass Polen reizt, denn nur in diesem Fall werden sie uns ernstnehmen. Nun muss man medialen und politischen Druck erwarten“, kommentierte wiederum der in Polen bekannte PiS-Europaabgeordnete Ryszard Czarnecki.

Der erste Eindruck täuscht

Doch der erste Eindruck täuscht. Szynkowski vel Sęk, sein Staatssekretärkollege aus dem Außenministerium Paweł Jabłonski oder auch die Europaabgeordneten Ryszard Czarnecki, Kosma Złotowski oder Jacek Saryusz-Wolski sind zwar bekannte, in den Medien und in den sozialen Netzwerken präsente sowie aktive Politiker, doch sie gehören nicht zu der ersten Riege nationalkonservativer Politiker.

Doch diese hüllen sich seit Montag lieber in einen Mantel des Schweigens. Weder Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, Außenminister Zbigniew Rau noch der PiS Vorsitzende Jarosław Kaczyński, der seit einigen Wochen auch stellvertretender Ministerpräsident ist, haben die am Montag bekannt gewordene Androhung Polens, EU-Haushalt  und die Corona-Hilfen zu blockieren, falls die Auszahlung von EU-Geldern an einen Rechtsstaatmechanismus gekoppelt wird, seither öffentlich kommentiert.

Nur Präsident und Justizminister fordern Polens Veto

Lediglich Präsident Andrzej Duda, ehemaliger PiS-Europaabgeordneter und heute formell parteiloses Staatsoberhaupt, begrüßte am Rande seines Staatsbesuchs in Litauen das Veto gegen das insgesamt 1,8 Billionen Euro schwere Paket. Doch es gibt eine Ausnahme: Zbigniew Ziobro. Der Justizminister, der in Personalunion auch Generalstaatsanwalt ist, imponiert in diesen Tagen durch seine mediale Omnipräsenz.

Am Montag, wenige Stunden, bevor in Brüssel die EU-Botschafter der einzelnen Mitgliedsländer zusammenkamen, gab er eine viel beachtete Pressekonferenz, auf der er das Veto forderte. „Hier geht es um keine Rechtstaatlichkeit. Rechtstaatlichkeit ist nur ein schönes Wort“, so Ziobro. „Hier geht es um eine institutionelle und politische Unterdrückung, um eine radikale Einschränkung der Souveränität“, so der Politiker weiter.

Ziobro war Architekt der Justizreform

Am Montagabend durfte Ziobro, Vorsitzender des kleinen PiS-Partners „Solidarna Polska“, seine Horrorszenarien beim nationalkatholischen Sender TV Trwam weiterspinnen. Egal ob es um eine angebliche „Kolonisierung“ Polens durch Brüssel und Berlin oder die Homoehe ging, bei dem zum Medienimperium um Radio Maryja gehörenden Sender brachte Ziobro mit dem Thema Rechtstaatlichkeit alle Schreckgespenster der Nationalkonservativen zusammen.

Was nicht nur daran liegt, dass Ziobro als Justizminister der Hauptarchitekt der in Polen und im Ausland umstrittenen Justizreform ist und somit auch um sein Lebenswerk kämpft. „Das Veto Polens gegen den EU-Haushalt ist auch der innenpolitischen Dynamik geschuldet“, sagt Piotr Buras, Chef des Warschauer Büros des European Council on Foreign Relations, gegenüber Cicero.

Ziobro erhöht den Druck

„Ziobro liefert sich mit Morawiecki seit Monaten einen Machtkampf, bei dem es vor allem um die Nachfolge von Jarosław Kaczyński geht“, so der Politikwissenschaftler weiter. „Und Ziobro versucht, sich dabei als der nationalkonservative Hardliner zu positionieren“, erklärt Buras. Und dass Justizminister Ziobro momentan den Ministerpräsidenten Morawiecki vor sich hertreibt, offenbarte die bereits erwähnte Pressekonferenz vom Montag.

„Sollte Morawiecki sein Veto nicht einlegen, würde dies zu einem Vertrauensverlust führen mit all seinen Konsequenzen, die sich aus so einer Situation ergeben“, erklärte Ziobro, dabei umringt von getreuen Gefolgsleuten aus seinem Ministerium. Eine offen ausgesprochene Erpressung und Drohung mit einem Koalitionsbruch gegenüber Morawiecki und dem PiS-Vorsitzenden Kaczyński.

Notorischer Machtpolitiker

Es ist nicht das erste Mal, dass Ziobro solche Drohungen gegenüber seinen Koalitionspartnern ausspricht. Als Staatspräsident Duda im Sommer 2017 den landesweiten Protesten nachgab und sein Veto gegen einen Teil der Justizreform aussprach, stellte der Justizminister offen die Frage, ob Duda auch für das Jahr 2020 der richtige Präsidentschaftskandidat wäre.

Im Sommer machte er einen möglichen Ausstieg Polens aus der Istanbuler Konvention, mit der sich die europäischen Staaten zum Schutz der Frauen verpflichten, zum Thema. Vor einigen Wochen rebellierte er gegen ein von Kaczyński forciertes Tierschutzgesetz, mit dem er die nationalkonservative Koalition fast zum Bruch geführt hätte. Erst ein neu ausgehandelter Koalitionsvertrag und eine Regierungsumbildung, konnte die Wogen glätten.

Die Spannungen und Machtkämpfe innerhalb der nationalkonservativen Partner konnte der neue Koalitionsvertrag jedoch nicht beheben, wie das aktuelle Veto gegen den EU-Haushalt zeigt. Gewiss kann sich Ziobro sein, dass vor allem bei EU-kritischen Wählern der Nationalkonservativen seine Aussagen gut ankommen. Bereits die wirtschaftliche Transformation des Landes in den vergangen 30 Jahren, durch die viele polnische Banken oder Industriebetriebe in ausländischen Besitz kamen, empfanden viele als eine Art Kolonisierung.

Lose-Lose Situation

Ob Ziobro und seine „Solidarna Polska“ alleine auf der politischen Bühne bestehen können, ist jedoch mehr als fraglich. Wie Umfragen zeigen, würden weder Ziobros Partei noch Porozumienie, der zweite, jedoch gemäßigte Partner der PiS, bei eventuellen Neuwahlen die Fünf-Prozent-Hürde überspringen. Gleichzeitig könnte die PiS, die selbst mit innerparteilichen Konflikten beschäftigt ist, ohne die zwei kleinen Partner nicht regieren.

„Mit dem Veto gegen den EU-Haushalt hat sich die Regierung in eine Sackgasse geführt“, sagt Buras. Denn egal wie der Kompromiss Warschaus mit Brüssel auch aussehen wird. Wegen der unterschiedlichen Positionen wird dieser innerhalb der nationalkonservativen Koalition nur Verlierer kennen.

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