Österreich - Der beschädigte Kanzler

Ermittlungen gegen Österreichs Kanzler Sebastian Kurz wegen Falschaussage, Hausdurchsuchung bei seinem Finanzminister: In der Alpenrepublik gerät die ÖVP unter Druck. Kommt es noch in der Pandemie zu Neuwahlen?

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz während eines Round Table / dpa
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Simone Brunner lebt und arbeitet als freie Journalistin in Wien. Sie hat in Sankt Petersburg und in Wien Slawistik und Germanistik studiert und arbeitet seit 2009 als Journalistin mit Fokus auf Osteuropa-Themen.

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Die Impfungen haben Fahrt aufgenommen, die Covid-19-Fallzahlen sinken und vorige Woche konnten auch wieder die Lokale im ganzen Land öffnen: Es sind eigentlich gute Nachrichten, die dieser Tage aus Österreich kommen. Für den Kanzler gilt das derweil nur bedingt. Ermittlungen, Chatprotokolle, sinkende Umfragen: Es läuft nicht rund für Sebastian Kurz.

Gegen Kurz wird wegen „Falschaussage“ vor dem parlamentarischen Ibiza-Untersuchungsausschuss ermittelt. Konkret geht es um die Bestellung eines ÖVP-nahen Funktionärs an die Spitze der Österreichischen Beteiligungs AG, kurz ÖBAG, die Beteiligungen der Republik Österreich an einigen börsennotierten Unternehmen verwaltet. Während Kurz im Ausschuss beteuerte, nicht in die Bestellung involviert gewesen zu sein, legen Chatprotokolle etwas ganz anderes nahe. Wenn sich der Verdacht erhärtet, könnte es zu einer Anklage kommen. Es wäre selbst für österreichische Verhältnisse ein beispielloser Vorgang, in dieser an beispiellosen Vorgängen nicht gerade armen Alpenrepublik: Ein Kanzler auf der Anklagebank.

Der Glanz ist ab

Kurz, der die rechtskonservative ÖVP mit seinem „türkisen Kurs“ zuletzt von Wahlerfolg zu Wahlerfolg führte, hat an Glanz verloren. Die Ibiza-Affäre, die vor fast genau zwei Jahren die Koalition mit der rechtspopulistischen FPÖ sprengte, führte zur Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, in dem aber nicht so sehr die FPÖ unter Ex-Obmann und Vize-Kanzler Heinz-Christian Strache, sondern zunehmend die ÖVP selbst in Bedrängnis gerät.

Im März wurden Chatprotokolle publiziert, die im Rahmen der Ibiza-Ermittlungen ans Licht gekommen sind. Darin korrespondieren Kurz, sein enger Vertrauter und Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) und der zum Zeitpunkt der Protokolle hohe Mitarbeiter im Finanzministerium, Thomas Schmid. Es sind Nachrichten, die Postenschacher innerhalb der türkisen Netzwerke nahelegen, und das in intimer Tonalität, Emojis inklusive. Dabei ging es um den Chefposten der ÖBAG, die immerhin staatliche Beteiligungen in Höhe von mehr als 26 Milliarden Euro verwaltet. Ein Posten, der, wie die Chats nahelegen, Schmid trotz fehlender internationaler Qualifikation zugeschanzt wurde. „Kriegst eh alles, was du willst“, schrieb ihm Kurz in einer Nachricht, gefolgt von drei Kuss-Emojis. „Ich liebe meinen Kanzler!“, tippte Schmid zurück, Daumen hoch und Oberarm-Symbol.

Es drohen drei Jahre Haft

Das könnte man als kleine rhetorische Peinlichkeit abtun. Postenschacher und Klientelismus gehören in Österreich seit Jahrzehnten zur politischen Kultur. Wäre da nicht Kurz’ Auftritt beim Untersuchungsausschuss im Juni des Vorjahres, als er seine eigene Rolle bei der Besetzung Schmids kleinredete und verneinte, in die Bestellung Schmids direkt involviert gewesen zu sein. Es mag wie ein Bagatelldelikt wirken, aber vor dem U-Ausschuss gilt Wahrheitspflicht, wie auch vor Gericht. Wer dagegen verstößt, dem drohen bis zu drei Jahre Haft.

Kurz preschte noch am Tag, als die Ermittlungen publik wurden, mit der Stellungnahme vor, auch bei einer Anklage „selbstverständlich nicht“ als Kanzler zurücktreten zu wollen. Offen lässt er auch, ob er es überhaupt bei einer Verurteilung täte. So oder so wäre ein angeklagter oder verurteilter Kanzler, der weiter im Amt bleibt, ein Novum in der österreichischen Politik, die ohnehin nicht für eine ausgeprägte Rücktrittskultur bekannt ist.

Schwerer Imageschaden

Wie die Causa auch ausgeht: Sie kratzt schwer am Image des Kanzlers, der vor seinem ersten großen Wahlsieg 2017 einen „neuen Stil“ versprochen hatte, neue Parteifarbe, politische Quereinsteiger und „Message Control“, eine strikte Kommunikationslinie gegenüber den Medien. Doch nicht zuletzt die Chatprotokolle lassen tief blicken in das „House of Kurz“ und seine türkisen Netzwerke, wie der Politico-Deutschland-Chef Matthew Karnitschnig, in Anlehnung an „House of Cards“, über die österreichische Politik schrieb. Es ist noch nicht lange her, da wurde Kurz als Wunderkind der europäischen Konservativen gefeiert, gerade auch in Deutschland. Diese Zeiten sind inzwischen wohl vorbei.

Für die ÖVP kommt erschwerend hinzu, dass sich die Causa Ibiza nicht nur auf Kurz, sondern auch auf seinen engen Vertrauten und Finanzminister Gernot Blümel ausgeweitet hat. Blümel hatte im U-Ausschuss angeforderte Unterlagen zuletzt erst herausgerückt, nachdem der Verfassungsgerichtshof den österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen dazu aufgefordert hatte. Ein Vorfall, der in der Republik ebenso einzigartig ist. „Die Sache ist für die ÖVP aus dem Ruder gelaufen“, kommentierte zuletzt die konservative Innenpolitik-Journalistin Anneliese Rohrer, die der ÖVP auch „mangelnden Respekt“ gegenüber den Institutionen vorwarf. Bizarr war zudem der Vorstoß des ÖVP-Politikers und Vorsitzenden im U-Ausschuss, Wolfgang Sobotka, der laut über die Abschaffung der Wahrheitspflicht in eben diesem Ausschuss nachdachte.

Der Wähler wendet sich ab

Kommt es wohl zu Neuwahlen? Gerüchte gibt es. Doch letztlich könnte keine der Parteien ein wirkliches Interesse daran haben, zumindest will niemand als treibende Kraft dastehen, inmitten der Pandemie. Mit 27 Prozent ist Sebastian Kurz in der „Sonntagsfrage“ laut Umfrage des Nachrichtenmagazins „Profil“ zwar noch immer unangefochten Nummer eins in der österreichischen Wählergunst. Von den 55 Prozent, bei denen er im April 2020 mit seinem Corona-Management lag, ist seine Umfragemacht aber inzwischen aber weit entfernt.

In der Bredouille bringt die Causa Kurz nicht zuletzt die Grünen, der Juniorpartner in der Koalition, der bei den Wahlen für saubere Politik und gegen Korruption angetreten ist. ÖVP und Grüne – ein Experiment, „das Beste aus beiden Welten“, wie es damals hieß. Anklagebank und Regierungsbank, das passe nicht zusammen, heißt es immer wieder aus grünen Kreisen zur Causa Kurz. Betont wird außerdem gerne, dass es gerade das grün geführte Justizministerium unter Alma Zadic sei, das die unabhängigen Ermittlungen gegen Kurz und sein Netzwerk erst ermögliche. Sprengen die Grünen indes die Regierung und kommt es zu Neuwahlen, noch mitten in der Pandemie, werden sie damit wohl nicht gerade bei den Wählern punkten können. Es ist nicht lange her, dass die Grünen bei der Nationalratswahl 2017 sogar aus dem Parlament geflogen sind. Ein Trauma, das noch tief sitzt und ein Risiko, das sie wohl nur mit großem Bauchweh eingehen würden.

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