Macron und die Gelbewesten - Der gelbe Protest wird immer roter

Muss Emmanuel Macron nachgeben? Seine Regierung sucht das Gespräch mit den Gelbwesten, um neue Gewaltexzesse zu verhindern. Doch die Opposition macht dem Präsidenten keine Geschenke. Für kommenden Samstag rufen viele zum „Sturm auf die Bastille“ auf. Macron wird zunehmend isoliert

Protest der Gelben Westen in Paris: Aufruf zum „Sturm auf die Bastille“ / picture alliance
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Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

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Die Franzosen verdauen immer noch die Gewaltexzesse vom vergangenen Wochenende, als hunderte von Ultras in den Vierteln um den Pariser Triumphbogen gewütet hatten. Präsident Emmanuel Macron aß demonstrativ mit Einsatzpolizisten zu Mittag. Das war auch ein politisches Signal, dessen es allerdings gar nicht bedurft hätte: Viele Gelbwesten gehen mittlerweile auf Distanz zu den „casseurs“ (Schlägern).
 
Die zweite Taktik Macrons ist sein Versuch, die anderen politischen Kräfte in eine Krisenlösung einzubinden. Am Montag empfing sein Premierminister Edouard Philippe – der eine Reise nach Polen an einen Klimagipfel abgesagt hat – die Vorsteher aller großen Parteien, für Dienstag sucht er den Dialog mit Delegierten der „gilets jaunes“. Die haben aber nur eine Botschaft: „Solange die Regierung die Benzinsteuererhöhung nicht zurücknimmt, gehen die Proteste weiter“, sagte Jacline Mouraud, eine der Gelben Westen, kategorisch.

Auch unter Macrons Anhängern rumort es

Macrons dritte Taktik ist die schwierigste: Zurückkrebsen, ohne dass es nach einer Kapitulation aussieht. Am Dienstag hat Philippe die umstrittene Erhöhung der Benzinpreissteuer für sechs Monate „suspendiert“. Das Corpus Delicti des Volksaufstandes wäre damit weg – doch die Gelbwesten wollen mehr: Sie verlangen die Erhöhung des Mindesteinkommens und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer.
 
Kein Entgegenkommen gibt es auch von Seiten der Parteien. Konservativenchef Laurent Wauquiez fordert die komplette „Annullierung“ der Steuererhöhung und eine Volksabstimmung zur Umweltpolitik. Die linken Parteien verlangen zudem Neuwahlen und – als eine Art Finanzausgleich – die Wiedereinführung der von Macron reduzierten Vermögenssteuer. Auf Philippes Vorschlag, eine Parlamentsdebatte zu organisieren, reagierten nur die Kommunisten – mit der Androhung eines Misstrauensantrages.
 
Die Macron-Partei La République en Marche (LRM) hat in der Nationalversammlung zwar die Mehrheit. Doch rumort es unter den gut 300 LRM-Abgeordneten stark. Noch 2017 hatten sie als neuartige Garde eines jungen Präsidenten viele Hoffnungen geweckt. Jetzt gelten sie in den Augen der Gelbwesten bereits selbst als Teil des alten Systems. Nur ungern verteidigen viele Abgeordnete nun eine Steuer, die ihre Wähler auf die Barrikaden gebracht haben.

Von gelb zu rot 

Generell ist die „gelbe“ Protestbewegung daran, ihre politische Couleur zu ändern: Gaben am Anfang autofahrende und eher rechtsstehende Gegner hoher Steuern den Ton an, nehmen zunehmend soziale Forderungen, etwa nach Erhöhung des Mindestlohnes, überhand. Der Publizist Laurent Joffrin spricht bereits von „Rotwesten“. Die konservative Zeitung Le Figaro, die am Anfang Feuer und Flamme für die „Steuerrevolte“ gewesen war, berichtet nun um einiges distanzierter über die Proteste und hebt die Gewaltexzesse hervor.
 
So sind es auch politisch eher links stehende Kräfte, die sich den Gelbwesten neu anschließen. Mittelschüler bestreiken auf teils rabiate Weise hunderte von Gymnasien. Sie protestieren gegen eine Reform des Universitätseintritt-Systems und äußern ihre Solidarität mit den Gelbwesten. Die einst kommunistische Gewerkschaft CGT ruft für den 14. Dezember zu einem Aktionstag auf, um ähnlich wie die Gelbwesten höhere Löhne zu verlangen. Raphaël Glucksmann, Sohn des verstorbenen Philosophen gleichen Namens und Gründer einer neuen Links- und Ökoformation namens „place publique“, sagte, in Frankreich mische sich eine soziale mit einer Regimekrise. Vor allem, weil Emmanuel Macron die Politik seiner Vorgänger einfach weitergeführt habe: „Ganze Teile der Bevölkerung wurden ins Elend abgestuft, während sich andere fröhlich bereicherten. Das macht die Lage in Frankreich äußerst gefährlich, weil die Wut heute unkontrollierbar ist."

Verheerende wirtschaftliche Folgen 

Frappierend ist auch Macrons abrupter Popularitätseinbruch. Der anfangs gefeierte Präsident wird nun nicht nur für seine herablassende und rechthaberische Art kritisiert, sondern auch für seinen egozentrischen Politstil, der die Parteien, Sozialpartner und anderen gesellschaftlichen Kräfte schlicht übergeht. Der Volkszorn richtet sich deshalb direkt gegen ihn. Im Internet zirkulieren gleich drei Aufrufe zum „vierten Akt“ am kommenden Samstag, nachdem die drei vergangenen Samstage in Paris in Krawallen endeten. Ein Appell ruft zum „Sturm auf die Bastille“ auf. Im Elysée-Palast – der unter Insidern auch „Château“ (Schloss) genannt wird – gerät Macron deshalb unter Zugzwang.

Denn auch wirtschaftlich beginnt Frankreich, unter den Protesten zu leiden. Elf Treibstofflager waren in Frankreich am Montag blockiert. In der Bretagne ist Benzin neuerdings rationiert. Hotelbuchungen in Paris werden storniert, das Weihnachtsgeschäft lahmt. Und die Fernfahrer wollen die Überlandstrassen und Autobahnen ab Sonntag blockieren.

Wenn Macron meinte, er werde die Lage beruhigen, indem er seinen Premier an die Front schickt, hat er sich getäuscht. Die Franzosen, die man selten zuvor so aufgebracht erlebt hat, verlangen den definitiven Rückzug der Steuer. Oder des Präsidenten.
 

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