Pedro Sánchez - Europäischer Musterschüler

Die steigende Zahl an Migranten ist die erste große Herausforderung für den neuen spanischen Premier Pedro Sánchez. Er muss rasche Erfolge vorweisen. Dabei setzt der Sozialist auf Angela Merkels Hilfe

Entspannter und weltläufiger Pedro Sánchez: Eine Art spanischer Kennedy / picture alliance
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Julia Macher lebt als Journalistin in Barcelona und berichtet seit vielen Jahren von der iberischen Halbinsel.

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Barfuß, die Hemdsärmel umgeschlagen, auf den Lippen sein berühmtes Zahnpastalächeln, spazierte Pedro Sánchez über die Dünen des Naturparks Doñana, locker ins Gespräch vertieft mit seinem Wochenendgast, der deutschen Kanzlerin samt Ehemann. Die Bilder vom Treffen im traditionellen Urlaubsdomizil der spanischen Regierungschefs dürften Sánchez gefallen haben. Der neue Premier, der den von Korruptionsskandalen angeschlagenen Mariano Rajoy Anfang Juni überraschend über ein konstruktives Misstrauensvotum stürzte, inszeniert sich gern als eine Art spanischer Kennedy: entspannt und weltläufig.

Noch wichtiger war die zweite Bilderbotschaft. Am Ort des Geschehens, dem Palacio de las Marismillas, schlossen vor knapp 30 Jahren bereits Felipe González, Spaniens sozialdemokratische graue Eminenz, und Angela Merkels politischer Ziehvater Helmut Kohl enge Freundschaft. Damals kam es niemandem in den Sinn, an der Idee eines geeinten Europas zu zweifeln. An diesen Geist möchte Pedro Sánchez gerne anknüpfen: aus Idealismus – und aus ganz pragmatischen Gründen.

Der Neue will mitspielen

Der Madrider Wirtschaftswissenschaftler, Jahrgang 1972, ist ein überzeugter Europäer. Direkt nach Amtsantritt war von einer neuen Achse Madrid-Paris-Berlin die Rede. Sánchez’ erste Auslandsreisen hatten ihn nicht ins Nachbarland Marokko geführt, dem traditionell ersten Ziel der neuen Machthaber in der Moncloa, sondern nach Frankreich und Deutschland. Auch sein Kabinett (mit bekannten Gesichtern wie dem ehemaligen EU-Parlamentspräsidenten Josep Borrell und der Ex-Generaldirektorin des EU-Haushalts Nadia Calviño auf den Schlüsselposten Außen- und Wirtschaftsministerium) galt als klares Bekenntnis zur EU: Der Neue will mitspielen, nicht nur als Musterschüler in Sachen Sparpolitik wie der etwas knöcherne Rajoy, sondern als Partner und Mitgestalter. Der Weg dahin führt über die Flüchtlingspolitik.

Als Pedro Sánchez im Juni als eine seiner ersten Amtshandlungen der Aquarius nach der Verweigerung Italiens den Hafen von Valencia anbot, filmten internationale Medien die Ankunft des privaten Rettungsschiffs. Linksliberale Blogger jubelten über eine neue „Flüchtlingspolitik mit humanem Antlitz“. Wenig später tauchten die ersten Berichte von überfüllten Aufnahmezentren in Algeciras, dem Küstenstädtchen an der Meerenge von Gibraltar, auf. Der Bürgermeister, Mitglied der konservativen Volkspartei, malte das Schreckgespenst eines „zweiten Lampedusa“ an die Wand, die rechtsliberale Ciudadanos-Partei unkte über das zerstörerische Potenzial von Sánchez’ „Gutmenschentum“. Beide Reaktionen waren aber vor allem der Klientelpolitik geschuldet.

Ökonom mit Herz

Bei sinkenden Gesamtzahlen wächst der Zustrom über die andalusische Küste bereits seit drei Jahren. Von 2016 auf 2017 hat sich die Zahl der Migranten an der Südgrenze auf 22 000 verdreifacht. Mit seiner publicityträchtigen Geste im Fall der Aquarius folgte Sánchez, der sich als Wirtschaftsdozent vor seinen Studenten gern als „Ökonom mit Herz“ gab, einem kühlen Kalkül: „Ja, wir springen für die EU ein – aber dann helft uns an der Südgrenze. Dauerhaft.“ 55 Millionen Euro hat die EU bereits für den Grenzschutz in Tunesien und Marokko bewilligt. Mehr Geld für andere Staaten soll folgen. Derzeit touren Spaniens Minister durch Nordwestafrika, wohl auch, um die Regierungen zu einer Blockade der Maghrebroute zu bewegen.

Es ist nicht das erste Mal. Nachdem von 2004 an Hunderte Fischerboote von der afrikanischen Küste aus Richtung Kanarische Inseln in See stachen, unterzeichnete der damalige Premier José Luis Rodríguez Zapatero bereits mit einem knappen Dutzend afrikanischer Staaten Abkommen über Migrationskontrolle. Nicht nur mit umgänglichem Auftreten und einem hohen Frauenanteil im Kabinett tritt Pedro Sánchez nun also in die Fußstapfen seines Parteikollegen. Dabei braucht er die EU auf seiner Seite.

Sánchez braucht rasche Erfolge

Angela Merkel hat er bereits für sich gewonnen. Überraschend deutlich erklärte die Kanzlerin das Dublin-Abkommen für „nicht funktionsfähig“. Man müsse daher nach neuen Wegen suchen: innerhalb der EU, aber auch über mehr Rückführungsabkommen mit den Herkunftsländern. Um sich im Amt zu halten, braucht der Mann, der als Präsidentschaftskandidat bei regulären Wahlen zwei Mal in Folge scheiterte, auch in Spanien rasche Erfolge. Die Sozialisten haben lediglich 85 von 350 Sitzen, bereits im nächsten Jahr stehen Europa- und Kommunalwahlen an. Bisher geht die spanische Bevölkerung gelassen mit den Menschen um, die mit dem Schlauchboot an den Stränden von Tarifa und Almería landen. Doch ein imagebedachter Politikprofi wie Pedro Sánchez weiß, wie schnell sich Stimmungen ändern können.

Dieser Text stammt aus der September-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.

 

 

 

 

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