Medien über den Nahen Osten - Verblendet von Ressentiments

Die Nahost-Berichterstattung deutscher Medien treibt bizarre Blüten. Der bei einem Militäranschlag getötete General Quasem Soleimani wird von vielen zum Märtyrer verklärt. Dabei wird er in seiner eigenen Heimat als brutaler Milizführer gefürchtet. Beschönigende Berichte über ihn sind eine Ohrfeige für die Opposition

Inszenierte Trauer: Kaum ein deutsches Medium hinterfragte die offiziellen Bilder aus dem Iran / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Als Mitte November Irans Revolutionsgarden in Teheran schätzungsweise 1.500 friedliche Demonstranten umbrachten, war die Medienresonanz in Deutschland eher verhalten – vorsichtig ausgedrückt. Wer die Tendenzen der wichtigsten Leitmedien kennt und ihren zuarbeitenden „Nahostexperten“, konnte das nicht verwundern. Der Iran, so glaubt man hierzulande zu wissen, ist ein Land, regiert von einer im Grunde friedliebenden schiitischen Geistlichkeit, die im Westen zu Unrecht dämonisiert wird, weshalb die angeblich religiös leicht entflammbaren iranischen Massen geschlossen hinter der von ihnen geliebten politischen Führung stünden. Dass genau diese Geistlichkeit seit Jahrzehnten die gesamte Region mittels diverser Milizen systematisch destabilisiert, Terror unterstützt und das eigene Volk drangsaliert – darüber spricht man allenfalls am Rande.

Seit Monaten etwa wird der Irak von Demonstrationen unzufriedener Jugendlicher erschüttert: gegen die alten Machtkämpfe ihrer abgehalfterten Eliten, die konfessionell verbrämte Gewalt, die religiös gerechtfertigte Unterdrückung, für ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung. Das ist insbesondere der fundamentalistischen Führung in Teheran ein Dorn im Auge. Denn nichts fürchtet sie so sehr wie eine funktionierende säkulare Demokratie.

Initiator von Terror, Mord und Unterdrückung

Also kartätscht man brutal alles nieder, was Liberalisierung und Bürgerrechte fordert. Ausführendes Organ und verantwortlich für hunderte Tote sind schiitische Milizen, etwa das Badr Korps, die Kata'ib Hezbollah, die Khorasani Brigade oder die Asa'ib Ahl al-Haq. Hierbei handelt es sich um nichts anderes als Todesschwadronen, die ermorden, entführen und foltern. Zusammengefasst sind sie unter dem malerischen Begriff der „Volksmobilmachung“. Von Teheran gesteuert, haben sie längst Institutionen des fragilen Staatsgebildes Irak unterwandert, insbesondere die Sicherheitsbehörden. Ihr Schattenkommandeur: der von den Amerikanern ausgeschaltete Quasem Soleimani. Sein Organisator vor Ort: der ebenfalls bei dem Raketenangriff getötete Abu Mahdi al-Muhandis.

Nein, Soleimani war nicht ein „iranischer General“, wie ihn deutsche Medien beschönigend gerne nennen, sondern ein brutaler Milizführer, Chef der Quds Brigaden und verantwortlich für die Destabilisierung und Infiltrierung ganzer Staaten, für das brutale Aushungern von Städten im Syrischen Bürgerkrieg, die Bombardierung von Krankenhäusern. Er war ein Initiator von Terror, Mord und Unterdrückung. Kein Wunder also, dass es in Syrien und im Irak– etwa in Iblid, in Bagdad und Nasiriyah – zu spontanen Freudebekundungen kam, als sich die Nachricht vom Tod Soleimanis verbreitete. Aber auch davon war in den deutschen Leitmedien eher wenig zu lesen und zu hören, genauso wenig wie über die hunderten von toten Demonstranten, die Soleimani noch in den letzten Monaten zu verantworten hatte. Und auch von den in Basra durch Shia-Melizen ermordeten jungen Irakern, die sich weigerten, bei Trauerkundgebungen für Soleimani teilzunehmen, liest man nichts.

Medien verklären Soleimani als Märtyrer 

Stattdessen zeichnen deutsche Medien gerne das Bild vom beliebten „Volkshelden“, vom dem von den Massen geliebten „Märtyrer“, von der nationalen Ikone. Dass man dabei vor allem der iranischen Propaganda auf den Leim geht, dass die Massenaufmärsche einer totalitären Inszenierung folgten, dass Schüler und Beamte zur Teilnahme gezwungen wurden und erhebliche Teile der Trauerzüge aus Milizangehörigen bestanden – Nebensache. Lieber fabuliert man von dem „Meer von Trauernden“, von Millionen verzweifelter Iraner und davon, wie der Tod Soleimanis die Iraner einigen würde.

Da war es eine Wohltat, dass bei Maybrit Illner immerhin die Historikerin Urike Becker von dem „Mideat Freedom Forum Berlin darauf hinweisen durfte, dass sich in der Region viele Menschen über den Tod Soleimanis freuen. Doch statt sich mit der Realität auseinanderzusetzen, intonierte man in Deutschland lieber das Lieblingsmotiv deutscher Nahost-Berichterstattung: die Sorge um die „Gewaltspirale“. Wenn es nicht so albern wäre und so beschämend, es wäre richtig komisch: Da wird der Mann eliminiert, der wir kein anderer seit Jahren für rücksichtslose Gewalt verantwortlich ist, für Folter, Mord und Kriegsverbrechen, jemand, der Bürgerkriege anzettelte, Todesschwadronen dirigierte und jede Freiheitsbewegung brutal niederschlagen ließ, doch in Deutschland macht man sich Sorgen um eskalierende Gewalt. In Syrien. Im Irak und im Libanon herrscht seit Jahren Krieg, doch im fernen Detuschland fürchtet man nach dem Tod eines der schlimmsten Kriegszündler um den Frieden.

Das alles zeugt nicht nur von einer beschämenden Ignoranz, Provinzialität und Verzagtheit. Vor allem ist es auch ein Verrat an all den Menschen in Syrien, im Irak und Iran, die für Freiheit und Demokratie Leben und Gesundheit riskieren.

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