Mordfall im Tiergarten Berlin - „Auch für Russland muss die Unschuldsvermutung gelten“

Seit der Generalbundesanwalt die Ermittlungen im Tiergartenmord übernommen hat, brodelt die Gerüchteküche. Für einige Medien steht schon fest, dass der russische Geheimdienst den Mord in Auftrag gegeben haben soll. Doch reichen die Beweise, um bereits einen zweiten Fall Skripal daraus zu machen?

Suche nach Beweisen: Ist der Kreml in den Tiergartenmord verwickelt? / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Konstantin von Notz ist Jurist und stellvertretender Fraktionschef der Grünen. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes. 

Herr von Notz, im Fall des in Berlin ermordeten Georgiers Zalimkhan Kangoshvili verdichten sich die Hinweise, dass der Mann von einem Auftragskiller umgebracht wurde. Sie haben schon im September gefragt, warum das Verfahren noch nicht beim Bundeskriminalamt lag. Warum?
Schwerwiegende Verdachtsmomente, dass eine fremde Macht in den Mord involviert sein könnte, hat es – zum Beispiel wegen der Erkenntnisse zu Visa und Pass des Verdächtigen – von Anfang an gegeben. Wir fanden, dass der Fall zum Generalbundesanwalt gehört, der genau diesen Verdacht dann mit allen Mitteln bestätigen oder entkräften kann, die nur ihm zur Verfügung stehen.  

Das Verhalten des Täters wirkte auf den ersten Blick wenig professionell. Ein Auftragskiller, der sich von hinten  mit dem Fahrrad nähert und der nach dem Mord Rucksack, Waffe und Perücke in die Spree wirft, das klingt nach einem B-Movie.
Das Leben ist häufiger ein B-Movie, als man denkt. Wenn es nicht zwei aufmerksame Zeugen gegeben hätte, wäre der Verdächtige wahrscheinlich geflohen und nicht in Haft. Nach allem, was man heute weiß, gab es gut vorbereitete und detaillierte Fluchtpläne. Deswegen würde ich mich nicht festlegen wollen und von einer unprofessionellen Anmutung der Tat sprechen.

Inzwischen weiß man, dass der Täter auf ähnlichem Weg schon 2013 einen russischen Kaufmann getötet haben soll – und dass russische Behörden seine Pass-Daten gelöscht haben – möglicherweise, um ihn zu decken. Reicht das schon, um ihm einen Auftragsmord anzuhängen?
Nein, natürlich nicht. Man muss das sowohl auf der individuellen als auch auf der internationalen Ebene sehen. Für beide Ebenen, für Russland und den Tatverdächtigen, muss die Unschuldsvermutung gelten. Bislang gibt es nur starke Verdachtsmomente gegen den Mann, der in Haft sitzt. Wir sollten die konkreten Ermittlungsergebnisse  abwarten. Sollte sich herausstellen, dass sich die Hintergründe der Tat tatsächlich so gestalten, wie manche derzeit glauben, dann sind das sehr gravierende Vorwürfe, die ernste Konsequenzen nach sich ziehen müssen. 

Konstantin von Notz / picture alliance

Bleibt die Frage, wer der Auftraggeber war. Der Ermordete hat im Tschetschenien-Krieg als Anführer gegen russische Truppen gekämpft. Er soll dann die Seiten gewechselt und auch für den amerikanischen Geheimdienst gearbeitet haben. Inwiefern könnte so jemand für Russland gefährlich sein?
Da könnte ich spekulieren, und das will ich nicht. Solange sich alles im Konjunktiv bewegt, rate ich allen zur Zurückhaltung. Nur der Generalbundesanwalt, das Bundeskriminalamt und die anderen Sicherheitsbehörden können jetzt Licht in die Geschichte bringen. Aus dem Umstand, dass der Generalbundesanwalt das Verfahren übernommen hat, allein abzuleiten, wer für die Tat verantwortlich ist, wäre voreilig und rechtsstaatlich fragwürdig.

Es kursiert das Gerücht, dass der Ermordete damals den Vater von Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow umgebracht hat – und dass der Mord an ihm ein Racheakt war. Mit Putins Hilfe. Wie plausibel finden Sie diese These?
Man kann nicht auf der Basis von Gerüchten so gravierende Anschuldigungen formulieren. Es muss um konkret Beweisbares gehen. Jetzt ist die Zeit der Ermittler. Wir sollten die unabhängige Justiz ihre Arbeit machen lassen. 

Der staatliche Propaganda-Sender Russia Today hat darüber spekuliert, dass es der sogenannte Islamische Staat gewesen sein könnte, für den der Ermordete anfangs im Tschetschenien-Krieg gekämpft hat.
Auch für solche Theorien gilt, was ich eben gesagt habe. 

Ihr Fraktionskollege Omid Nouripour sieht das offenbar anders. Er hat die Bundesregierung aufgefordert, die Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu verschärfen.
Wenn sich herausstellt, dass die im Raum stehenden Vorwürfe stimmen, muss die Bundesregierung – gegebenenfalls auch europäisch abgestimmt – entschlossen reagieren. 

Als Reaktion auf den Mord hat die Bundesregierung  zwei russische Diplomaten ausgewiesen. Eine angemessene Reaktion? 
Nach Aussage der Bundesregierung ist diese Ausweisung erfolgt, weil die Beteiligung der russischen Behörden an der Aufklärung unzureichend gewesen sei. Dazu kann ich mir kein Urteil erlauben. Hierzu müsste das Parlament ausführlicher von der Bundesregierung informiert werden - übrigens proaktiv, hierfür setze ich mich ein. Vorgezogene Schnellschüsse, die man eventuell im Nachhinein relativieren muss, haben immer ein hohes Schadenspotenzial.

Aber im Fall des Giftgas-Angriffs auf den Ex-Spion Sergej Skripal lag die britische Regierung richtig. Zwei russische Geheimdienstler wurden mittlerweile als Täter identifiziert. 
Das ist richtig. In diesem Fall haben sich die Vermutungen weitestgehend bestätigt. Dann sind auch Konsequenzen richtig. Aber man muss auch sagen, dass die Bundesregierung in der Vergangenheit in vergleichbaren Fällen nur sehr zögerlich bis verhalten reagiert hat, wenn Sie zum Beispiel an den Fall des  jungen Vietnamesen denken, der an helllichtem Tag in Berlin entführt und zurück nach Vietnam gebracht wurde. Da hat man sehr spät und sehr leise auf diese Ungeheuerlichkeit reagiert, obwohl man wusste, wer hier die Fäden gezogen hat.  

Russland soll die Mithilfe bei der Aufklärung nach den Worten der Kanzlerin abgelehnt haben. Kann sich Russland das vor dem Hintergrund der europäischen Sanktionen wegen seiner Rolle im Ukraine-Krieg leisten?
Ich glaube, jedes Land, das mit solchen Vorwürfen konfrontiert wird, sollte schon im eigenen Interesse dabei helfen, einen solchen Verdacht auszuräumen.

Wenn sich herausstellt, dass der Auftragskiller aus dem Tiergarten im russischen Auftrag handelt, ist es Staatsterrorismus. Das heißt, man geht davon aus, der Angriff richtete sich nicht nur gegen das Opfer, sondern auch gegen Deutschland. Hat es solch einen Fall schon mal gegeben?
Es hat in der Vergangenheit zumindest den Verdacht gegeben, dass Menschen auf Geheiß eines anderen Staates in Deutschland umgebracht wurden. Wenn sich herausstellen sollte, dass im Tiergarten ein Auftragsmord verübt worden ist und man würde einfach zur Tagesordnung übergehen, dann hätte man ein gravierendes Problem für die Zukunft. So etwas dürfte sich kein Land gefallen lassen.

Gerade hat Angela Merkel Russlands Präsidenten beim Ukraine-Gipfel getroffen. Putin hat den Ermordeten einen „Banditen“ genannt, der selbst viele Menschenleben auf dem Gewissen habe. Wie sollte sich die Kanzlerin ihm gegenüber verhalten? 
Die Krise in der Ukraine ist auch für Europa ein relevantes Problem. Man muss solche Treffen nutzen, um mit allen Mitteln der Diplomatie Konflikte zu lösen, beziehungsweise zu entschärfen. Die Kanzlerin ist eine erfahrene Verhandlerin. Sie braucht da keine Tipps.

Das Interview führte Antje Hildebrandt

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