Manfred Weber - Flirten mit Osteuropa und den Grünen

Manfred Weber, der EVP-Spitzenkandidat für die Europawahl, will die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 blockieren. Doch sein Wahlkampfmanöver ist durchsichtig und riskant. Am Ende könnte er dadurch alles verlieren

Manfred Weber braucht Osteuropa, die Grünen und Angela Merkel / picture alliance
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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Stark, smart und menschlich – so stellt sich Manfred Weber seine Europäische Union vor. „A strong Europe, a smart Europe and a kind Europe“ heißen die gefälligen Überschriften im Wahlprogramm, das der Spitzenkandidat der konservativen Europäischen Volkspartei EVP am Mittwoch in Athen enthüllt hat. Einen Stopp der Türkei-Gespräche, einen Masterplan zur Krebsbekämpfung und ein weltweites Verbot von Kinderarbeit verspricht der CSU-Politiker.

Nur ein Thema taucht in Webers „Zusagen für die Zukunft Europas“ nicht auf: das Ende für die umstrittene deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2. Das ist erstaunlich. Denn keine andere Aussage hat mehr Wirbel verursacht als diese. „Als Chef der EU-Kommission werde ich alle Vorschriften anwenden, um Nord Stream 2 zu blockieren“, erklärte Weber – allerdings nicht bei seinem Auftritt in Athen, sondern in der polnischen Zeitung Polska Times.

Stimmt das, was Weber sagt?

War das nur ein Ausrutscher? Oder steckt dahinter der gezielte Versuch, sich bei den Wählern in Polen und ganz Osteuropa einzuschmeicheln – als der Mann, der zwei Bundeskanzlern widerspricht (Gerhard Schröder und Angela Merkel) und europäische über deutsche Interessen stellt? So würde es Weber gern verstanden wissen. „Ich bin nicht der deutsche Kandidat für die EU-Kommission, sondern der Kandidat der EVP“, sagte er dem polnischen Blatt.

Wer an Europa denke, müsse an die Unabhängigkeit von russischem Gas denken, fügte er hinzu. Doch wenn das stimmt (Zweifel sind erlaubt) – warum hat Weber diese Aussage dann nicht in sein Wahlprogramm aufgenommen? Wieso hat er als Noch-Fraktionsvorsitzender der EVP – immerhin der größten Fraktion im Europaparlament – nicht alles daran gesetzt, Nord Stream 2 zu verhindern? Und warum will er nun erst noch bis nach der Wahl warten?

Mögliches schwarz-grünes Bündnis

„Weber könnte mit seinen CDU/CSU-Verbündeten Annegret Kramp-Karrenbauer, Markus Söder und Günther Oettinger bereits jetzt auf einen Kurswechsel bei Nord Stream 2 hinwirken“, sagt Reinhard Bütikofer, der Chef der Europa-Grünen. „Er würde damit mehr beweisen als eigene Unabhängigkeit, er würde demonstrieren, dass er in der Lage ist, falsche Entwicklungen im eigenen Lager ohne Zögerlichkeit zu korrigieren.“
Doch bisher ist Weber diesen Beweis schuldig geblieben. Er sieht sich als „Brückenbauer“, als Macher ist er nicht in Erscheinung getreten. Der Kandidat hat seine gesamte Karriere in der „Brüsseler Blase“ gemacht. Er hat noch kein Ministeramt bekleidet und keine große Wahlkampagne geführt. Das ist auch der Grund, warum es so schwer fällt, sein Wahlversprechen zu Nord Stream 2 einzuschätzen. Handelt es sich um ein geschicktes taktisches Manöver – oder um eine schillernde Seifenblase, die bei Gegenwind zerplatzt? 

Immerhin, Bütikofer bescheinigt Weber „persönliche Glaubwürdigkeit“. Der Spitzenkandidat habe seine Haltung gegen Nord Stream 2 auch früher schon deutlich gemacht. Vermutlich ungewollt verweist der Grünen-Politiker damit auf einen zweiten Aspekt, der Weber zu seinem Vorstoß bewegt haben dürfte: Der CSU-Politiker schielt auch auf ein mögliches schwarz-grünes Bündnis – wenn schon nicht im Bund, so doch zumindest nach der Europawahl im Mai.

Halbherziges Flirten mit den Grünen

Um zum neuen Kommissionspräsidenten gewählt zu werden, braucht Weber nämlich jede Stimme – auch die der Grünen. Alle Umfragen deuten darauf hin, dass es diesmal nicht reichen wird, eine informelle große Koalition mit den Sozialdemokraten im Europaparlament einzugehen, wie noch bei der letzten Europawahl 2014. Fünf Jahre später wird der EVP-Spitzenkandidat eine dritte Partei oder viele Leihstimmen aus mehreren anderen Parteien brauchen, um überhaupt eine Mehrheit im neuen Parlament zu haben.

Ein kleiner Flirt mit den Grünen in der Energiepolitik kann da nicht schaden. Auch mit Blick auf eine mögliche schwarz-grüne Koalition im Bund ist der Vorstoß zu Nord Stream 2 wohl hilfreich. Wenn Weber es ernst meinte, müsste er allerdings viel weiter gehen – und in der Klimapolitik mehr Ehrgeiz zeigen. In seinem Wahlprogramm ist davon nichts zu sehen. Weber will „auf die Durchsetzung der Abkommen von Paris und Kattowitz drängen und auf diesen Zielsetzungen aufbauen“ – das war’s.

Ohne Merkel wird Weber nicht Kommissions-Präsident

Und wie sieht es mit dem Werben um Osteuropa aus? Zweifel sind auch hier angebracht. In Polen und im Baltikum wird man es mit Wohlwollen notieren, dass Weber auf Gegenkurs zu Merkel geht. Aber am Ende kommt es eben doch auf die Kanzlerin an – nicht nur bei Nord Stream 2, sondern auch bei der Wahl des nächsten Kommissionspräsidenten. Die Europawahl ist nämlich keine Weber-Wahl, sie ist nicht einmal eine Direktwahl. Aus Sicht der Staats- und Regierungschefs ist sie eher eine Art Stimmungsbarometer.

Das letzte Wort haben Merkel & Co. – sie entscheiden, wer Juncker nachfolgt. Selbst wenn es Weber werden sollte, so dürfte er größte Mühe haben, die ungeliebte deutsch-russische Pipeline doch noch zu stoppen. Das hat nämlich nicht einmal Juncker geschafft. Zwar ist mittlerweile eine neue Gasrichtlinie beschlossen worden, die Nord Stream 2 doch noch dem EU-Recht unterstellt. Die Bundesregierung in Berlin kann nun nicht mehr – wie bisher – behaupten, Brüssel sei nicht zuständig.

Weber wird Nord Stream 2 kaum verhindern können

Doch weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit stellt Nord Stream die neue EU-Richtlinie schon wieder in Frage. Die Pipeline werde zum Inkrafttreten der überarbeiteten Richtlinie zwar voraussichtlich noch nicht betriebsfähig, aber „im Wesentlichen fertiggestellt sein“, erklärte Geschäftsführer Matthias Warnig in einem Brief an Kommissionspräsident Juncker. Das Projekt müsse daher für eine Ausnahmeregelung in Frage kommen. Andernfalls, so droht der deutsche Geschäftsführer Matthias Warnig, setze es eine Klage.

Das ist nicht nur für Juncker ein Problem, sondern auch für Weber. „Als Chef der EU-Kommission werde ich alle Vorschriften anwenden, um Nord Stream 2 zu blockieren“, hat er getönt. Doch nun stellt sich heraus, dass die Vorschriften umstritten sind, womöglich droht ein jahrelanger Rechtsstreit. Das „Blockieren“ ist eben nicht so einfach, wie es Weber darstellt. Ob er Nord Stream 2 deshalb bei seinen Wahlversprechen ausgespart hat? 

Glaubwürdigkeit fordern, aber nicht einlösen

Klar ist nur eins: Der CSU-Kandidat hat sich sehr weit aus dem Fenster gelehnt, womöglich zu weit. Damit riskiert er nicht nur seine Glaubwürdigkeit im eigenen Lager – also bei den deutschen Christdemokraten –, sondern auch bei Polen und anderen Osteuropäern. Denn dort hat er womöglich unerfüllbare Hoffnungen geweckt.

Dabei legt Weber doch so großen Wert auf Glaubwürdigkeit. „Sie wissen besser als alle anderen, was es bedeutet, den Populisten zu folgen“, rief der EVP-Kandidat seinen griechischen Anhängern zum Wahlkampfauftakt in Athen zu. „Am Ende können sie nicht liefern“. Gemeint war Alexis Tsipras, der linke Premierminister, und dessen Debakel in der Schuldenkrise 2015. „Folgen Sie keinen Populisten, sie werden nie ihre Versprechen halten“, sagte Weber.

In Athen bekam er dafür viel Beifall. Doch bei Nord Stream 2 könnte es ihm nun ganz ähnlich ergehen wie Tsipras. Wenn er am Ende nicht „liefern“ und die Pipeline „blockieren“ kann, stünde der CSU-Mann kaum besser da als die Populisten, über die er sich so lautstark empört.

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