Lothar de Maiziere über seinen Freund MIchail Gorbatschow - „Unser großer Mutmacher“

Michail Gorbatschow habe seinen Nach-Nachfolger Putin nie gemocht, aber sie seien sich auch nicht nur uneinig gewesen, sagt der ehemalige Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière, im Interview. Mit Gorbatschow verliere Deutschland einen Freund. Für eine Gedenkfeier hat er eine besondere Idee.

Vergangene Zeiten: Der russische Präsident Wladimir Putin im Jahr 2007 in Wiesbaden mit Lothar de Maiziere und Michail Gorbatschow. /dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Lothar de Maizière, Rechtsanwalt und CDU-Mitglied, war von April bis Oktober 1990 der erste demokratisch gewählte und zugleich der letzte Ministerpräsident der DDR. In dieser Funktion verhandelte er den Zwei-Plus-Vier-Vertrag zwischen Deutschland und den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs mit. Er war Vorsitzender des Lenkungsausschusses des von Gerhard Schröder und Wladimir Putin ins Leben gerufenen Gesprächsformats Petersburger Dialog.

Herr de Maizière, der letzte Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, ist gestorben. Was bedeutet sein Tod für Sie persönlich, und was bedeutet er für Deutschland?

Deutschland und ich haben einen wahren Freund verloren. Das erste Mal bin ich ihm am 29. April 1990 begegnet. Ich war kurz zuvor zum Ministerpräsidenten der DDR gewählt worden. Es war erst wenige Monate her, dass die Berliner Mauer gefallen war. Wir trafen uns, und nach einem ersten Abttasten habe ich ihn als herzlich und ehrlich erlebt. Im persönlichen Gespräch war er offen, er hörte gut zu und war bereit, die Position des Gegenübers zu prüfen und gegebenenfalls zu übernehmen. Über die Jahre ist er mir zu einem wichtigen Freund geworden.

In Deutschland wird Gorbatschow gefeiert. Aber wieso ist er daran gescheitert, Russland an den Westen heranzuführen und zu demokratisieren?

Er hat die Welt aus der jahrzehntelangen Erstarrung des kalten Krieges befreit, er wird also zurecht gefeiert und hat zurecht den Friedensnobelpreis erhalten. Die Sowjetunion hat er in einem desolaten Zustand übernommen. Ihm ist es nicht gelungen, die ökonomischen Probleme des Riesenreichs zu lösen. Dies ist der Grund dafür, dass er in seinem eigenen Land keinen guten Ruf hat. Mit „Glasnost“ war er erfolgreicher, also einer neuen Offenheit. Die Intellektuellen und die Künstler in Russland schätzen ihn noch heute.

Deutschland hat eine besondere Hochachtung für Michail Gorbatschow. Haben wir ein falsches Bild von ihm?

Die Russen haben ein falsches Bild von Gorbatschow, nicht die Deutschen.

Können Sie sagen, wie Gorbatschow zu Wladimir Putin stand und wie er die aktuelle Krise bewertet hat?

Gorbatschow und Putin mochten sich nicht. Aber sie waren sich nicht in allen Positionen uneinig. So war Gorbatschow durchaus auch der Meinung, dass die Krim zu Russland gehört. Sein Versuch, die Sowjetunion mit einer demokratischen Verfassung zu reformieren, ist ihm nicht gelungen. Putin hat dieses Scheitern gesehen und seine Schlüsse daraus gezogen. Letztlich haben sowohl Gorbatschow als auch ich mich in Putin getäuscht. 

Es wird diskutiert, ob es eine eigene Gedenkfeier für Gorbatschow in Deutschland geben sollte? Wie müsste diese aussehen?

Ich befürworte einen Festakt im Deutschen Bundestag. Das ist der Bedeutung von Gorbatschow angemessen. Vielleicht könnte etwas von Schostakowitsch gespielt werden, diesen großen russischen Komponisten hat er sehr geschätzt.

Was wird von Michail Gorbatschow bleiben?

Historisch ist er derjenige, der den Kalten Krieg beendet hat und seinen Beitrag zur Deutschen Einheit geleistet hat. Für mich bleibt die Bewunderung für seinen Mut.  Für uns war er und bleibt der große Mutmacher.

Das Gespräch führte Volker Resing.

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