Martin Sonneborn - „Ich hatte nicht den Anspruch, in Brüssel politisch etwas zu erreichen“

Seit 2014 sitzt der Satiriker Martin Sonneborn als Vorsitzender der Spaßpartei Die Partei im EU-Parlament. Jetzt kämpft er um seinen Wiedereinzug, um weitere Mandate und gegen Kritik, er mache bloß Quatsch auf Kosten der Steuerzahler. Aber unterscheidet ihn das von anderen Abgeordneten?

Rächer der Politikverdrossenen mit Abitur: Martin Sonneborn kandidiert im Mai ein 2. Mal für das EU-Parlament / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Stimmengewirr, klirrende Gläser hört man am Telefon. Es ist früher Nachmittag, und man erreicht Martin Sonneborn in der MEP-Bar in Brüssel, der Bar für Mitglieder des Europäischen Parlaments. Er sagt, er komme oft hierher, um zu arbeiten. Einige Kollegen hätten schon Sekt im Glas. Er aber müsse das Parteiprogramm für den EU-Wahlkampf schreiben. Deshalb: Nur Kaffee. 

Herr Sonneborn, Sie sind vor fünf Jahren mit den Zielen ins Europa-Parlament eingezogen, einen Amazon-freien Mittwoch und eine Faulenquote einzuführen, sowie die abgeschaffte Gurkenkrümmungsverordnung wieder einzuführen. Konnten Sie eines der Ziele verwirklichen?
Nein, absolut nicht. Als fraktionsloser Abgeordneter bin ich Abschaum im Parlament. Als solcher konnte ich nichts erreichen. Nicht mal kleine Parteien können hier etwas durchsetzen – Linke oder Grüne. Wir haben hier eine Groko haram aus Konservativen und noch Konservativeren. Aber eines habe ich doch geschafft. 

Was denn?
Mit einem schmutzigen Geschäftsordnungstrick habe ich die wichtigste Datenschutz-Verordnung für Europa, die E-Privacy, über die parlamentarische Hürde gebracht. Dem Ausschuss, in dem darüber abgestimmt wurde, gehöre ich gar nicht an. Aber als Udo Voigt von der NDP gefehlt hat, habe ich einfach an seiner Stelle abgestimmt – und die eine, fehlende Stimme zur Mehrheit beigesteuert. 

Und das war ihr größter politischer Erfolg?
Ja, ein Glücksfall. Ich hatte allerdings auch nicht den Anspruch, in Brüssel politisch etwas zu erreichen. 

Falls irgendwer Sie noch nicht kennt: Ihre Partei heißt zwar Die Partei, sie macht aber keine Politik, sondern Satire. War es ein Betriebsunfall, dass Sie im Parlament gelandet sind? 
Ja, aber ich würde nicht unterschreiben, dass wir keine Politik machen. Wir betreiben Politik mit satirischen Mitteln – und eigentlich auch relativ erfolgreich. Die SPD liegt in Umfragen nur noch 12 oder 13 Prozent vor uns. 

Ist das EU-Parlament eine dankbare Fundgrube für Satire? 
Ja, es ist unfassbar, was für skurrile Gestalten man hier trifft. Von polnischen Monarchisten, die das Frauenwahlrecht abschaffen wollen, bis zu ungarischen Antisemiten. Rechts von mir saß ein unrasierter Immobilienhändler von der AfD, links Marine Le Pe, ebenfalls unrasiert. Das ist natürlich interessant: Dass mal als Titanic-Redakteur ohne falschen Schnurrbart so nahe an solche Leute herankommt. Ich hab es mir zur Aufgabe gemacht, Öffentlichkeit zu schaffen für die unseriösen Seiten der EU. Wir können aber auch anders. 

Seriös? 
Mein Büro hat  vor kurzem eine Statistik erstellt, wie deutsche Abgeordnete seit dem Sommer 2018 über den umstrittenen Paragraphen 13 im Urheberrechtsgesetz abgestimmt haben, der den Einsatz von Upload-Filtern vorsieht. In Deutschland haben sich viele gefragt: Wer ist dafür eigentlich verantwortlich? Normalerweise veröffentlichen die Grünen diese Abstimmungsergebnisse, aber da vier ihrer Mitglieder mit Ja gestimmt haben, haben sie in diesem Fall verzichtet. Unsere Statistik ist im Internet auf großes Interesse gestoßen. Und als Reaktion darauf haben sich viele SPDler und einige Grüne umentschieden, denn auf einmal haben sie Anrufe von wütenden Wählern aus Deutschland erhalten. 

Was ist mit der berüchtigten Ordnungs- und Regelungswut der EU?
Sie meinen das Schild auf den Toiletten, das Parlamentariern erklärt, wie sie sich in 40 Sekunden korrekt die Hände waschen? Das ist natürlich skurril. Aber wenn ich mich hier in dieser Bar so umgucke, ist doch einiges lockerer geworden. 

In einem gerade erschienenen Buch über ihr Leben als EU-Abgeordneter schreiben Sie, der Umfang der Abstimmungen sei gewaltig. Es komme vor, dass Sie in 40 Minuten 240 mal abstimmen müssten. Wie schaffen Sie es, sich in jedes Thema einzuarbeiten? 
Gar nicht. Gemäß unseres Wahlversprechens  „Ja zu Europa, Nein zu Europa“ stimme ich abwechselnd mit Ja und Nein. 

Damit erwecken Sie den Eindruck, es sei egal, was ein einzelner Politiker tue.
Nö, gar nicht. Ich würde sogar noch weiter gehen. Die CDU mokiert sich oft darüber, dass ich das Parlament damit lächerlich mache. Ich pflege dann zu antworten, dass es für Europa besser wäre, wenn auch die komplette CDU  abwechselnd mit Ja und Nein stimmen würde. 

Warum?
Weil wir dann zumindest eine fünfzigprozentige Chance auf eine Abstimmung hätten, die sich zur Abwechslung mal am Wohl von Bürgern und Umwelt orientiert – und nicht ausschließlich an den Interessen von Wirtschaft, Finanzindustrie und Großspendern. 

Aber wenn es angeblich keinen Unterschied macht, ob Abgeordnete mit Ja oder Nein stimmt, warum werden sie dann von Lobbyisten umgarnt?
Wenn Sie genug einzelne Abgeordnete auf ihre Seite ziehen, gibt es eine Mehrheit. Für die EU ist das ein bequemes Lobbyieren. Normalerweise ist es so, dass man die CDU auf seiner Seite haben muss. Dann kann man in Europa alles durchsetzen. Wir Deutschen geben hier den Takt an. Wir besetzen drei der höchsten Verwaltungsstellen in der EU, und fast alle großen Fraktionen werden von Deutschen geführt. 

Man sagt, Brüssel sei wie Bonn mit Nachtleben.
Das stimmt. Alle hängen hier zusammen in einer deutschen Blase. Es gibt ein eingespieltes Team aus Politik, EU-Beamtentum und Journalismus. 

Wer Ihr Buch liest, hat den Eindruck: Das Parlament ist eine kafkaeske Behörde, die ganz weit von den Bedürfnissen der Bürger ist, aber in ihr Leben eingreift. Nähren Sie damit nicht genau die Politikverdrossenheit, die jetzt den Rechtspopulisten in die Hände spielt? 
Aber soll ich eine berechtigte Kritik nur deshalb nicht formulieren, weil sie irgendein Schwachkopf aus der AfD teilt? Natürlich muss man Kritik an der EU üben. Ich habe bei der Titanic und in der heute-show gelernt, hinter die Kulissen zu schauen und Kritik an Dingen zu üben, die falsch laufen. Das tue ich jetzt auch. 

Kritisieren um des Kritisierens wegen?
Nein, diese Kritik erfüllt keinen Selbstzweck. Sie ist Notwehr. Ich möchte, dass sich Dinge verbessern. Ich stehe nicht auf dem Standpunkt der AfD, dass die Europäische Union abgeschafft werden muss. Mein Résumé nach diesen viereinhalb Jahren ist, dass das Konstrukt EU sehr wohl funktioniert – dass es aber mit den falschen Leuten besetzt ist. Wir haben einen konservativen Rat, eine konservativ besetzte EU-Kommission und ein konservativ dominiertes Parlament. Wenn die EU linker, grüner und sozialdemokratischer wäre, könnten wir ein ganz anderes Europa haben. 

Was für eins?
Eines, das nicht seit 20 Jahren in den Eurostat-Berichten eine konstante Armutsquote von über 20 Prozent aufweist. Eines, in der Parlamentspräsident Jean-Claude Juncker nicht vorschlägt, die Armutsquote zu senken, indem man einfach die Berechnungsgrundlage ändert. Eine EU, die nicht wie derzeit wie bekloppt aufrüstet, obwohl der Vertrag von Lissabon das untersagt. 

Ein Parteienforscher hat über Sie geschrieben, Sonneborn verweigere im Grunde jede Mitarbeit und bringe seine Geringschätzung des Parlament zum Ausdruck. Außerdem koste er den Steuerzahler jedes Jahr 160.000 Euro. Lässt Sie die Kritik kalt? 
Ja, ich weiß. Dieses Gutachten stammt von der Konrad-Adenauer-Stiftung und wurde im Auftrag der CDU geschrieben. Diese Stiftungen sind ja auch unfassbare Geldmaschinen. 600 Millionen Euro im Jahr verleiben sich die Parteien über diese Stiftungen ein.

Aber was sagen Sie zu der Kritik? Lässt Sie das kalt? 
Ich habe damals darauf geantwortet, die EU kostet 135 Milliarden Euro im Jahr – und die eine Milliarde, die ich mir einstecke, fällt da nicht ins Gewicht. 

Aber die eigene Überflüssigkeit mit der Ineffektivität der EU zu vergleichen, macht es doch auch nicht besser.  
Warum Überflüssigkeit? Die CDU hat sich einfach geärgert, dass die großen Parteien in Zeiten sinkender Wahlergebnisse sieben Mandate an kleine Parteien verloren haben. Aber ich bekomme sehr viel Feedback von Leuten, die sagen, sie hätten in den vergangenen viereinhalb Jahren durch mich mehr über die EU gesehen und gelesen als in den 12 Jahren davor. Ich glaube, dass viele Leute sehr daran interessiert sind, was hier passiert. 

Aber Sie nehmen jemanden den Sitz weg, der vielleicht ein echtes politisches Anliegen hat. Ist das nicht un-demokratisch? 
Im Gegenteil. Erstens habe ich natürlich politische Botschaften. Ich versehe sie nur mit einem Witz, damit sie besser viral gehen. Die Zeiten sind zu ernst, um keine Satire zu machen. Und zweitens ist das sehr demokratisch. Es haben 184.709 Wähler dafür gestimmt, dass ich nach Brüssel gehe. Der Zuspruch wächst. 2014 haben wir 0,6 Prozent der Stimmen erreicht, jetzt liegen wir nach einer Umfrage von Insa bei zwei Prozent.

Sie treten bei der Europawahl im Mai noch einmal an?
Ja, und ich hoffe, dass wir zwei Mandate erzielen und mein Kollege Nico Semsrott mit ins Parlament kommt. 

Nährt sich der Zuspruch aus Protest gegen die Altparteien?
Bestimmt. Wir gelten als intelligente Protestmöglichkeit, und den besten Wahlkampf für uns machen auch jetzt wieder CDU, SPD, FDP und andere Parteien. 

Aber Ihre Wähler erwarten doch nur Klamauk. 
Nein, den Eindruck habe ich nicht. Ich glaube, dass sich die jüngeren Wähler politisieren über unsere lustigen Plakate oder unsere lustigen Reden im Parlament. 

Wie viele Menschen erreichen Sie mit Ihren YouTube-Clips?
Die einminütige Gegenrede zu Erdogan in der Türkei-Debatte, die ich im EU-Parlament gehalten habe, hat 2016 über fünf Millionen Abrufe auf verschiedenen Portalen gehabt. Wenn man das vergleicht mit Reden meines Freundes Elmar Brok (CDU) oder Herbert Reul (CDU), die haben auch gerne mal 35 Abrufe, wenn es gut läuft. Oder nehmen Sie meine Rede mit meiner Forderung, Irland aus der EU zu schmeißen, weil die Firma Apple dort einen Spitzensteuersatz von 0,005 Prozent hat. Das hat sich summiert auf 12 Millionen Euro, aber Irland wollte diese Summe nicht eintreiben, um Apple nicht zu verdrießen. 

Was sind die Vorzüge Ihres Jobs als EU-Abgeordneter – außer dem Bruttogehalt von 8.400 Euro?
Ich habe gerade eine Klasse von Abiturienten zu Besuch gehabt, denen habe ich erklärt: Ich teste das bedingungslose Grundeinkommen in erheblicher Höhe – und das seit viereinhalb Jahren. Ich habe bisher absolut keinen Nachteil entdecken können. Der Job ist gut. Man ist nur seinem Gewissen verpflichtet. 

Man kann kommen und gehen, wie man will?
Selbstverständlich. Es gibt übrigens gerade unter den kleinen Parteien viele Abgeordnete, die sehr engagiert haben, gerade auch unter den kleinen Parteien. Nehmen Sie Julia Reda von den Piraten. Das ist eine besten Abgeordneten, die wir jemals im Parlament hatten. Aber sie läuft hier gegen eine Wand aus dicken, alten, konservativen, weißen Männern ...  

... die gelegentlich mitten in der Sitzung einschlafen – wie Ihr Erzfeind, der CDU-Abgeordnete Elmar Brok. Sie haben ihn dabei fotografiert und das Bild ins Internet gestellt. Welche Botschaft wollten Sie damit senden? 
Dass Elmar Brok auf der Bühne eingeschlafen ist. Der Mann ist mir extrem unangenehm. Er hält sich für den wichtigsten deutschen Parlamentarier – und viele glauben ihm das. Er sitzt seit fast 40 Jahren im Europa-Parlament und hat viel verbockt. Er hat die Ukraine-Krise von der europäischen Seite her zu verantworten. Was mich aber am meisten ärgert, ist, dass er über zehn Jahre lang hochbezahlter Manager des Bertelsmann-Konzerns war – während er hier hier im Parlament saß. Das ist absolut irre. Der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim bezeichnet das als „legale Korruption“. 

Neulich musste er sich den Vorwurf gefallen lassen, er hätte seine Parlamentsbesucher abgezockt und sich zusätzlich die Pauschale in die eigene Tasche gesteckt, die das Parlament eigentlich für Besucher zahlt. 
Ich glaube nicht, dass er sich persönlich bereichert hat. Es wäre aber nicht schwierig. Ich habe mich gestern in eine seiner Besuchergruppen gemogelt. Das ist relativ scheintotes Publikum, das ihn besucht. Dem kann man bestimmt auch mehr als 150 Euro abknöpfen oder Heizdecken verkaufen. 

Martin Sonneborn, Herr Sonneborn geht nach Brüssel. Abenteuer im Europaparlament. Kiepenheuer & Witsch, 18 Euro 

 

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