Nato-Russland-Gespräche - Aufs Scheitern vorbereitet

Am 12. Januar soll erneut der Nato-Russland-Rat einberufen werden. Zur Vorbereitung versammelten sich vergangene Woche die Nato-Außenminister, um zu beratschlagen, wie mit den Forderungen der russischen Seite umzugehen ist. Doch wenn Putin beschließen sollte, die Ukraine anzugreifen, werden ihn auch Gespräche mit der Nato nicht davon abhalten.

Leitete das digitale Treffen der Nato-Außenminister: Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg / dpa
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat vor den Gesprächen im Nato-Russland-Rat nächste Woche die Aufgabe, die Reihen der westlichen Allianz geschlossen zu halten. Bisher ist es ihm gelungen. Er wird sich wappnen müssen, Versuche Russlands abzuwehren, Interessenunterschiede zwischen den Mitgliedern der Allianz auszunutzen. Denn es ist noch gar nicht klar, welchen Verlauf die Gespräche mit der russischen Regierung nehmen, die am Sonntag und Montag zuerst von den USA bilateral geführt werden, woran sich zwei Tage später Verhandlungen mit den Nato-Staaten und tags darauf Gespräche im OSZE-Kreis anschließen. Einig scheinen sich die kommentierenden Bewertungen darin zu sein, dass allein die Tatsache, dass gesprochen wird, positiv sei. So als hätte das Motto „Solange gesprochen wird, wird nicht geschossen“ auch bei Präsident Putin Gültigkeit. Das stimmt nur leider nicht.  

Es ist nicht bekannt, ob Präsident Putin schon entschieden hat, die Ukraine anzugreifen und weitere Teile ihres Territoriums zu besetzen oder nicht. Falls er dies entschieden hat, werden ihn Gespräche nicht abhalten. So wie ihn die Gespräche mit Frankreich, der Ukraine und Deutschland im Normandie-Format nicht davon abhielten, gleichzeitig militärisch vorzugehen und die Region Donbass weiter zu destabilisieren. Dass Präsident Putin nicht schießt, wenn er spricht, kann nur glauben, wer die Scheuklappen schmerzhaft eng geschlossen hat. Zwei weitere Beispiele: Während der Olympiade im August 2008 in Peking eskalierte der Krieg Russlands in Georgien. Während der Olympiade im Februar 2014 in Russland entschied Putin die Annexion der Krim. Und setzte sie kurz darauf um.  

Das Argument der Ohnmächtigen

Der russische Präsident kennt keine Hindernisse, wenn er sich zu militärischem Eingreifen entschieden hat. Gespräche mit europäischen Staaten wären dies allemal nicht. Wahrscheinlich würden deren Vertreter im Eskalationsfall im Osten der Ukraine auch noch auf das Argument verfallen, dass man nun erst recht sprechen müsse. Und damit ist gemeint: nur reden. Es ist das Argument der Ohnmächtigen, die sich ihre Handlungsunfähigkeit nicht eingestehen. Wie 2016, als der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier über die Manöver der Nato zum Schutz der osteuropäischen Mitgliedstaaten mit Blick auf die russische Gewaltanwendung in der Ukraine sagte: „Was wir jetzt nicht tun sollten, ist durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen.“ Das war damals schon eine krasse Fehleinschätzung der Lage und wirkt heute wie die Karikatur von Außenpolitik. Dass seine Nachfolgerin nun meint, die Stärke der Nato werde nicht durch „Panzer und Raketen“ – pars pro toto für militärische Fähigkeiten – gemessen, liegt ganz auf dieser Linie, die den Zweck  von Abschreckung nicht versteht.  

Die russische Seite hat offengelegt, welche Forderungen sie in den Gesprächen der nächsten Tage durchsetzen möchte: Keine amerikanischen Nuklearwaffen in Europa. Keine Nato-Truppen in den Nato-Mitgliedstaaten, die ehemals dem Warschauer Pakt angehörten. Keine militärische Kooperation der Nato mit ehemaligen Sowjetrepubliken; sie sollen der Nato auch nicht beitreten dürfen. Klar ist, dass die Nato diesen Forderungen nicht entsprechen kann, ohne ihre Auflösung in Kauf zu nehmen. Deswegen wurde gemutmaßt, dass die russischen Forderungen absichtlich so formuliert wurden, dass sie unerfüllbar sind. Denn ihre Ablehnung könnte dann einen Vorwand für militärisches Eingreifen bilden. Es hieße dann: „Wir haben es ja versucht, aber die Gegenseite wollte ihre Aggressionen nicht zurückfahren.“ Die Gespräche der nächsten Tage könnten so der russischen Regierung in den Augen der russischen Öffentlichkeit Legitimation für ihr Handeln verschaffen. Die Nato kalkuliert das jedenfalls ein. Die Gespräche können scheitern: „Die Gefahr eines Konflikts ist real“, sagte Stoltenberg.  

Diametral unterschiedliche Prinzipien

Der französische Präsident Macron nannte als ein Ziel der Gespräche „eine Bestandsaufnahme der Meinungsverschiedenheiten, um die Zukunft gestalten zu können“. Das ist süß formuliert. Die „Meinungsverschiedenheiten“ sind bekannt, es sind diametral unterschiedliche Prinzipien über die Ordnung der internationalen Beziehungen: die Souveränität von Staaten, ihre Bündnisse selbst zu wählen, versus Einflusszonen der wenigen Großmächte, in die sich kleinere Staaten einzuordnen haben. Verdeutlicht haben die Entwicklungen der letzten Wochen auch, dass die Eskalationsdominanz hinsichtlich der Gestaltungskraft für die Zukunft der europäischen Sicherheitsordnung derzeit beim russischen Präsidenten liegt. Die Nato und das Verhältnis der USA zu den europäischen Mitgliedstaaten können also unter starken Druck geraten.  

Für die Nato bergen die Gespräche auch drei Chancen. Die erste liegt darin, Russland von einer Invasion in der Ukraine abzuhalten. Ob wirtschaftliche Sanktionen und Rüstungslieferungen an die Ukraine dazu ausreichen, wird sich zeigen. Das ist ein Risiko bei den anstehenden Beratungen. Falls eine Invasion nicht abgewendet werden kann, könnte dies zweitens die Bedeutung der militärischen Allianz für die Selbstbestimmung und Sicherheit ihrer Mitglieder stärken, falls die USA sich weiterhin eng an Europa binden lassen und keine pazifistischen Bewegungen entspringen. Dann wird klar, dass sich die Fähigkeiten der Nato auch in Panzern und Raketen messen. Schließlich könnte drittens in das kollektive öffentliche Bewusstsein treten, was durch die Selbstvernebelung der Debatte derzeit oft nur schemenhaft gesehen wird: dass die russische Regierung aggressiv handelt und das Land seine imperialistische Agenda wieder aufgenommen hat. Auf dieser Grundlage könnte eine realistische Russlandpolitik aufsetzen: Abschreckung, Rüstungskontrolle und wirtschaftliche Anreize wären ihre Bestandteile. Das läge auch im Interesse Russlands. Ob dies die russische Regierung ebenso sieht, würde sich dann zeigen.  

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