Neue Geheimdienst-Leaks über Ursprung des Corona-Virus - Was wusste China?

Berichte über Geheimdienst-Leaks legen nahe, dass Peking sehr wohl wusste, was es mit dem Corona-Virus auf sich hat und wo dessen Ursprünge liegen. Auch die Möglichkeit eines gezielten Einsatzes als Bio-Waffe wird nicht ausgeschlossen. Aber wie verlässlich sind diese Informationen – und wem nützen sie?

Bewohner Wuhans stehen mit Regenschirmen in einer Schlange, um sich einem Corona-Test zu unterziehen / dpa
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Autoreninfo

George Friedman, 74, ist einer der bekanntesten geopolitischen Analysten der Vereinigten Staaten. Er leitet die von ihm gegründete Denkfabrik   Geopolitical Futures  und ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien „Der Sturm vor der Ruhe: Amerikas Spaltung, die heraufziehende Krise und der folgende Triumph“ im Plassen-Verlag.

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In einem Interview wurde der Immunologe und US-Regierungsberater Anthony Fauci unlängst gefragt, ob er davon überzeugt sei, dass sich Covid-19 auf natürliche Weise entwickelt habe. Nur zur Erinnerung: Fauci hatte lange behauptet, dass eine andere Entstehungsgeschichte zwar nicht unmöglich, das Virus aber aller Wahrscheinlichkeit nach ein Produkt der natürlichen Evolution sei.

Aber dieses Mal sagte er etwas Bemerkenswertes: „Nein, eigentlich nicht. Ich bin davon nicht überzeugt. Ich denke, wir sollten weiter untersuchen, was in China vor sich ging, bis wir nach bestem Wissen und Gewissen herausgefunden haben, was wirklich passiert ist.“ Mit anderen Worten: Er erwähnte die Möglichkeit eines unnatürlichen und damit vorsätzlich auf Schaden ausgerichteten Ursprungs.

Ich gehe nicht mit Verschwörungstheorien hausieren, aber mein Job verlangt es oft, dass ich des Teufels Advokaten spiele. Also lassen Sie uns das hier tun.

Forscher mit Covid-Symptomen

Schauen wir auf die zusätzlichen Informationen. Kurz nachdem Faucis Erklärung veröffentlicht wurde, brachte das Wall Street Journal eine Geschichte über ein Geheimdienst-Leak (um welchen Dienst es sich dabei handelte, blieb offen), wonach im November 2019 drei Forscher aus einem Labor in Wuhan mit Covid-ähnlichen Symptomen ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Das war einen Monat, bevor China die ersten Covid-Fälle meldete. 

Diese angebliche Geheimdienst-Information implizierte, dass die drei Personen sich die Krankheit irgendwie im Labor eingefangen hatten, und dass die chinesische Regierung wusste, warum sie krank geworden waren.

Das aktuelle Timing lässt sicherlich aufhorchen. Es scheint mir, dass Fauci die Erklärung mit Einwilligung des Weißen Hauses abgab, dass das Weiße Haus zumindest von der undichten Stelle wusste und ihr erlaubte, aktiv zu werden – und dass beides miteinander in Verbindung stand und zu irgendeinem bestimmten Zweck geschah.

Der WHO Druck machen?

Ein mögliches Ziel könnte dem Wall Street Journal zufolge darin bestehen, die Weltgesundheitsorganisation vor ihrem bevorstehenden Zusammentreffen dazu zu bewegen, ihre Erkenntnis, wonach Corona das Ergebnis natürlicher Ursachen war, noch einmal auf den Prüfstand zu stellen.

Eine andere mögliche Erklärung: Es handelt sich um den Versuch des Weißen Hauses, China wissen zu lassen, dass es schon die ganze Zeit über die Wahrheit kannte – aber die Dinge so laufen ließ, wie sie liefen, um die bilateralen Beziehungen nicht zu verschlechtern. Anders ausgedrückt: Es war eine Geste, die China dazu bringen sollte, von sich aus reinen Tisch zu machen.

Damit verbunden ist auch ein innenpolitischer Aspekt. Während des gesamten Wahlkampfes hat Joe Biden den damals noch amtierenden Präsidenten Donald Trump in jeglicher Hinsicht verunglimpft (wie es Herausforderer immer tun) – und zwar auch mit Blick auf Trumps Anschuldigung, China sei für das Virus verantwortlich. Wenn China aus irgendeinem Grund tatsächlich dafür verantwortlich gewesen sein sollte, wäre es für Biden sinnvoll, einer diesbezüglichen Enthüllung zuvorzukommen, um nicht völlig dumm dazustehen.

Chinas strategische Waffen

Der Reputationsaspekt gilt auch für Peking. Wenn die Chinesen an der Entstehung des Virus aktiv beteiligt gewesen sein sollten, dürften sie mit ihrer Verschleierungstaktik ihre Inkompetenz und Dummheit haben verbergen wollen. Eine der strategischen Waffen Chinas ist die Erzählung, dass es über Millionen von Experten verfügt, die mit hoher Professionalität daran arbeiten, die Welt zu dominieren.

Tatsächlich hat China viele kluge Leute und erschafft mitunter sehr erfolgreiche Industriezweige, doch dabei unterlaufen dem Land auch Fehler wie den übrigen Ländern der Welt. Sollte das Virus im Labor entstanden und von dort nach draußen gelangt sein, entstünde der Eindruck von Inkompetenz. Und China kann sich das Eingeständnis von solcherlei Inkompetenz schlicht nicht leisten.

Außer Kontrolle

Vielleicht wussten chinesische Behörden nicht so genau, was eines ihrer Labore da in die Welt gesetzt hatte und welche dramatischen Folgen damit einhergehen würden. Aber Peking war klar, dass es dumm dastehen würde – und diese Blöße konnten sich weder die Führungskräfte im Labor von Wuhan noch das Zentralkomitee leisten. China hätte demnach versucht, die Ereignisse zu vertuschen, und in der Folge davon geriet alles erst recht außer Kontrolle.

Kommen wir nun zurück auf den Boden der Tatsachen. Keine dieser Erklärungen beantwortet die Frage, warum China überhaupt ein solches Virus hätte herstellen sollen. Die Produktion einer biologischen Waffe mag für einige Regierungen verlockend sein, aber es sind eben auch Waffen, die am Ende den Schützen selbst treffen können. Worin genau würde also der tiefere Sinn eines solchen Unterfangens liegen?

Wenn wiederum die Chinesen ein reines Forschungsinteresse an solchen Möglichkeiten der biologischen Kriegsführung gehabt hätten, warum dann keine Experimente außerhalb eines großen Ballungsgebiets? Warum hatte man dann kein medizinisches Team vor Ort, das sich um die Infizierten hätte kümmern können, anstatt sie aus dem Labor herauszulassen?

Inkompetent oder ignorant?

Sollten die Chinesen das Virus fabriziert haben, wären sie entweder völlig inkompetent gewesen oder ignorant im Hinblick auf die Gefährlichkeit ihres Erzeugnisses. Ich glaube nicht, dass die Chinesen dumm sind. Das Virus versehentlich in die Welt zu setzen, erscheint mir plausibler, als es absichtlich auf die eigene Bevölkerung loszulassen – vor allem, wenn man bedenkt, dass China wahrscheinlich auch in der Lage ist, eine absichtlich hergestellte Bio-Waffe gezielt gegen seine Feinde einzusetzen.

Das bringt mich zu meinem nächsten Punkt. Wenn das Virus dazu gedacht gewesen sein sollte, die Welt zu destabilisieren und China den Aufstieg zum globalen Hegemon zu ermöglichen, dann würde Peking immer noch an der Tatsache vorbeioperieren, dass die Volksrepublik der größte Exporteur der Welt ist. China ist auf Exporte angewiesen, um seine Wirtschaft am Laufen zu halten. Seine Kunden umzubringen oder zumindest extrem zu schwächen, das wäre gewiss ein schlechtes Geschäft. Außerdem hat die Pandemie der chinesischen Wirtschaft genauso geschadet wie anderen auch.

Natürlich existiert die Möglichkeit, dass das Virus einfach nur „passiert“ ist – so etwas kann man nie ausschließen. Die jüngsten Geheimdienst-Leaks müssten dann als Bemühen gewertet werden, eine Erklärung für etwas zu bieten, das außer Kontrolle geraten war. Wenn es Biden um eine abermalige WHO-Untersuchung gegangen wäre, hätte er ja auch einfach darum bitten können. Und wenn Washington sich gegenüber China hätte bedeckt halten wollen, dann hätte es einfach auf informelle Kanäle zurückgreifen können.

Neue Sichtweise

Ich weiß nicht, was genau in den Geheimdienstberichten stand, und ich weiß auch nicht, warum das Weiße Haus offenbar auf eine neue Erzählung abzielt. Ich weiß nur, dass eine neue Sichtweise auf die Ursachen von Corona die öffentliche Meinung über China nachhaltig verändern und beschädigen können. Die Sicht der Welt auf China und seine Beziehungen zu seinem Hauptgegner, den Vereinigten Staaten, sind in dieser Hinsicht essenziell.

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