Osteuropa und die deutsche Russland-Politik - Deutschland, „das trojanische Pferd Putins“?

Die aktuelle deutsche Politik im Ukraine-Konflikt sorgt bei vielen Partnern und Verbündeten für Irritationen. Einen wahren Vertrauensverlust erlebt Deutschland derzeit aber bei den östlichen EU- und Nato-Partnern. In einer Region, die wirtschaftlich und politisch für Deutschland von wichtigerer Bedeutung ist als Russland. 

Rohre für den Bau von Nord Stream 2: Die Pipeline ist vielen östlichen EU-Partnern ein Dorn im Auge / dpa
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Autoreninfo

Thomas Dudek kam 1975 im polnischen Zabrze zur Welt, wuchs jedoch in Duisburg auf. Seit seinem Studium der Geschichts­­wissen­schaft, Politik und Slawistik und einer kurzen Tätigkeit am Deutschen Polen-Institut arbei­tet er als Journalist.

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In der jeden Sonntag im polnischen TVP ausgestrahlten Politik-Talkshow „Woronicza 17“ geht es normalerweise ordentlich zu Sache. Die dort anwesenden Politiker der Regierungs- und Oppositionsparteien beschuldigen sich, beschimpfen sich, ja brüllen sich zum Teil sogar nieder. Die Talkshow ist das Spiegelbild einer politischen Debattenkultur in Polen, in der Lautstärke und nicht selten auch Tritte unter die Gürtellinie wichtiger sind als Fakten und Respekt. Doch in der jüngsten Ausgabe, in der es um die Krise an der ukrainisch-russischen Grenze ging, herrschte in der Sendung erstaunliche Harmonie. Besonders, als man auf die deutsche Haltung im aktuellen Ukraine-Konflikt zu sprechen kam. Als Janusz Kowalski, ein von antideutschen Ressentiments besessener Politiker des kleinen PiS-Partners Solidarna Polska (Solidarisches Polen), Deutschland als ein „trojanisches Pferd Putins“ innerhalb der Nato bezeichnete, blieb diese Aussage selbst von Politikern der Opposition unwidersprochen, die Deutschland eigentlich als Partner sehen.  

Was kein Wunder ist. Denn Berlin verspielt momentan durch seine Haltung in der Ukraine-Krise in Polen und ganz Ostmitteleuropa sehr viel Vertrauen. Auch bei jenen Kräften, die Deutschland bisher eher positiv gegenüberstanden. „Putin reibt sich genüsslich die Hände, während er im polnischen Staatsfernsehen den Berichten lauscht, in denen Hass auf Deutschland und die Deutschen geschürt wird“, schrieb noch im November der Rzeczpospolita-Chefredakteur Bogusław Chrabota in einem Text, den auch Cicero als Wiederabdruck veröffentlichte. Doch bereits in der vergangenen Woche konnte man in der konservativen Tageszeitung lesen, dass „Deutschland die Einheit des Westens zerschlage“. Nicht anderes klingen momentan die Kommentare in Prag oder den Hauptstädten der baltischen Staaten. Sowohl bei Politikern als auch in den Medien. 

Streitobjekt Nord Stream 2 

Was nicht bedeutet, dass das Verhältnis der ostmitteleuropäischen Länder zu Deutschland in den vergangenen Jahren harmonisch war. Die umstrittene Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 stößt in der Region seit Jahren auf Unverständnis und Kritik, was von deutscher Politik größtenteils ignoriert wurde. Man hatte und hat nicht nur Sorge, dass der Kreml die Einnahmen für militärische Zwecke nutzt oder durch die Pipeline Energielieferungen als politisches Druckmittel gegen seine Nachbarn einsetzt. Man fürchtet auch, dass Putin so vor allem Einfluss auf die deutsche Politik nehmen könnte. 

Befürchtungen, die sich nun aus Sicht dieser Länder bestätigen. Bereits die von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert getätigte Äußerung, dass man Konflikte nicht herbeireden solle, „um Projekte auf diesem Wege zu beerdigen, die einem schon immer ein Dorn im Auge waren“, wurden zwischen Warschau und Tallinn, wo man den Aufmarsch der über 100.000 russischen Soldaten an der Grenze zur Ukraine mit Sorge betrachtet, ebenso mit Unverständnis aufgenommen, wie die Behauptung von Bundeskanzler Scholz, bei Nord Stream 2 handele es sich um ein rein privatwirtschaftliches Projekt.  

Misstrauen gegen den Partner Deutschland  

Die jüngsten Nachrichten über britische Militärflugzeuge, die Panzerabwehrraketen an die Ukraine geliefert und dafür einen Umweg über die Nord- und Ostsee genommen haben, weil die Royal Air Force angeblich an einer Überflugsgenehmigung Deutschlands zweifelte, und Berlins Veto gegenüber Estland, welches Geschütze aus alten NVA-Beständen an die Ukraine liefern wollte, ließen in der Region die Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit Deutschlands als Partner endgültig groß werden. Die aktuellen Schlagzeilen um die umstrittenen Aussagen von Marineadmiral Kay-Achim Schönbach sind da nur noch das I-Tüpfelchen. Als eine „große Enttäuschung“ bezeichnete Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki am Dienstag die deutsche Politik in der aktuellen Krise. 

Es ist ein Misstrauen, welches jedoch nicht nur der aktuellen „Wasserstoff-Diplomatie“ der Bundesregierung gilt. Die Forderung des neuen CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, wonach mögliche Sanktionen gegen Russland nicht das internationale Banken-Zahlungssystem Swift betreffen sollten, haben die östlichen Partner ebenfalls genau registriert, ebenso wie Söders jüngste Warnungen vor Sanktionen gegen Nord Stream 2. Nicht vergessen hat man in Ostmitteleuropa auch, dass es ausgerechnet die Bundesregierung der CDU-Kanzlerin Merkel war, die kurz nach der Annexion der Krim durch Russland und dem Ausbruch des Krieges in der Ostukraine trotz aller Kritik den Bau von Nord Stream 2 genehmigte.  

Ostmitteleuropa wichtiger als Russland 

Ob Deutschland bei der Bedrohungslage Waffen an die Ukraine liefern sollte, sei dahingestellt. Doch bei allen diplomatischen Bemühungen um eine Deeskalation der Lage sollte den handelnden Politikern in Berlin bewusst sein, dass es auch im deutschen Interesse ist, die Sorgen und Meinungen der Partner im Osten nicht zu ignorieren. Allein schon wegen der in diesen Tagen oft zitierten historischen Verantwortung Deutschlands. Wenn die tschechische Verteidigungsministerin Jana Černochová die von ihr angekündigten Waffenlieferungen an Kiew mit der „gemeinsamen Geschichte“ mit der Ukraine begründet, da man „zusammen in sowjetischer Knechtschaft“ war, dann sollte man in Deutschland nicht vergessen, dass diese Knechtschaft auch das Ergebnis des von Deutschland ausgelösten Zweiten Weltkrieges war. Noch mehr gilt dies für Litauen, Lettland und Estland, die durch den Hitler-Stalin-Pakt für fünf Jahrzehnte ihre Unabhängigkeit verloren haben. Heute versucht Moskau, wieder Einfluss auf die Politik der drei baltischen Staaten zu nehmen, indem es unter anderem den Abzug der Nato-Truppen von dort fordert. Also aus drei Staaten, die seit 2004 Mitglieder des Bündnisses sind. 

Mehr Respekt Berlins gegenüber den Sorgen und Anliegen der sich von Russland bedroht fühlenden Partner wäre aber nicht nur historisch begründet, sondern auch aus knallharten wirtschaftlichen Interessen. Wenn man bei den ganzen Debatten über Sanktionen gegen Russland auf die Folgen für die deutsche Wirtschaft verweist, dann sollte nicht vergessen werden, dass die Länder Ostmitteleuropas ein viel wichtigerer Handelspartner sind als Russland mit seinen 140 Millionen Einwohnern. Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Litauen, Lettland und Estland haben zusammen zwar nur 70 Millionen Einwohner, sind aber ein sechsmal größer Exportkunde als Russland. 2020 verkaufte Deutschland Waren im Wert von fast 150 Milliarden Euro nach Ostmitteleuropa. Nach Russland waren es lediglich Produkte im Wert von 23 Milliarden Euro. Wenn man dann noch bedenkt, dass mit der Slowakei und den baltischen Staaten gleich vier Länder der Region Mitglied der Eurozone sind und wie viel deutsche Unternehmen in der Region investiert haben, dann wird einem die Bedeutung der Länder für die deutsche Wirtschaft noch bewusster. 

USA als Hoffnungsträger 

Und auch bezüglich der eigenen Europapolitik sollte die Bundesregierung die Sorgen der ostmitteleuropäischen Länder gegenüber Russland ernstnehmen. So mag die im Koalitionsvertrag hervorgehobene Vision von einer föderalen Europäischen Union, die beispielsweise schon heute in Polen auf wenig Gegenliebe stößt, sehr löblich sein, dürfte aber bei den östlichen EU-Partnern bei der jetzigen Ostpolitik der Bundesregierung eher für belustigtes Kopfschütteln sorgen. Die aktuellen Aussagen aus Deutschland sind für sie nur ein weiterer Beleg dafür, dass sie sich bei sicherheitspolitischen Fragen mehr auf die USA verlassen können als auf den EU-Partner Deutschland. 

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