Plan für Wiederaufbau nach Corona - Noch mehr Geld, noch weniger Kontrolle

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will die „nächste Generation der EU“ schaffen, um die Folgen der Corona-Krise zu überwinden. Dafür soll Brüssel künftig Steuern erheben und eigene Schulden machen dürfen. Das kann kaum gutgehen.

Von der Leyens Auftritt im EU-Parlament war ein charmant vorgebrachter, aber gleichwohl klarer Versuch des Machtausbaus / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Die Welt schäumt über vor Superlativen, Corona macht es möglich. Und weil uns das Virus – so viel steht offenbar schon fest – die „größte Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg“ beschert, muss man zu deren Bekämpfung natürlich auch die ganz großen Kaliber herausholen: finanziell wie verbal. Beides hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen heute im Europaparlament getan. Es ging um das von ihrer Behörde ersonnene „Wiederaufbauinstrument“ – mit anderen Worten darum, wie viele Milliarden zur Krisenbewältigung ausgeschüttet werden sollen und wofür. Damit der Geldregen nicht in ein böses Unwetter umschlägt, lieferte von der Leyen, wie es eben ihre Art ist, eine wohlklingende Überhöhung gleich mit: „Next Generation EU“.
 
Die „nächste Generation“ der Europäischen Union in Kurzfassung: noch mehr Geld, noch mehr Schulden, noch mehr Umverteilung. Und die Möglichkeit, eigene EU-Steuern zu erheben – am liebsten auf Kosten der schadstoffemittierenden Großindustrie oder der Digitalkonzerne. Wie es sich für politisches Framing gehört, stellte die Kommissionspräsidentin das Vorhaben in einen historischen Kontext, der vom europäischen Friedensprojekt bis zu den „Brüdern und Schwestern“ reichte die „aus der Kälte geholt“ worden seien – gemeint waren offenbar die mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten. Viel Gewölk also, um ein paar harte Fakten zu übertünchen, die insbesondere aus deutscher Beitragszahlersicht für Ernüchterung sorgen könnten. Die „nächste Generation“ wird jedenfalls noch teurer als alle vorangegangenen Generationen.

Einfach beides gleichzeitig und zusammen

Zusätzlich zum schon beschlossenen Hilfspaket im Umfang von 540 Milliarden Euro und zum Sieben-Jahres-Budget der EU (1100 Milliarden Euro bis 2027) sollen jetzt also weitere 750 Milliarden Euro kommen. Und zwar 500 Milliarden Euro in Form nicht zurückzahlbarer Zuwendungen sowie 250 Milliarden Euro als Kredite – jeweils für Länder, die besonders stark von Corona betroffen wurden. Das klingt schon fast nach einem Kompromiss mit der richtigen Prise Brüsseler Humors: Während auf der einen Seite das Duo Merkel/Macron 500 Milliarden Euro an Zuschüssen gefordert hatte, die „sparsamen Vier“ (Österreich, Niederlande, Schweden Dänemark) hingegen lediglich 250 Milliarden an rückzahlbaren Krediten zusätzlich ausgeben wollten, schlägt die Kommission jetzt einfach beides gleichzeitig und zusammen vor. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass diese Idee überall auch gleich gut ankommt.
 
Ziemlich sicher dürfte auch von der Leyens Vorschlag auf Widerstand stoßen, wonach die EU-Kommission nicht nur eigene Steuern erheben, sondern auch eigene Schulden aufnehmen soll. Letzteres widerspricht zwar den gültigen Verträgen, könnte aber nach dem Willen der Kommission durch eine Anhebung der Obergrenze für Eigenmittel trotzdem durchgesetzt werden. Dass dafür offenbar nicht einmal eine Ratifizierung durch die Parlamente der einzelnen EU-Staaten nötig wäre, lässt diese Option aus Brüsseler Sicht als besonders angenehm erscheinen. Natürlich stehen für die Schulden der Kommission am Ende wieder genau jene Staaten gerade, deren Volksvertreter vorher nicht um Erlaubnis gefragt werden mussten. Zumindest dann, wenn sich die Hoffnungen der Kommission auf Zusatzeinnahmen durch EU-eigene Digitalsteuern oder Emissionshandel nicht verwirklichen lassen. Wofür einiges spricht.

Ein Player mit eigener Agenda

Von der Leyens Auftritt im EU-Parlament war ein charmant vorgebrachter, aber gleichwohl klarer Versuch des Machtausbaus. Eine Kommission, die Schulden in der Größenordnung hoher dreistelliger Milliardenbeträge aufnehmen kann, die Steuern erhebt und am liebsten auch über deren Verwendung bestimmt, ist eben längst nicht mehr „Hüterin der Verträge“. Sondern ein Player mit eigener Agenda. Das wiederum ist tatsächlich der Traum aller semilegitimierten Regierungsbürokraten, die zu viel nationalstaatliche Mitsprache schon immer für ein großes Unglück gehalten haben. Wer allerdings noch traditionelle Vorstellungen von demokratischer Verantwortungsübertragung und Kontrolle hat, dürfte angesichts der jüngsten Brüsseler Selbstermächtigungsversuche noch schlechter schlafen als zuvor.
 
Zumal die Kommissionspräsidentin völlig unklar blieb, wer von dem Geld eigentlich profitiert, das da mit dem großen Füllhorn ausgeschüttet wird – und leider schon auch irgendwie, irgendwann wieder erwirtschaftet werden muss. Von der Leyens Stichwortliste reichte da von Investitionen in 5G bis zur Sanierung von Wohngebäuden, von einer Aufstockung für das Studienaustauschprogramm Erasmus bis zur Finanzierung von „Arbeitsplätzen für junge Menschen“. Und natürlich soll das Geld auch in „Schlüsseltechnologien“ fließen – wobei offen blieb, welche genau das denn sind. Viel Geld, wenig Kontrolle, unklare Verwendung: Wenn das die „nächste Generation“ der EU sein soll, wird einem schon heute Angst und Bange.
 

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