Warum Menschen nach Paraguay auswandern - Tür an Tür mit Angela

Für immer mehr deutsche Impfgegner wird Paraguay zur zweiten Heimat. Aber was suchen Deutsche in einem Land, dessen Gesundheitssystem schon vor der Pandemie am Limit war?

Oben ohne ist verboten: Auch in Paraguay gilt eine Maskenpflicht / dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Klima, Arbeitsmarkt, Steuer, Formalitäten bei der Einwanderung. Zu jedem dieser Punkte finden Auswanderer im Internet Tipps. Aber diese Frage ist neu: „Hallo, Leute“, schreibt  ein gewisser Wolfgang in einem Forum für Auswanderer bei Telegram. „Bin ich auch als Geimpfter in Paraguay willkommen?“

Eine berechtigte Frage. Paraguay boomt. Das Land gilt als Mekka für Deutsche, die sich nicht impfen lassen wollen – und die überhaupt hadern mit dem Staat und  seinen Coronaregeln. Im Verlauf der Pandemie hat das Land einen regelrechten Sog entwickelt. Keine Impfpflicht,  keine Masken, keine Tests, keine 2 G-Regeln. Das ist das Bild, mit dem Deutsche werben, die in dem südamerikanischen Binnenstaat bereits Fuß gefasst haben.

Angeschlagenes Gesundheitssystem

Dabei gilt Paraguay als eines  der ärmsten Länder Südamerikas. Wer hier einwandern will, muss eine Kaution von 5.000 US-Dollar bei der Nationalbank hinterlegen. Arbeitslos zu werden, kann er sich nicht leisten. Eine staatliche Fürsorge für Arme gibt es nicht. Das Gesundheitsssystem war schon vor der Pandemie angeschlagen. Mehr als 16.000 Menschen sind dort bereits an Covid-19 gestorben – umgerechnet auf die Bevölkerungsgröße sind das fast doppelt so viel wie in Deutschland. Zudem hat das Land ein Problem mit Kriminalität. Die Mordrate in Paraguay ist 24 mal höher als in Deutschland.

Auswanderer aus Deutschland scheint das nicht abzuschrecken. Im Gegenteil: Seit Beginn der Pandemie ist ihre Zahl gestiegen. Im vergangenen Jahr haben sich nach Angaben der Einwanderungsbehörde 1077 Deutsche in Paraguay niedergelassen, in einem Land, in dem Deutsche bereits seit den ersten spanischen Kolonialisten im 16 Jahrhundert anzutreffen waren und dass seit dem 19. Jahrhundert über große deutschsprachige Siedlungsgebiete verfügt. Wie viele deutsche Neueinwanderer sich in dem Land heute tatsächlich befinden, lässt sich nur erahnen. Viele reisen mit einem Touristenvisum ein. Ein neues Auswandererforum auf Telegram hat innerhalb von einem Jahr 4.000 Mitglieder gesammelt. Michael Bock hinterlässt dieser Trend ratlos.

Man erreicht ihn per WhatsApp-Talk in seiner Bäckerei in Asuncion. Ein Mittsechziger mit einem grauen Schnauzbart im braungebrannten Gesicht. Er trägt ein T-Shirt und kurze Hosen. 38 Grad Celsius zeigt das Thermometer an. Hochsommer in Paraguay. Bock sieht aus wie ein Urlauber. Dabei ist er wie jeden Morgen um vier Uhr aufgestanden. Er betreibt eine Bäckerei in der Hauptstadt, angeblich die einzige deutsche in Paraguay.

Mein Haus, mein Pool, meine Mangobäume

Seit 30 Jahren schon verkauft er dort sein Kürbiskern-, Dinkel- und Roggenbrot. Umgerechnet drei Euro kostet das Stück. Für die meisten Einheimische ein unerschwinglicher Luxus. Das monatliche Brutto-Einkommen liegt bei 285 Euro. Das Geschäft laufe super, schwärmt der gebürtige Baden-Württemberger. Und wie zum Beweis läuft er in den Garten, um dort zu zeigen, was er sich aufgebaut hat: Mein Haus, mein Pool, meine Mangobäume.

Bock sagt, er sei 1990 vor der hohen Steuer und der Bürokratie in Deutschland nach Südamerika geflohen. Hart arbeiten müsse er in Paraguay zwar auch, aber bei einem Einkommenssteuersatz von gerade mal zehn Prozent lohne sich das wenigstens. Bock sagt: „Für Handwerker ist dieses Land eine Goldgrube."

Wer braucht Osteopathen?

In den Jobbörsen der Auswanderer bei Telegram oder Facebook verirren sich dieser Tage aber nur vereinzelt Elektriker oder Klempner. Die Menschen, die sich dort angemeldet haben, bieten sich als Osteopathen, Heilpraktiker, Krankenschwestern, Quigong- oder Gitarrenlehrer an. Eine Frau fragt, ob jemand vielleicht eine Biokosmetikerin oder eine Homöopathin suche.

Wegen der Arbeit, soviel steht fest, zieht es sie nicht nach Südamerika. Ihre Motive sind andere als die von Michael Bock. Er sagt: „Die flüchten wohl vor der Plandemie.“ Man hat sich nicht verhört. Bock hat das Wort wirklich gesagt.

Jammern über die Hitze

Er gibt damit aber nur wieder, was viele der Leute behaupten, die dieser Tage in ihren dicken Steppjacken aus dem Flieger aus Deutschland klettern und als erstes über die ungewöhnlich starke Hitze jammern: Dass das Virus eine Erfindung der Regierung sei, dass die Impfungen Mittel zum Zweck seien, um Menschen zu überwachen.

Erfahren haben will Bock das von „Alternativmedien“. Er sagt, eine Tageszeitung habe er schon lange nicht mehr gelesen. Wenn er wissen wolle, was es Neues in seiner Heimat gebe, rufe er seine Tochter in Deutschland an – oder er gehe eben ins Internet.

Auch in Paraguay gibt es eine Maskenpflicht

Bock sagt, er verstehe ja, dass immer mehr Menschen seiner Heimat den Rücken kehrten, weil sie keine Lust darauf hätten, sich von der Politik  gängeln zu lassen. Aber warum sie gerade nach Paraguay kämen, das leuchte ihm nicht ein. Corona-Regeln würden schließlich auch in Südamerika gelten. „In den Bus oder ins Lebensmittelgeschäft kommst Du nicht ohne Maske.“ Auch in seiner Bäckerei gelte die AHA-Formel: Abstand halten, Hygiene beachten und Hände desinfizieren – und Maske tragen.

Bock sagt, er halte den Aufwand für übertrieben. „Ich habe mich auch nur gegen Gelbfieber impfen lassen, nicht gegen Corona.“ Aber  gegen die Regeln zu rebellieren, das käme ihm nicht in den Sinn. Er sagt, der Staat überwache, ob Geschäftsleute die Regeln einhalten. Und er sanktioniere Verstöße mit einem saftigen Ordnungsgeld. Zu Beginn der Pandemie hätten sogar Soldaten auf der Straße patrouilliert. Schon deshalb halte er sich an die Vorschriften.

Das Erbe der Militärdiktatur

Wie groß aber ist der Frust, wenn Menschen in Deutschland alle ihre Zelte hinter sich abbrechen, um am anderen Ende der Welt noch einmal neu anzufangen – in einem Land, das sich nur langsam von den Folgen der Militärdiktatur erholt? Erst 1993 wurde dort der erste demokratisch gewählte Präsident vereidigt. Ein Wendepunkt in der Geschichte eines Landes, das nach dem Zweiten Weltkrieg zum Zufluchtsort für deutsche Kriegsverbrecher wurde. Cicero hat zahlreiche Menschen angeschrieben, die in Auswanderer-Foren Rat suchen. Nur zwei haben sich überhaupt zurückgemeldet.

Es hat in den vergangenen Wochen eine Reihe von Berichten über Auswanderer in Paraguay gegeben. Sie warfen die Frage auf, wie sich Impfgegner in einem Land integrieren wollen, in dem die Mehrheit der Bevölkerung eigentlich ein recht unverkrampftes Verhältnis zum Impfen hat – und vermutlich auch schon längst geimpft wäre, wenn es nur genügend Impfstoff gäbe. Menschen, die behaupten, sie müssten vor einer „Corona-Dikatur“ in Deutschland fliehen, lesen so etwas nicht gerne.

Marion schreibt, sie finde es besser, wenn nicht mehr berichtet werde. Hinterher schrecke man potenzielle Auswanderer noch ab. Sarah und Martin, die schon vor einem Jahr aus dem Ruhrgebiet aufs Land ausgewanderte sind, wollen „an keinem negativen Bericht teilnehmen“.

Das Geschäft mit den Auswanderern

Hinter dem Auswanderungsboom stecke ein großes Geschäft, sagt Thomas Vinke. Der Autor und Fotograf ist bereits 2004 aus dem Rheinland nach Paraguay ausgewandert. Mit seiner Frau produziert er Natursendungen, die erfolgreich im landesweiten Fernsehen laufen. Dass sich deutsche Auswanderer jetzt die Klinke in die Hand geben, beobachtet er durchaus mit Sorge. 2015 hat er diesen Boom schon einmal erlebt. Damals flohen viele Deutsche vor der Flüchtlingskrise. Jetzt sei es eben Corona. Viele wüssten gar nicht, worauf sie sich einließen, sagt Vinke. Sie würden weder spanisch sprechen, noch hätten sie eine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Wer nicht aufpasse, werde Opfer von Deutschen, die schon da seien und sich ihre Dienste gut bezahlen ließen.

Einer von ihnen ist Uwe Hinz. Er hat das Auswandererforum auf Telegram vor einem Jahr gegründet. Um Menschen davor zu bewahren, Schiffbruch zu erleiden, so sagt er im Telefonat mit Cicero. Dass er als Immobilienhändler an dem Boom verdient, räumt er ein. Mit nur zwei Koffern sei er 2007 gekommen. Zu  Hause in Stuttgart habe er sich als Getränkelieferant abgeschuftet und sei trotzdem auf keinen grünen Zweig gekommen. Der Immobilienhandel in Paraguay scheint da lukrativer zu sein. Heute, sagt Hinz, habe er ein großes Haus, ein Auto und zwei Hunde. „Mir geht’s super.“

Warnungen vor „El Paraiso Verde“

Fünf Prozent Provision kassiert er bei jedem Grundstücksverkauf. Er sagt, Ausländer müssten aufpassen, dass sie nicht abgezockt werden. Zwar reichten dafür schon eine Daueraufenthaltsgenehmigung und ein Personalausweis. Aber gekauft werden könnte nur Land mit einem Eigentumstitel. Sonst sei der Vertrag nicht bindend. Wer das nicht wisse, könne viel Geld in den Sand setzen.

Auf Telegram warnt Hinz offen vor der Siedlung „El Paraiso Verde“, die der ehemalige Scientologe und bekennende „Querdenker" Erwin Annau mit seiner Frau Sylvia 2016 auf einem 16 Quadratkilometer großen Areal im Herzen Paraguays errichten will. Ein ambitioniertes Projekt. Es soll Südamerikas größte Urbanisation für Auswanderer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz werden. Auf Youtube wirbt das Paar für „ein Leben so wie früher. Kein Mundschutz. Keine Angst vor Viren und Krankheiten, keine Impfpflicht, natürliche Heilmittel. Menschen umarmen einander, Friede und Glücklichsein.“

In Deutschland jedoch steht das grüne „Paradies“ längst auf dem Index von Sektenbeauftragten. Was Aussteiger über das Leben dort erzählten, ist ernüchternd. Sicherheitskräfte, die jedes Fahrzeug durchsuchen dürfen. Streunende Hunde, die nach zwölf Stunden im Tierasyl abgegeben werden. Besuche, die vorher angemeldet werden müssen. Ein Leben in Freiheit jedenfalls hatten sich viele anders vorgestellt.

Der Mythos von Hitlers Grab in Paraguay 

Uwe Hinz sagt, unter seinen Kunden seien viele gewesen, die das El Paraiso Verde wieder verlassen hätten – und dabei viel Geld verloren hätten. Einige hätten dort Grundstücke gekauft, ohne sich das Areal vorher angesehen zu haben. „Reines Viehland. 1.000 Quadratmeter für 25.000 Euro. Nicht mal eingezäunt“. Für Hinz ist der Fall klar: Annen gehe es nur ums Geschäft. 

Und wie ist das bei ihm? Fragt man ihn, warum er Menschen empfiehlt, nach Paraguay zu kommen, schwärmt er von günstigen Lebenshaltungskosten, dem warmem Wetter, den netten Einheimischen und der Freiheit, die staatlichen Coronaregeln zu ignorieren. Ganz so frei, wie er behauptet, ist das Leben aber auch in Paraguay nicht. Das Land war eines der ersten, das Covid-19-Infizierte in Quarantäne schickte. Insider vermuten, dass der Präsident im Falle eines drastischen Anstiegs der Inzidenzen eher eine allgemeine Impfpflicht verhängen als einen Lockdown ausrufen würde. 

Darüber liest man in dem Telegram-Kanal aber nichts. Hinz sagt, er sei zu Telegram gewechselt, weil er auf Facebook wiederholt gesperrt worden sei. Wer ihn reden hört, den wundert das nicht. Er behauptet zum Beispiel, dass Hitler unter dem Namen Kurt Bruno Kirchner in der Hauptstadt Asuncion begraben liegt und dass auch der Mann von Angela Merkel schon eine Hacienda  in Paraguay gekauft habe.

Gut, dass es sich auch bei dieser Nachricht nur um ein Gerücht handelt. Für die meisten seiner Kunden wäre das vermutlich der absolute Albtraum. Da fangen sie am anderen Ende der Welt noch einmal von vorne an. Und dann wohnen sie Tür an Tür mit Angela. 

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